MODE UND KULTUR

Giorgio Armani geht in die Luft

Die Mode und der Synkretismus

Chic auf italienisch – die Modenschau „EMPORIO ARMANI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 5. November 2019
„Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt …“, hatte Ernst Rudolf Johannes Reuter, Oberbürgermeister der Stadt Berlin, am 9. September 1948 während der Berliner Blockade ausgerufen. Eine Stadt zu betrachten lohnt sich ohnehin. Der Mailänder Modeschöpfer Giorgio Armani, bei dem es nicht nur um die Marke gleichen Namens, sondern auch um die Marke „EMPORIO ARMANI“ geht, blickte mit Leidenschaft gen Horizont auf seine Stadt. Stadtluft macht bekanntermaßen frei. Giorgio Armani war so frei, die Luft zum Thema der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2020 zu machen.

Die am 19. September 2019 im eigenen Theater präsentierte Kollektion „AIR“ war wirkungsvoll durch klare Linien, die sich aus einem Spiele mit Abzügen ergaben. Die Balance weicher Farbtöne und geknitterter, leichter gemachter oder in sonstiger Weise bearbeiteter Oberflächen kennzeichnete den luftig-leichten Stil. Schattierte Seide, Seide mit Nadelstreifen mit einem Papiereffekte, sehr leichter Knautschsamt und bestickter Tüll überlappten sich so, daß sich Kornblumenblau und Säuregrün darauf entfalten konnten. Puderrosa, Himmelblau und Aquamarinblau mischten sich hingegen harmonisch mit Graubeige. Luftige Leichtigkeit bestimmte die Formen, die sich über den Körper legten. Fließende Staubmäntel, kleine Jacken sowie umwickelte und dekonstruierte Blazer paßten zu geraden oder am Saume gerafften Hosen. Kleider aus luftigem Tülle schienen in der Luft zu schwingen. Kleine Kristalle, Pailletten und Metallfäden schimmerten silbern und leuchteten wie der abendliche Mond auf. Feine maskuline Muster beruhten auf dezenter Stickerei. Schuhwerk und Accessoires bestimmten den urbanen Charakter im Ganzen. Knöchelsneaker aus verwaschener Serge de Nîmes und flache Schuhe mit luxuriöse Applikationen wie Kristalle bedeckten die nackte Haut. Kleine Handtaschen aus Plexiglase wurden wie Juwelen getragen. In diesem Zusammenhange bedeutete der diskrete Stil mehr Raffinesse denn Idealisierung.

Die italienische Modeschöpferin Simona Marziali aus einer Familie mit langer Tradition in der Textilindustrie – ihr gehört die Strickwarenfabrik Tomas srl – hatte als studierte Meisterin in Strickgestaltung im Jahre 2012 die Marke „MRZ“ gegründet und im Jahre 2018 den Wettbewerb „Who is on Next“ gewonnen. Seither trafen Elemente der Sportbekleidung auf Weiblichkeit und Schneiderkunst bei ungewöhnlicher Verwendung von Gestricken. Auf der Suche nach dem Sinne der Männer für Freiheit dachte sie nunmehr an eine Welt ohne Grenzen, wo sich weit voneinander entfernte Bevölkerungsgruppen und unterschiedliche Kulturen mischten. Inspirationsquelle waren Marokko und die Berbergemeinschaften. Komplexe kulturelle und ästhetische Einflüsse gingen in der Kollektion eine Synthese ein. Die Blautöne der Garne und Stoffe mit Jeanseffekte standen für die Wände der Stadt Chefchaouen und kontrastierten mit eindrucksvollen Graphiken. Die Raute als typische geometrische Form im Muster marokkanischer Teppiche und als Ausdruck individueller Kreativität bereicherte die Stickerei und Einlegearbeit, um den Formen Dreidimensionalität und den Gesten Theatralität zu geben. Jacken, Röcke und Hosen aus pflanzlichen Stoffenwie Leinen und Hanfe spiegelten in rauher, aber raffinierter Optik die Textur marokkanischer Landschaften wider.

