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Durchs Rosenfenster

Jugendstil in der Mode

Küssen oder Lächeln fürs Selbstbildnis – die Mannequins Tamara Ťažárová und Magdaléna Havlíčková vor der Modenschau „TONY WARD Couture“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 2. August 2018
Fenster existieren zur Lichtzufuhr und zur Aussicht. Dennoch hat der Begriff etwas Doppeldeutiges. Entweder ist es die bloße Öffnung in einer Gebäudewand oder es handelt sich um einen Verschluß einer solchen Öffnung, welcher in der Regel aus einem in einen Rahmen gefaßten Glase besteht. Die Besonderheit der Buntglasfenster faszinierte den Beiruter Modeschöpfer Tony Ward. So wie die bunten Glasstücke zusammen ein Bild voller Symbolik ergeben, nahm sich Tony Ward vor, die Glasmuster neu zu interpretieren, um mittels der Handstickerei an Kleidern eine Geschichte zu erzählen.

Unter dem Motto „NARRATIVE WINDOWS“ kam der Transparenz eine Schlüsselrolle in der Couturekollektion für den Herbst und Winter 2018/2019 zu. Es war ein hypnotisierendes Spiel aus reinen Materialien. Besondere Nuancen und Volumen entstanden durch transluzente Beläge und transparente Details, welche den Kleidern eine leichte, feminine und ungewöhnliche Note verliehen. Stoffe wie Spitze, Seidenkrepp, bestickter Tüll und transparente bedruckte Folie kamen in neuer Faltung und Mischung vor. Kleider bestanden aus handgewebten Bändern und beruhten auf komplizierten Nähtechniken, was bis zu sechshundert Stunden Arbeit erfordert hatte. Die Farbpalette orientierte sich an den bezaubernd im Sonnenlichte leuchtenden Glasfenstern: Puderblau, Zigeunerblau, Rot, Gold, Weiß und Schwarz. Die Moskauer Modeschöpferin Yana Markova vervollständigte die am 2. Juli 2018 in der Kirche Oratoire du Louvre präsentierte Kollektion mit eigens gestalteten Ohrringen und Haaraccessoires.

Für die japanische Modeschöpferin Yumi Katsura lautete das Motto: „La Quintessence du Japonisme“. Mit der neuen Kollektion feierte sie im Festsaale der Bürgermeisterei des 4. Arrondissements von Paris die einhundertsechzigjährige Freundschaft zwischen Frankreich und Japan. Inspirationsquelle war die Verbindung zwischen dem Jugendstile beziehungsweise Art Nouveau mit seinen geschwungenen Linien und dem japanischen Kulturerbe, wobei Yumi Katsura an den deutschösterreichischen Maler Gustav Klimt, den tschechischen Maler, Graphiker und Illustrator Alfons Maria Mucha, den französischen Maler und Gestalter Charles Martin, den französischen Kunsthandwerker Emile Gallé sowie den britischen Maler und Textilgestalter William Morris dachte. Yumi Katsura schlug eine Brücke zwischen hergebrachten japanischen Techniken wie dem Nishijin-Ori-Weben und Yuzen-Seidenfärben auf der einen Seite und französischer Weiblichkeit, elegant, zeitlos und selbstbewußt, auf der anderen Seite. Yumi Katsura konzentrierte sich auf die Motive des berühmten „Ichimatsu Moyo“-Musters, auch Schachbrettmuster genannt, wofür sie mit den Machern der für die japanischen Blumenmotive bekannten japanischen Stoffmarke „LIBERTY LONDON“ zusammengearbeitet hatte. Natürliche und traditionelle Materialien verknüpfte sie mit kühnen Farben für ein joviales und majestätisches Aussehen.

Die charakteristischen „LIBERTY“-Muster waren in verschiedenen Varianten bei vielen Modellen zu finden. Die typisch japanische Variante galt für Kleidungsstücke aus Seidenmusselin, nämlich für ein Stufenkleid, ein Volantkleid und ein Schleppenkleid samt weiten Ärmeln. Die Mohnvariante galt für Jacquardstoffe, und zwar bei einem Minikleide samt weiten Ärmeln und einem Cocktailkleide samt langen Ärmeln mit einem grünen Strauße als Vogelmotive. Bei der Landschaftsvariante war der Jacquardstoff blasenartig, was ein einseitig schulterfreies Kleid und ein drapiertes Minikleid betraf. Die antike Variante war einem Kleide samt ausgestellten Ärmeln vorbehalten. Von Andō Tokutarō alias Utagawa Hiroshige, einem der stilbildenden Meister des japanischen Farbholzschnittes, stammte der Kranich, welcher das Motiv der Stickerei auf dem traditionellen japanischen sechseckigen „Kikko“-Muster eines voluminösen Mantels war. Dieser Kranich tauchte an einer Twillbluse zu einer überlangen Jacke aus Jaquardstoffe und einer Hose aus Seidentafte wieder auf. Als Stickerei zierte der Kranich nebst einer blauen Blume ein Kleid aus Nishijingewebe in „Ichimatsu“-Musterung vor. Zusammen mit William Morris verantwortete Utagawa Hiroshige sozusagen ein seidenes Capekleid und ein Kleid samt weiten Ärmeln aus Seidensatin und Seidenkreppe. Vincent van Goghs Iris befand sich unter Utagawa Hiroshiges Regen an einem einseitig schulterfreien Kleide.

