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Das Bauhaus in Mailand

Die Mode und die Symbolik

Auf der Türschwelle – das Mannequin Irina Kravchenko vor der Modenschau „mila schön milano“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 12. Mai 2018
Bei der heutzutage in japanischer Hand befindlichen Marke „mila schön milano“ gab es etwas zu feiern, denn im Jahre 1958 hatte die italienische Modeschöpferin Maria Carmen Nutrizio alias Mila Schön ihr erstes Atelier in Mailand eröffnet. Der graphische Fußabdruck, den sie mit ihren Kreationen in der Modewelt hinterlassen hatte, harrte einer Neuinterpretation. Alessandro de Benedetti, der heutige kreative Kopf der Marke, nahm sich des surrealen Erbes mit seiner eisigen Schönheit an. Zum sechzigsten Jubiläum präsentierte er unter dem Motto „GRAPHIC ALPHABET“ am 24. Februar 2018 im Palazzo Clerici die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2018/2019, welche er folgendermaßen erklärte: „Die Sprache des Stiles hat eine neue poetische Symbolik.“ Mit den Worten der amerikanischen Schauspielerin Katharine Hepburn ließ es sich so ausdrücken: „Wenn man alle Regeln befolgt, verpaßt man den ganzen Spaß.“

Sieben thematische Abschnitte sah Alessandro de Benedetti vor. Erstens war Zweiseitenstoff ein ikonisches Material, dessen Perfektion sich an den verborgenen Stellen eines Kleides zeigte. Zweitens ging es um aufteilbare zweilagige Stoffe. Sie waren auf der einen Seite kariert und auf der anderen einfarbig. Als Alternative wiesen sie einerseits eine Drapage oder thermische Bandage und andererseits Platin- oder Goldlurex auf; licht und kostbar, waren sie das Produkt bester italienischer Wollherstellung. Drittens standen vom Bauhause inspirierte Stoffdrucke und Einlagen im Zentrum. In Erinnerung an die kraftvollen Pinselstriche im Werke „Komposition A19“ des ungarischen Malers László Moholy-Nagy aus dem Jahre 1927 tendierten die Formen zur Abstraktion. Vom Futurismus beeinflußte riesige Buchstaben kamen hinzu. Viertens hatte Zweiseitenstoff eine wichtige Rolle bei einem schmalen Paletot mit großen Chevroneinlagen, einem Paletot aus Kaschmirwolle und beaujolaisroter Seide sowie einem mit der Hand gefransten Trenchcoat, der außen irischgrün und innen tabakbraun war.

Fünftens stak ein Zweiseitenstoff, der außerseits kamelbraun und innerseits pinselstrichartig gemustert war, in einem Mantel in einer äußerst geometrischen Version. Es gab einen solchen Mantel auch aus seidigem Handschuhleder mit vieren farbigen Einlagen. Darunter befand sich ein Kleid aus leichter Wolle mit lichtpunktartigen Intarsien oder ein Kleid aus leichtem, gerafftem Leder. Sechstens setzte sich ein Hosenanzug aus einer kastenförmigen Jacke und einer Hose in A‑Linie zusammen. Ein anderer Anzug war Gegenstand eines graphischen Spieles mit einer großen Portion des berühmten Markenlogos. Eine Jacke mit dem Buchstaben „M“ auf den Taschen und ein Bleistiftrock samt Gehfalte kraft „Fontana“-Schnittes bildeten ein Schneiderkostüm. Siebtens erschien ein umkehrbarer Trenchcoat in Goldschimmer. Platin war demgegenüber der Farbton einer Bikerjacke mit Chevroneinlagen. Weiß-schwarze, braun-schwarze, schwarz-braune, grün-braune, gelb-goldene oder rosa-goldene Lederschuhe samt Fersenriemen umgaben die Füße, während lange Ringe aus Lederfransen an den Ohren hingen.

