MODE UND KULTUR

Rendezvous in Marrakesch

Mode aus Ungarn in Mailand

Vor der Pressewand – die Mannequins Allison Mason und Virág Vanya vor der Modenschau „Luisa Spagnoli“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 9. November 2019
„Wer der Zukunft entgegenläuft und dabei seine Vergangenheit vergißt, verliert seine Identität“, lautete das Credo Nicoletta Spagnolis. In einer globalisierten, von Geschwindigkeit und Eile geprägten Welt besann sich die Vorsitzende des Vorstandes der in Perugia ansässigen Luisa Spagnoli S.p.A. und zugleich deren Kreative Leiterin auf die für virtuose Schneiderkunst stehende Couture. Sie entwickelte eine Liebe zum Detail, um die wahre Identität der Marke „Luisa Spagnoli“, gleichsam deren Herz, zum Vorscheine zu bringen und zeitgemäß zu interpretieren.

Unter dem Motto „Rendez-vous in Marrakech“ stellte sich Nicoletta Spagnoli einen luxuriösen Riad in Marrakesch beim warmen Sonnenuntergange vor, wo sich die Protagonisten des internationalen „Jetsets“ der späten 1970er Jahre trafen. Die nicaraguanisch-britische Menschenrechtsaktivistin und Schauspielerin Bianca Jagger, die Glamour und Unkonventionalität zu unverwechselbaren Merkmalen ihres Stiles gemacht hatte, wurde die Muse der Kollektion für den Frühling und Sommer 2020. Drapierte Korsetts, dünne Rippung und mit Hilfe traditioneller hölzerner Formstücke handgefertigte Plissees stachen hervor. Nicoletta Spagnoli mochte nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden; insofern schuf sie eine Mischung für Aufenthalte in Riads und Spaziergänge in der Wüste. Von übergroßen Jacken aus der Herrenbekleidung über Hosen in A‑Linie bis zu aufwendigen Tuniken samt Ballonärmeln reichte der zeitlose klassische Stil. Ein Windstoß konnte Saharianakleider und Blusen sanft in Bewegung versetzen. Neben tierischeren Details und sandgelben oder fleischrosa Stoffen erschien Seide in einem brillanten, bunten Regenbogen von Drillingsblumenrosa über markentypisches Gelb und Pfauengrün bis zu Blau in verschiedenen Schattierungen. Seide, Leinen und Baumwolle, ganz weiß oder schwarz oder auch bedruckt, ergaben einen anderen Stil. Überhaupt ging es um naturbelassene Materialien. Der Ausgleich zwischen unterschiedlichen romantischen Atmosphären war eine Anspielung auf die detailreichen Kleider auf dem Bilde „Femmes au jardin“ des französischen Malers Claude Monet aus dem Jahre 1866 sowie auf den verführerischen und unwiderstehlich machenden weißen Anzug der amerikanischen Schauspielerin Michelle Marie Pfeiffer im Spielfilme „SCARFACE“ des amerikanischen Regisseurs James Giacinto De Palma jr. alias Brian De Palma aus dem Jahre 1983. Hoch getragene Gürtel wirkten als Bustier. Die farbenfrohe Handtasche „Luisa“ aus Leder in dreien verschiedenen Größen und leuchtende Kristalljuwelen vervollständigten die 20. September 2019 im Palazzo Mezzanotte, dem Sitze der Borsa Italiana Spa., gezeigte Kollektion.

Im Palazzo Reale brachte Christian Alexander Beck, der Kreative Leiter des Münchener Modehauses „AIGNER“, die Prêt‑à‑porter-Kollektion „DIVINE“ auf die Formel: klassische Schönheit, zurückhaltende Opulenz und moderne Eleganz. Wollkrepp, Chiffon und Lurex, mal in natürlichen Farbtönen, mal in metallischen Tönen, waren die Stoffe von Kleidern mit Plissee und goldenen Pailletten, die in fließender Bewegung um den Körper schwangen. Die Leichtigkeit von Röcken in verschiedenen Längen beruhte auf traditionellen spanischen und lateinamerikanischen Gewändern. Schürzenähnliche Kleider, gleichviel ob aus Leder oder Tuche, und voluminöse Puffärmel zogen sich wie ein Roter Faden durch die gesamte Kollektion; sie eigneten sich für Kombinationen mit weiten Hosen, Tops in Krokodillederoptik und Jacken aus Vachetteleder. Der Gedanke an Lingerie war ein weiterer Schwerpunkt der Kollektion. Bustiers, Korsettgürtel und zierliche Oberteile mit stoffüberzogenen Knöpfen waren in Schichtung übereinander zu tragen. Staubrosa war ein dezenter Ausdruck weiblicher Anmut. Warmes Vachettebraun war ein Verweis aufs Reitsporterbe der Marke. Zwei Blautöne, nämlich „Dawn Blue“ und „Dusk Blue“, dienten zur Erinnerung an die trendigen Jeanshosen der 1990er Jahre. Gold, Silber, Antikweiß, Federgrau und Fleischrosa waren weitere gedeckte Farbtöne. Lateinamerikanische Hüte waren die Vorlage von Filzhüten mit Lederbande. Schildpattimitat stak im Absatze jedes Schuhes. Sandaletten in „Barely‑there“‑Art und Schlappen hatten ein Riemchen aus Vachetteleder oder durchsichtigem Materiale. An Sandaletten prangte auch ein Frontschild aus Vachetteleder. Gold und Silber als Metallmix sowie Schildpattoptik waren die Optionen bei Halsketten. Äußerst große Goldohrringe waren stellenweise transparent. Große Sonnen- und Korrekturbrillen wiesen einen ziselierten Metallrahmen, Schildpattdetails oder eine besondere Tönung der Gläser auf.

