In der Sonne
Die Mode und die Polemik
In diesem Sinne war der polemische Charakter des britischen Musikers, Komponisten und Friedensaktivisten John Winston Lennon sowie der japanisch-amerikanischen Künstlerin, Filmemacherin und Sängerin Yoko Ono – deren gemeinsame Hochzeit im Jahre 1969 und das folgende „Bed‑In“ für den Frieden waren eine Quelle globaler Aufmerksamkeit gewesen – der Ausgangspunkt der Kollektion. In einer Endlosschleifenaktion liefen Mannequins im Rhythmus der eigenen „inneren“ Trommel übers Veranstaltungsgelände und hielten dabei statt einer Handtasche ein silbern-metallenes Audiowiedergabegerät in Form eines Kegelstumpfes in der Hand. Aus dessen Lautsprechern drang eine Klanglandschaft aus Kirchenglockenläuten, Automobilhupen, Vogelzwitschern, Sprechgesange von Menschen sowie Liedern der Rock- und Volksmusik, was beim Vorbeilaufen Harmonie und Dissonanz zugleich hervorrief. Im Freiraume der Erwartungen beantwortete man unter der kreativen Leitung des aus Gibraltar stammenden Modeschöpfers Juan Carlos Antonio Galliano Guillén alias John Galliano die Frage, was lässig und was gut angezogen bedeute, mit sowohl britischer als auch japanischer Tradition. Von der Smokingjacke bis zur Trainingshose wurde alles neu erfunden und dem ursprünglichen Kontexte entnommen, um etwas anderes zu schaffen.
Gebrochen weiß waren der Jersey von T‑Leibchen und der Tüll von Tutus als drapierten und gestuften Einzelteilen, die als verschleierte Blusen beziehungsweise als Kleider samt Spaltöffnungen entweder offen oder andersherum, das heißt von hinten nach vorne, tragbar waren. Blazer samt Schalkragen aus schwarzem Leder, weißem Seidensatin oder blauer, zerfetzter Serge de Nîmes waren an den Seiten so geschlitzt, daß sie gerade fielen oder sich um den Körper binden ließen. Der weiße Arbeitskittel kehrte mit einem schattigen Strauße Tulpen zurück. Das Logo „MM6“, die Ziffer „6“ oder die Devisen „They Are Two Of A Kind“ und „BETTERHALFISM“ zierten Kleidungsstücke vom kreisförmigen Deckchenkleide bis zum fleischrosa Bodysuit als Zeichen des Feierns und der Hingabe. Eine Neuheit beim Schuhwerke wurde eingeführt. Eine Blechdose bildete den Zylinderabsatz an Stiefeln und Sandalen, um mit einem ironischen Augenzwinkern aufs traditionelle Blechdosengeklapper nach der Hochzeit eines Paares anzuspielen. Zudem gab es Sneaker in neuen Formen und Stiefel samt eckiger Kappe, welche den markentypischen zylindrischen Absatz mit dem „6“‑Stempelaufdrucke hatten. Badeschlappen hatten außerdem Rüschen. Ein Spiel mit Perlen- und Korsagedetails kam hinzu. Neben Accessoires wie Alice-Haarbändern und winzigen Origami-Beuteln dienten „gefundene Objekte“ wie Sicherheitsnadeln und Hausschlüsselanhänger, also klischeehafte Symbole des häuslichen Lebens, als Schmuck. Übrigens durften sich die Gäste neben Prosecco einer Hochzeitstorte erfreuen.
Im Jahre 2015 hatten die Modeschöpferin Andrea Piccione aus Syrakus und Michela Xiang aus Bologna die Marke „L.M AGNESE“ als eine Symboise aus zeitgenössischem „westlichem“ Stile und traditioneller chinesischer Kultur in Shenzhen geschaffen. Der Spielfilm „la piscine“ – in deutscher Fassung: „DER SWIMMINGPOOL“ – des französischen Filmregisseurs und Drehbuchautors Jacques Desrayaud alias Jacques Deray aus dem Jahre 1969 und der Spielfilm „A BIGGER SPLASH“ des italienischen Regisseurs Luca Guadagnino aus dem Jahre 2015 brachten einen Fluß von Bildern und Gedanken als Inspiration zu der im Hotel „
Ein zwischen Gegensätzen schwingendes „sartoriales Oxymoron“ war die Kollektion der in Quistello nahe Mantua beheimateten Marke „gentryportofino“. Die kreativen Leiter Matteo Smaniotto und Mirta Rana Tierelli ließen Mikro und Makro, Weiblichkeit und Männlichkeit, Yin und Yang gegeneinander wirken. Tuniken, Mantelkleider aus Rohleinen, lange kurvenreiche Kleider in verbrannten Farbtönen, Jumpsuits in Terrakottatönen, schneeweiße Anzüge und große netzartige Pullover wiesen weiche, abgestufte, verblassende Konturen auf. Die Kollektion „SILENT SUN“ erschien eher wie ein langsamer Spaziergang denn wie eine Reise; die Wärme und Helligkeit des Mittelmeereraumes erfaßte einen Lichtstrahl aus dem Hohen Norden, was nicht von ungefähr „calore nordico“, das heißt nordische Hitze, genannt wird. Der Brunnensaal des im Palazzo dell’Arengario untergebrachten Museums des Zwanzigsten Jahrhundertes (Museo del Novecento) verstärkte die Dichotomie der Kollektion. Der minimalistische Stil des Museums und das warme sommerliche Licht der Kulisse zwischen den Zitronenbäumen nebst den Kollektionsfarben standen einander gegenüber. Zitrusdüfte und mediterrane Klänge umrahmten die Kleider an den Mannequins auf sommerlich anmutenden Schaukeln. Diese „ätherische Eleganz“ war ein traumhafter Zufluchtsort.
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