Das Werk „Korin Nami“ des japanischen Malers und Lackkünstlers Ogata Kōrin beeinflußte ein in „Yuzen“-Weise handgefärbtes Kleid in regenbogenfarbiger Wellenmusterung. Alfons Maria Muchas Mohnblume lag einem Ärmelkleide in quadratischer „Ichimatsu“-Musterung zugrunde. Amethyst und Smaragd aus seiner Hand taten es bei einem Volantkleide aus Seidenorganza. Der Amethyst allein war die Basis eines Kleides in „Ichimatsu“-Musterung mit einem Besatze blauer Perlen. Der besagte Kranich und Alfons Maria Muchas Rubinrot prägten ein rotes, einseitig schulterfreies Kleid und ein Kleid in Empirelinie. Ein in „Yuzen“-Weise handgefärbtes Kleid war die Verbindung für Kranich und Alfons Maria Muchas Sicht auf Casablanca. Auf Gustav Klimt gingen ein Capekleid aus Nishijingewebe und ein Kleid aus Nishijingewebe mit zusätzlichem Seidenmusselin zurück. Gustav Klimt und Émile Gallé waren gleichermaßen der Ausgangspunkt für ein langes Kleid in „Ichimatsu“-Musterung. Das „Ichimatsu“-Muster schmückte noch eine Bluse zu einem Mantel mit sechseckiger Stickerei und einer Hose aus Seidentafte. Kimonos durften bei Yumi Katsura keinesfalls fehlen. Das Modell „Karaori Kikko“ bestand aus weißem chinesischem Tuche mit sechseckigem Muster. Das Modell „La Glycine Traîne“ war grün, wohingegen das Modell „Shireika“ violett war; weiß-grün war demgegenüber das Modell „Aoihukeizu“. Blumenstickerei verschönerte einen schwarzen Kimono.

Der Pariser Modeschöpfer Imane Ayissi blickte auf Afrika nicht als ein einheitliches Land. Afrika war für ihn mehr, genau gesagt ein Kontinent mit einer Vielfalt an Völkern, Kulturen, Sprachen und Landschaften. Bei der Bekleidung dachte er an die Sapeurs, den Boubou, den Raphiabast, die flammenden Farben und die grobe Handwerkskunst. Unter dem Motto „Karralokga“, was auf Ewondo, der Muttersprache des Modeschöpfers, Katalog bedeutet, dekonstruierte Imane Ayissi Klischees und Stereotypen unter anderem mittels Raphiabastspitze im Hinblicke auf minimalistische „Sapeurs“, um die Vielfalt und Reichhaltigkeit heutiger afrikanischer Kulturen zu zeigen. In der Kollektion staken einige Kostproben afrikanischer Textilkunst, was Stoffe aus Gabun, Ghana, Guinea-Bissau, Kamerun, Kap Verde, Madagaskar und Senegal sowie von der Elfenbeinküste betraf. Manjakjacquard oder Kita waren beispielsweise mit Baumwolle aus Frankreich und Italien oder mit Seide gemischt. Traditionelles afrikanisches Drapieren und graphische Elemente, die verschiedene afrikanische Länder symbolisierten, standen Einfachheit und Minimalismus gegenüber. Der Modenschau in der Veranstaltungsstätte „MONA BISMARCK AMERICAN CENTER“ folgte am 3. Juli 2018 ein Diner für ausgewählte Journalisten im Hotel „HOTEL DE SERS“; sogar die vielbeschäftigte britische Modejournalistin Suzy Peta Menkes hatte Zeit für einen Kurzbesuch.