Im Karyatidensaale des Palazzo Reale zeigte der Modeschöpfer Cristiano Burani aus Carpi bei Modena am 25. Februar 2018 eine Kollektion, wo sich erotische Obsessionen und Sportlichkeit zu einer urbanen Paarung trafen. Unter dem Motto „FETISH ATHLEISURE“ ergänzten sexy und provokative Elemente Details der Sport- und Freizeitkleidung für eine neue Weiblichkeit. Polyurethan diente zur Hervorhebung der Schultern wie bei Rugbyspielern. Latex kam für erotische Stoffdrucke in Betracht. Wolle für Herrenbekleidung im Fürst-von-Wales-Muster und „Granny’s Check“-Muster sowie schimmernder Lurexjacquard fielen auf mit einem besonderen Materialeffekte, der auf dem Überdrucken mit gummiertem Polyurethane beruhte. Mit der Nadel gelochter und in der Trommel behandelter Serge de Nîmes hatte eine reliefartige Musterung. Gestickte Knotenmotive schmückten Seidentüll. Mit der Hand gesteppte Bänder aus Chiffon sahen wie scheinende Pythons aus. In fluoreszierenden Farben leuchtete gepaarter und gefalteter Polyesterjersey. Kleidungsstücke samt Reißverschlüssen stießen Wasser ab.

Nerz-, Fuchs- und Seefuchsfell (Marderhundefell) in verschieden roten Nuancen, geometrisch geschnitten und mit andersfarbigen Raphiabastfäden handvernäht, bildeten zusammen ein Stückwerk. Überfärbtes silbernes Fuchsfell fungierte als Mähne an bedruckten, mit Daunen gefüllten Latexjacken. Latex verstärkte ärmellose Westen samt Kragen aus Fuchsfelle. Ein Pelzeffekt basierte darauf, daß Strick aus Alpakawolle sowie dreidimensionale und unregelmäßige Strickrüschen durch Netze hindurch und hinter langen Fransen zu sehen waren. Cuissardecreeper aus gummiertem Leder in fluoreszierenden Farben wiesen Klettverschlüsse und sexy Applikationen auf. Vinyl und transparenter Latex waren die Materialien für Stiefel mit Stilettabsatze. Bei der Tanksohle flacher Schuhe handelte es sich um Polyurethan. Ein schwarz-weißes Schachbrettmuster verschönerte das orange Tuch aus Kalbshaare bei einem Kübelhute. Latex und Vinyl eigneten sich eben vortrefflich für Fetischaccessoires. Vinylhalsbänder hatten einen transparenten Latexverschluß. Eine Vinylhandtasche samt gummierten, metallischen Kanten war mit einem Anhängeschlosse zu verschließen. Die Farbpalette umfaßte noch Rosa, Grün, Violett, Grau und Schwarz.

In der Kunstgalerie „GALLERIA CHRISTIAN STEIN“ in Mailand stellte die aus Bergamo stammende und in Castellucchio nahe Mantua tätige Modeschöpferin Rossella Jardini am 24. Februar 2018 die neue Kollektion gerade deshalb vor, weil sie mit der Galeriegründerin Margherita von Stein, die seit dem Jahre 1966 Meisterwerke der bildenden Kunst sammelte und ausstellte, die Leidenschaft für Schönheit teilte. Zwölf Modelle der Kollektion, die ein ästhetisches Konzept und nachhaltiges Manifest verkörperte, waren wie bei einer Kunstausstellung zu sehen. Diese Kollektion beschränkte sich nicht auf eine bestimmte Saison. Unter dem Motto „Metamorphosis“ erhielten wiederentdeckte Basisstücke der Modemarke ein zweites Leben. Stickerei, Besatz, Flicken und alte Knöpfe, alles aus Handarbeit hervorgegangen, milderten mit Ironie die Strenge der Feldjacke, der Cabanjacke und des Trenchcoats. So wurde Gewöhnliches schick und stilvoll. Für Rossella Jardini war die Geschichte hinter den Kleidungsstücken deren wahrer Wert.

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