MODE UND KULTUR

Laßt Blumen sprechen!

Die Mode und die Heimat

Herrschaftlich – das Mannequin Luca Adamik nach der Modenschau „GEORGES CHΛKRΛ Couture“ (Bild: Christian F. Janssen)

Von Christian F. Janssen — 3. Februar 2020
Die Frage des Werdeganges läßt sich ohne Berücksichtigung der Herkunft nicht beantworten. Aus der Beschäftigung mit der Herkunft erwächst wiederum meistens eine Heimatverbundenheit. Der Beiruter Modeschöpfer Georges Chakra würdigte mit der Couturekollektion für den Frühling und Sommer 2020 sein Heimatland Libanon. Fernab gängiger Klischees stellte er sich mit unerschütterlicher Raffinesse der Komplexität der gegenwärtigen Realität. Die hektische Energie des Landes, die Sehnsucht seiner Jugend nach Rechten in Freiheit und die Mobilisierung der Gesellschaft in den letzten Monaten rückten in den Mittelpunkt. Die am 20. Januar 2020 jedem Gaste auf der Modenschau im Petit Palais in Paris überreichte weiße Rose stand für die Unterstützung eines friedlichen Wandels im Libanon.

Blumen lagen Georges Chakra überhaupt am Herzen. Als Motiv durchzog die Blume die gesamte Kollektion, was sich beispielsweise an handgemalten Blumen an einer Robe aus Seidengaze, elfenbeinweißen Blütenblättern an einem Minikleide oder einer Rosenapplikation an einem Tüllensemble zeigte; fluoreszierender rosa Seidenduchessesatin erhielt Blumensträuße als Stoffdruck. Schillernde Dschungeldrucke kamen auch vor. Die klare Geometrie eines Ballonkleides, Origami-Stickerei und plissierter Seidenorganza gingen einher mit taillierten oder rückenfreien Bustiers und fließenden Capes. Mit Federn übersäte sowie mit Pailletten und Perlen handbestickte Stoffe kamen hinzu. Eine transparente Hülle machte die Kollektion ätherisch, stand aber voluminösen Stoffschichten gegenüber. Die Kontraste waren energiereich. Das Spiel mit den Längen – ultralang oder minilang – erzeugte überdies ein Bild Roter Teppiche und Diskothekentanzflächen der 1970er Jahre. Flammen schmückten eine Robe samt Unterseebootsausschnitte zu Gladiatorsandalen, was die Trägerin wie eine Kriegerin aussehen ließ. Reines Weiß, Gletscherweiß, helles Rosa, Meergrün, Aquamarinblau, Lagunenblau, Himmelblau standen für eine wilde Natur zwischen üppigen Wäldern und tropischen Inseln mit stets schönem Wetter. Gold- und Silberschimmer ergänzten die matten Farbtöne und verstärkten so die Lebendigkeit der Stoffe. Aus der Freundschaft mit dem auf Schmuck spezialisierten Modeschöpfer Fawaz Gruosi aus Genf ging eine Halskette fürs Brautkleid hervor; sechsundvierzig birnenförmige Smaragde, fünfundvierzig weiße Diamanten im Brillantschliffe und dreitausendzweihundertvierundsiebzig winzige weiße Diamanten im Brillantschliffe bedeckten die weißgoldene Kette. Der Erlös aus dem Verkaufe der Kette wird dem Beiruter Kinderkrebskrankenhause und den Schülerstipendien der St. Vinzenz-von-Paul-Schule zugute kommen.

In der Kollektion der Marke „AZZARO COUTURE“, die ein hauseigenes kreatives Kollektiv verantwortete, kamen eine futuristische Ästhetik, großzügige Volumina und die Illusion der Einfachheit zusammen. Licht und Schatten, Deckkraft und Transparenz, Mattheit und Glanz waren Gegenstände eines modischen Spieles. Auf dem Laufstege im Hôtel d’Evreux erschienen befreite, durchsetzungsfähige epikureische Amazonen. Die gegürtete Taille lag hoch; die Halsausschnitte in V‑Form fielen auf. Neben tief ausgeschnittenen Ärmeln gab es ballonförmige Ärmel, um den Körperbau zu betonen, oder Ärmel in fließender Pagodenform, um die Hände zu bedecken oder die Schultern freizulegen. Das Kleid, in seiner Essenz feminin, blieb das Schlüsselstück der Kollektion. Lang oder sehr kurz, wies es Rüschen, Drapagen oder Sonnenstrahlenfalten auf, während die Ausschnitte in subtiler Weise die Rundungen des Körpers enthüllten. Reißverschlüsse sowie eine Konstellation aus Kunstperlen und Kristallen machten es exquisiter. Hosen hatten entweder mit einer Abfolge von Volants besetzte Beine oder mit gerade geschnittenem schwarzem Seidensatin in Falten besetzte Beine. Die Deckkraft eines langen, zweireihigen Mantels aus gewalktem Wollköper und seidigem ökologischem Felle überragte die Anmut durchsichtigen Musselins und eines mit Kristallen oder aluminiumlaminiertem Leder bestickten Netzes. Metallperlen, Kristallsteine ​​oder Pailletten zogen sich als feine Stickerei wie Laub aus der Anderswelt unregelmäßig durchs Dessin und bewirkten einen wertvollen Glanz, welcher den Ledereffekt bei Seidensatin, Wollkreppe, Jersey oder Laminate steigerte. Dieses Licht wurde von der Allgegenwart des Goldes und Silbers eingefangen, von der Tiefe des Schwarzes verstärkt sowie von der Extravaganz des Purpurs, Karmesinrotes und Kobaltgelbes unterbrochen. Die aus derselben Inspirationsquelle gespeiste Herrenkollektion beinhaltete glühenden Lurex mit makellosen Schnitten. An Riemen nahm die Stickerei mit Kunstperlen und Metalle die Gestalt imaginärer Meeresflora an. Himmlische Fransenstickerei gab es auch. Das Mondrelief war die Vorlage der abstrakten Muster eines ganz mit anthrazitgrauen Steinen bestickten Wolljacquards.

Angesichts des katastrophalen Zustandes unseres Planeten widmete der aus Rom stammende und in Paris tätige Modeschöpfer Farhad Re seine Kollektion der Natur und der Schönheit ihrer Farben. Für Farhad Re war der Schmetterling als Symbol für Transformation und Wiedergeburt eine Botschaft der Hoffnung; wie die Raupe ein erhabener Schmetterling werde, so könne der Mensch seine desolate Umwelt in etwas Besseres umwandeln. Als Motiv tauchte der Schmetterling, von Hand bemalt oder gestickt, überall und in allen Formen an Kleidern auf. Seidenorganza ermöglichte dank seiner Manövrierfähigkeit skulpturale Formen, die sich in natürlicher Weise an die Schönheit des weiblichen Körpers anpaßten und ihn zu einer Statue ausbildeten. Die Kollektion stellte Farhad Re in der Residenz des Botschafters der Italienischen Republik vor.

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