Bei den Handtaschen war das Modell „CYBILL LOGO“ eine Erweiterung des Modelles „CYBILL SPECIAL“ um eine luxuriös wattierte Prägung des Markenlogos auf Naturcanvas, um Details aus Vachetteleder und um mit Schildpatte verzierte Henkel. Daneben existierten eine Variante aus gewebten Vachettelederstreifen mit weißer Naht und eine Variante mit Schraubennieten als kleiner Version. Das Modell „SIENA“ war eine Henkel- oder Umhängetasche als Fächertasche aus staubrosa Perlleder in puristischer Triangelform samt neuartigem Doppelschraubenverschlusse, dessen Schraubenanfasser auf die Schrauben der Kofferbeschläge in den Archiven der 1960er Jahre zurückging. Für die Modenschau gab es zusätzlich eine Version aus kombiniertem Canvas und Vachetteleder, eine golden glänzende Version sowie eine Version mit Krokodilprägung im Tone Vachettebraun oder „Dusk Blue“. Beim Modelle „VICENZA“ sorgte Schildpatt an den Henkelstegen, an den einzelnen Gliedern der Henkelketten und am Verschlusse mit goldener Fassung für ein elegantes Aussehen; der „Retro-Charme“ beruhte auf weichem, feingenarbtem Leder im Stile der 1970er Jahre. Antikweiß oder federgrau waren die großen Spezialversionen auf der Modenschau.

Das Modell „ARTIGIANA“ war eine vacchettebraune Henkeltasche in zweien Größen samt Doppelklappe und mit Schraubendetails; höhere Garnstärke, längere Stichlänge der Nähte sowie Überfärbung von Kanten und Nähten war eine Hommage an die Handwerkskunst vergangener Tage. Das Modell „MONACO“, eine Fortentwicklung der Satteltasche, kam mit runden Metalldetails, Handstichen und fein polierten Kanten als lederne Henkeltasche und Umhängetasche quer überm Oberkörper vor. Sonderversionen waren größer, antikweiß oder vachettebraun oder bestanden aus Canvas mit Details aus Vachetteleder. Das Modell „MINA“ war eine kleine Hand- oder Umhängetasche aus Vachetteleder, und zwar antikweiß mit Nieten oder federgrau ohne Nieten. Das Modell „TARA“ war eine klassische Beuteltasche entweder aus Stoffe mit „A“‑Logo und Details aus Vachetteleder oder aus Canvas mit solchen Details samt einem Griffe aus Schildpatte; ein Griff aus Schildpatte hing überdies an einer golden patinierten Variante. Beim Modelle „EVITA“ war Vachetteleder, Canvas nebst Schildpattgriffe, Stoff mit „A“‑Logo nebst Vachettelederdetails oder geprägtes Leder in Krokodillederoptik das Material für vergrößerte Einkaufstaschen; obendrein waren Vachettelederdetails an einer Version im Tone „Dusk Blue“ vorhanden. Fast alle Taschen ließen sich mit einem austauschbaren Schulterriemen versehen.

Im August 2018 hatten die Camera Moda S.r.l. (Camera Nazionale della Moda Italiana [CNMI]) mit dem Sitze in Mailand und die erst in diesem Jahre in Budapest gegründete Ungarische Mode- und Designagentur mit dem englischen Namen „Hungarian Fashion and Design Agency“ (HFDA) eine dreijährige strategische Partnerschaft vereinbart, um ungarischen Modeschöpfern auf dem Wege in die internationale Modewelt zu helfen, und zwar durch Unterstützung vom Entwurfe über die Herstellung bis zur Vermarktung. Unter dem Motto „BUDAPEST SELECT“ stellten ausgewählte ungarische Modeschöpfer ihre jeweilige Kollektion im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci vor. Alle werden ihre Kollektion gleichfalls im Rahmen der Veranstaltungsreihe „BUDAPEST CENTRAL EUROPEAN FASHION WEEK“ vom 4. November 2019 bis 10. November 2019 in Budapest präsentieren. Für Lívia Tálosi, welche die Marke „CUKOVY“ im Jahre 2014 in Budapest geschaffen hatte, war Flexibilität eine Selbstverständlichkeit; sie hatte keine Angst, den Mittelfinger auszustrecken, war aber mutig genug, danach um Entschuldigung zu bitten nach der Devise: „Du kriegst, was du siehst!“ Inspirationsquelle war die Raumfahrt. Mäntel und Jacken mit Reißverschlüssen und Nieten im Stile der der 1980er Jahre waren so variabel, daß sie sich rasch an wechselndes Wetter anpassen ließen.