Strickstücke waren aufs neue der Protagonist der Kollektion, und zwar in Gestalt langer und breiter Pullover aus einem groben, unregelmäßigen Gewebe, was unfertig aussah. Die scheinbare Zufälligkeit bei Formen und Volumen waren eine Botschaft der Vollständigkeit; das Überlappen an Kleidungsstücken sollte die Trägerin von Standardregeln befreien. Zweireihige Blazer, Westen und Hosen, womit auf die Kunst der Herrenschneiderei angespielt wurde, erhielten kleine Dessousdetails, um die Silhouette weicher, mithin weiblich, wirken zu lassen. Die Inspiration für das leichte Lochgestrick kam von den Fensterstangen der Gebäude. Reines Weiß, Cremeweiß, Sandgelb, Fleischrosa und Schwarz hatten eine graphische Wirkung. Intensive gesättigte Töne, typisch für Berberteppiche, brachen die Einfarbigkeit und verschmolzen mit die marokkanische Landschaft bis ins Unendliche durchdringenden Pastelltönen. Die im Hause des Mailändischen Philologischen Zirkels gezeigte Kollektion war ein „chromatischer Synkretismus“. Simona Marziali interpretierte den Zeitgeist mit „schräger Sensibilität“ frei von gesellschaftlichen Konventionen und Zwängen; sie fühlte sich „frei wie der Wind in der Wüste, kraftvoll wie der Duft von Sandblumen“.

Die Kollektion der in Giano dell’Umbria beheimateten Marke „FABIANA FILIPPI“, die im eigenen Hause in Mailand vorgestellt wurde, stellte einen sommerlichen Spaziergang durch die Natur dar. Die Route begann in den Dörfern auf den grünen Hügeln des Périgord, führte durch Neuaquitanien und endete in La Teste-de-Buch, einem idyllischen Orte, um den Sonnenuntergang über dem atlantischen Ozeane zu bewundern. Die Kleidungsstücke gaben die ins Auge fallenden und die Sinne anregenden malerischen Einflüsse wieder. Das im Sonnenlichte schimmernde Weiß des Sandes der imposanten Düne von Pilat, das intensive Grün der sich in Richtung Küste erstreckenden Blätter und das kristallklare Aquamarinblau der Reflexionen im Meere kamen hier zusammen. Die Erinnerung ans Hinterland blieb lebendig dank dem Geruche von Zitronen inmitten von Walnußbäumen und Pfirsichblüten; das Gelb der Sonnenblumenfelder in der Ferne vervollständigte das Bild. Besondere Schnitte verliehen den eher androgynen Kleidungsstücken mehr weibliche Geschmeidigkeit. Dekonstruierte Hosenanzüge ähnelten in Hinsicht auf die Form Kimonos. Jacken, gleichviel ob als Smokingjacke oder zweireihiger Blazer, wirkten lässig. Ein sehr leichter Trenchcoat bestand aus sowohl natürlichen als auch technischen Materialien. Sehr leichtes Garn und dickes Kettengewirk gab es für übergroße, gestreifte und mit Fransen besetzte Strickstücke. Baumwolle und Leinen begegneten sich überdies auf seidener Grundlage. Tüll ließ Abendkleider wie in einem Traume schweben. Seidenorganza hob die transparente Kleiderarchitektur hervor. Gestreifter Grosgrain kam zu Kleidern aus gekräuseltem Stoffe. Seidenvoile wirkte im Winde leicht und luftig. Handgeflochtene Fransen und Sangallo-Ösen verschönerten obendrein die Kleidungsstücke. Dreidimensionale Texturen taten ein übriges.

„Der Mensch kommt vor dem Kleidungsstücke, das er trägt“, lautete die Devise der Modeschöpferin Daniela Gregis aus Bergamo mit ihrer seit der Kindheit gepflegten Leidenschaft fürs Häkeln. Im Garten der Sankt-Ambrosius-Kirche waren farbenfrohe Kleider zu sehen. Leinen und Baumwolle erschienen in der Farbe des Honigs. Apfelsinen und Kastanien waren weitere Farbgeber. Leichte Stoffe, einfache Texturen und strukturierte Volumen zeugten von Spiritualität. Schwankende Beutel waren die passenden Accessoires.

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