Der Marokkaner Nourredine Amir, Absolvent der Modeschule „ESMOD“ in Casablanca im Jahre 1996, danach Kostümbildner in New York und nunmehr Modeschöpfer in der Gegend von Marrakesch, war der erste Modeschöpfer aus Marokko und der erste Modeschöpfer aus Afrika, den die Fédération de la Haute Couture et de la Mode einlud, eine Couturekollektion zu präsentieren. Die am 2. Juli 2018 im Museum des Institutes der arabischen Welt gezeigte Kollektion ließ den Betrachter in das „Herz“ der Fauna und Flora eintauchen. Nourredine Amir stellte sich einen Meeresboden in seiner unbeweglichen Schönheit vor; die zarte Architektur der Korallen, die organischen Windungen der Muscheln, die spinnennetzartige Feinheit der Seefächer und die sich verflüchtigende Fluidität der Algen hauchten einem Balle der Sirenen Leben ein. Moderne Meeresnymphen tauchten auf in langen oder kurzen Kleidern, rein und fließend, deren Materialwirkungen ihren Ursprung in marokkanischen Traditionen hatten. Von Nourredine Amir magisch neu interpretiert, bestimmten die Traditionen auch Form, Relief und Kontur, denn für ihn ergab sich die Form aus dem Materiale. Vom Halse bis zu den Knöcheln wandernd, ein Décolleté hervorhebend, auf den Hüften sich schlingend oder die Silhouette in ihrer Gesamtheit anzeigend, gab es skulpturale Kleider. Mit anderen Worten führten lange Schnitte und makellos klare Linien sowie eine akribische Materialbearbeitung und ein Übertreten der klassischen Regeln der Stickerei zu „Skulpturen zum Tragen“. Rohe und natürliche Materialien spiegelten die Schönheit der Natur wider. Faden für Faden gezähmt, harmonierten sie mit Seidenorganza oder Seidenmusselin. Noureddine Amir blieb sich selbst treu und folgte keinen Trends; er schuf eben „Kunst zum Ankleiden“.

Bei den Kleidern waren Röhren aus Seidenmusselin, mal in Wellen angeordnet, mal in Zickzackform ausgerichtet, mal verdrillt und goldbraun-metallisch schimmernd, mal verdrillt, skulptiert und metallisch wirkend, mal mit ockerbraunen Flecken Stück für Stück in konischer Form montiert, mal mit zusätzlichen Seidenmusselinspitzen geknittert und skulptiert, das zentrale Gestaltungselement. Zu Spiralen gedreht, werteten die Röhren ein Kleid aus Seidentafte auf. Auch bei einem Bustier erzeugten verdrillte und skulptierte Röhren einen Metalleffekt, wozu ein Rock aus Seidensatin gehörte. Eine handgewundene Röhrenboa aus Seidenmusselin ergänzte ein Kleid aus Seidensatin. Röhren aus mehrfarbigem, handgehäkeltem Tülle und Seidenmusselin wies ein anderes Kleid auf. In der Art von Muschelschalen eingekapselte Röhren zeichneten ein Cape mit Fransen aus Seidentülle in Kombination mit einem Kleide aus Seidenkreppe aus. Knäuel aus Seidenmusselin bildeten einen abnehmbaren Kragen an einer Gandura aus Seidenmusselin. Ein Gandurakleid aus handgeknitterter Seide hatte eine skulptierter Kapuze. Zweifarbiger Tüll und Seidenmusselin waren die Stoffe eines Spitzenkragens an einem Kleide samt Volants aus Seidentülle.

Der Modeschöpfer Kithe Brewster aus den Vereinigten Staaten von Amerika war kein unbeschriebenes Blatt, als er in der Amerikanischen Kathedrale von Paris die Kollektion „DECEPTION“ vorstellte. Nach siebenen Jahren als Moderedakteur und Stilist in Paris sowie weiteren siebenen Jahren in der Londoner Musikbranche neben einer Arbeit für namhafte Modemagazine war er in die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgekehrt, um in Hollywood zu arbeiten. Im Jahre 2000 hatte er als persönlicher Stilist die amerikanische Schauspielerin Julianne Moore beraten. Er hatte auch bei Aufnahmen mit der kanadischen Sängerin Celine Dion und der amerikanischen Schauspielerin Gwyneth Paltrow mitgewirkt. Titelbilder mit den amerikanischen Schauspielerinnen Drew Barrymore, Cate Blanchett, Salma Hayek und Wynona Ryder hatte er verantwortet. Werbekampagnen mit den amerikanischen Schauspielerinnen Halle Berry, Jamie King und Eva Mendes hatte er begleitet. Im Jahre 2004 hatte er sogar den Musikvideofilm „Hey Ya“ des amerikanischen Hip-Hop-Duos „OutKast“ entworfen. Die eigene Bekleidungsmarke hatte er dann im Jahre 2012 geschaffen. Derzeit entwickelte er in einer modernen Interpretation Couturekleidung zu Multifunktionskleidung weiter. Das Rom des ersten Jahrhundertes war die Inspirationsquelle. Die Kunst des Drapierens machte die Sexualität jener Zeit sichtbar. Dies galt auch für die handbemalten, voluminösen Kleidungsstücke. Materialien waren Seide, Wollkrepp und Pailletten. Die Farbpalette umfaßte Schwarz, Weiß, Rot, Fuchsienrot, Grün, Violett und Gold.

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