Die im Jahre 1993 in Budapest geschaffene Marke „ARTISTA“ war mittlerweile in Ungarn und Österreich – die sogenannte Doppelmonarchie ließ grüßen – eine beliebte Marke geworden. Für Katalin Imre, Nóra Rácz und Katalin Stampf waren die Unterschiede zwischen den Teilstädten Pest und Buda eine nie versiegende Inspirationsquelle. Kleider aus leichtem Jersey mit einzigartigen Mustern standen fürs ruhige, familiäre Buda mit zwitschernden Vögeln in frischer Luft inmitten von Bergen. Das lebhafte Pest mit rauchigen Kneipen und oft ruinenartigen Häusern samt blumigem Innenhofe aus den 1910er Jahren unter blauem Himmel vertraten Viskose und Seidensatin, die sich leicht an die Rundungen des Körpers schmiegten; eine Krawatte verwandelte sich schnell in einen Gürtel. Der Plattensee und seine Umgebung, insbesondere die damit verbundenen Erinnerungen an eine unbeschwerte Kindheit, blieben ebenfalls nicht ohne Einfluß. Vibrierende Gelb-, kühle Blau- und Weißtöne waren Schwarz gegenüber ein starker Kontrast. Tatjana Zhabinas graphische Farben und oft gestickte Dessins erweckten die Kleider mit extremen Linien zum Leben. Der japanische Sinn für Farben, Stoffe und Proportionen tat ein übriges. Nachhaltigkeit war ein Prinzip bei der in Budapest beheimateten Marke „ZSIGMOND DORA menswear“ mit verankerter Folklore. In Dora Zsigmonds Herrenbekleidungskollektion begegneten sich die zukunftsweisende Frische zeitgenössischer japanischer Straßenkleidung und der strenge Kodex authentischer ungarischer Kleidung. Minimalismus führte zu schlanken, quadratischen Silhouetten. Eine natürliche pflanzliche Färbetechnik verstand sich von selbst. Rostbraun, Orange und Gelb ließen an Rituale einer Mittsommernachtsfeier denken. Giftgrün und Olivgrün bei gewachsten Baumwoll- und Tapisserietexturen führten in die ländliche Rohheit. Florale Motive auf alten Jacquardtuchen drückten einen experimentellen Charakter aus. Abseits handgewebten Leinens, teilweise mehr als sechzig Jahre alt, brachten Ramiebast/Chinaleinen und Doppelseidengaze ein Gefühl Leichtigkeit zur Melancholie zurück.

Die Damenbekleidungskollektion der Budapester Marke „Elysian“ beinhaltete Badeanzüge und Bodysuits in Kombination mit fließenden Kleidern,Röcken und Hosen. Boglárka Bódis’ Erfahrung in Lingeriegestaltung nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaft an der Fakultät für Internationale Beziehungen der Wirtschaftsuniversität Budapest, der zehnjährigen Arbeit in der öffentlichen Verwaltung, dem Abschlusse des Studiums der Modegestaltung an der Schule Zeitgenössischer Kunst (KREA) in Budapest im Jahre 2013 und der einjährigen Zusammenarbeit mit den kreativen Machern bei der Lingeriemarke „Triumph“ zeigte sich an geschichteten, schwerelosen, transparenten Kleidungsstücken. Weicher Tüll, Seidensatin, Seidenmusselin und Netze waren die Materialien; zur Ausschmückung dienten Pailletten. Die Farbpalette umfaßte blasses Rosa, Fleischrosa, Schwarz und Weiß. Die Identität der in Mailand beheimateten Marke „ABODI“ speiste sich aus Dóra Abodis siebenbürgischen Wurzeln. Bereits vor dem Abschlusse ihres Studiums an der Domus-Akademie in Mailand im Jahre 2013 hatte Dóra Abodi siebenbürgische Kultur und Ästhetik nach Mailand mitgebracht. Seither war ihr Siebenbürgen voller Geschichten über das abenteuerliche Leben von Adligen und Rittern aus dem Geschlechte der Székelys, sächsischen und niederländischen Großstädtern, ungarischen Intellektuellen und Künstlern, rumänischen Bauern, Priestern und Revolutionären, Handelsarmeniern; der Weltreisende Kőrösi Csoma Sándor, welcher das erste tibetisch-englische Wörterbuch verfaßt hatte, durfte neben der Roman- und Filmfigur Dracula bei dieser Aufzählung nicht fehlen. Tiermuster, Ornamente und heraldische Bilder interpretierte Dóra Abodi im Sinne der siebenbürgischen Mythologie. Ein geflügeltes Einhorn war ihr Symbol. Sie verwandte Seide, Pailletten und Stickerei, während sie auf echtes Fell und exotisches Leder verzichtete. Ihren Stil als Verbindung von Tradition und Innovation bezeichnete sie als barocken Futurismus.

Weitere Bilder