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Das tägliche Abenteuer

Die Mode und die Erosion

Bunte Weste – die Modenschau „Laura Biagiotti“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 11. Mai 2019
Die Römer Bekleidungsmarke „Laura Biagiotti“ stand von jeher für das Ideal zeitloser Schönheit, also für einen Stil, welcher über die Zeit hinweg Bestand hatte, weil er Trends trotzte und vor der Vergänglichkeit von Mode gefeit war. Die Modeschöpferin Lavinia Biagiotti Cigna überarbeitete und verfeinerte das im Jahre 1975 von ihrer Mutter als Markenlogo entworfene „LB“‑Monogramm, um dieses Wahrzeichen an die Spitze der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2019/2020 zu setzen. Daneben befaßte sie sich mit der „kulturellen Tiefe“ der Mode und sah in der heutigen Zeit die neuen 20er Jahre, woraufhin sie mit der Kollektion anregte, das „Abenteuer eines jeden Tages“ mit mehr Selbstbewußtsein zu erleben.

Auf der Modenschau am 24. Februar 2019 im Mailänder Theater „PICCOLO TEATRO DI MILANO ● TEATRO D’EUROPA“ hatte das Monogramm als Markenlogo die Oberhand, was nicht nur für die Kollektion, sondern auch für die Laufstegkulisse galt. In großer oder kleiner Version zeigte es sich als Stoffdruck an den meisten Kleidungsstücken wie Staubmänteln, Jacken, Westen und Pullovern. Es tauchte ebenfalls an den Accessoires wie Stiefeln, Gürteln, Brillen, Ohrringen und Handtaschen auf, und zwar als Stickereirelief, Wolljacquardmasche oder Seidendruck. Für die übrigen Stücke gab es Tartan, Karomuster, Fürst‑von‑Wales-Muster und für Damast typische Blumenmotive. Auf die Markenvergangenheit wiesen die graphisch überarbeiteten Paisleymuster an Zipfeljacken, Hosen und kleinen, mit winzigen Fransen angereicherten Stücken hin. Von den für die Marke typischen weißen Modellen, teilweise mit Kristallstickerei, abgesehen, überlagerten sich Kontrastfarben zu starken Farbeffekten. Da die Kollektion ganz auf den Tag ausgerichtet war, fehlten Abendkleider. Über Strickkleider hinaus kehrten Puppenkleider als Markentradition in neuen Farben und mit neuen Stoffdrucken zurück. Abseits von Daunenjacken hatten Jacken einen eher maskulinen Schnitt. Pullover bestanden aus Kaschmirwolle. Röcke kamen in Minilänge vor. Unterröcke aus kaum fühlbarer Seide und Spitze in zarten Farben ließen sich in einem kühnen Spiele von darunter und darüber tragen. Jumpsuits waren eine Neuheit; samt hoher Taillenpartie an der Hose und samt Kordelzuge bauten sie eine Brücke zwischen Sport- und Tagesbekleidung. Die Kollektion beinhaltete noch Mäntel und Westen. Zu guter Letzt tauchte das amerikanische Mannequin Patricia Cleveland, eine Muse etlicher Modeschöpfer in den 1980er Jahren, auf, um die Modenschau mit ihrem unverwechselbaren Gange im Rahmen einer gutmütigen, amüsanten Parodie auf jüngere Kolleginnen abzuschließen. Alles in allem verbanden sich in der Kollektion Eleganz, Romantik und Sinnlichkeit mit unnachahmlicher Klasse und lockerer, sportlicher Haltung.

Im Palazzo Turati wandte sich der Modeschöpfer Cristiano Burani aus Carpi bei Modena einer Neuinterpretation des japanischen Imaginären zu mit der Folge, daß ein Stilmix –  Kimono/Obi, Sumosport, Kolleg und Puppe – die Kollektion „#TOKYOUNFINISHED“ prägte. Polyurethan war das Material der großen Reißverschlüsse an Trenchcoats, Mänteln aus Kaschmirwolle, Jacken aus Alpakawolle und Samuraihosen aus Leder, an deren Rändern eine handgemachte Stickerei aus Mohairwollfäden ein geometrisches Muster bildete. Mit der Hand zu großen Zöpfen und unregelmäßigen Maschen verstrickte Alpakawolle sowie ungewaschene und mit Prägedrucke behandelte Serge de Nîmes ergaben ein ansehnliches Paar. Silbernes Fuchsfell und naturweißes Nerzfell, mit gleitenden Fäden handbestickt, waren die Materialien für Kimonos und übergroße Schultertaschen. Die auf handgemachten Spezialfarben beruhende Stoffärbung, die als unregelmäßige Schraffur einem abstrakten und dreidimensionalen Muster gleich erschien, gab Tokios Winterfarben wieder. Vom Herbstlaube japanischer Gärten beeinflußte warme Farbtöne gingen auf handgemachten mehrfarbigen Flockdruck zurück. Die Farbpalette umfaßte Schwarz, Weiß, Grau, Rotorange, Rosa und Säuregelb.

Im Palazzo Giureconsulti präsentierte der japanische Modeschöpfer Atsushi Nakashima die Kollektion „EROSION“. Parka und Jacke, Trenchcoat und Jeansjacke, Dufflecoat und „N2B“‑Fliegerjacke verhielten sich jeweils so zueinander, daß ein Element sozusagen schrittweise ins Territorium eines anderen eindrang, um mit ihm eins zu werden. Auf Wolljacquard bildete das „Λ“‑Monogramm als Markenlogo ein Muster. „Kanecaron®“‑Polstoff sah mal wie Naturpelz, mal wie gegen Faserausfall geschützter Kunstpelz aus. Auf ursprünglicher Spitze aufgebrachte künstliche Flocken drückten ebenso wie Überlappungen verschiedener Elemente eine Erosion aus. Ins Markenlogo eingefügte Stickerei aus maulwurfsbraunem Garne verstärkte den Eindruck der Erosion. Die Erosion betraf auch das für die Marke „ΛTSUSHI NΛKΛSHIMΛ“ typische Fischmotiv „ENDRECHERI“, wobei der altertümliche Fisch in Zusammenarbeit mit dem japanischen Sänger und Schauspieler Tsuyoshi Domoto aus der Vogelperspektive auf traditionellem japanischem Papiere mittels Tinte und Fujiyamawasser dargestellt worden war; in gleicher Weise war ein Drache entstanden.

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