Elisabetta Franchi, Monica Vitti und die charismatische Ironie
Zurück zum Funkeln der 1970er Jahre
Spontanes Lächeln – das Mannequin Daniela Aciu vor der Modenschau „ELISABETTA FRANCHI“ (Bild: Christian Janssen)
Glamour bedeutete tiefe Ausschnitte und figurbetonte Silhouetten. Einen sexy Rückenausschnitt hatte ein mit funkelnden Pailletten besätes, burgunderrotes Kleid. Ein senfgelbes Kleid aus Chiffon war insoweit asymmetrisch, als dessen Oberteil zur Hälfte kein Kleid, sondern ein steingrauer Blazer war. Ein Faltenkleid war mal senfgelb mit Bodenlänge, mal mourantblau mit Midilänge. Ein petrolblauer Faltenrock in Midilänge ging einher mit einer braun-rot-gelb-blauen Tweedjacke samt großen goldenen Knöpfen in zweien Reihen. Fast bis zu den Knien reichende Fransen in verschiedenen Farben hingen an der mit großen und kleinen Perlen besetzten Unterkante eines Minirockes aus rot-orange-mourantblauem Tweed zu einer mourantblauen Bluse samt Brusttaschen. Romantisch war der herzförmige Ausschnitt an der Brustseite eines senfgelben, kurzärmeligen Hemdes, wo als Muster burgunderrote und orange Wellenlinien schräg verliefen und sich dabei kreuzten, wozu eine burgunderrote Palazzohose getragen wurde. Eine schokoladenbraune Schlaghose paßte zu einer gleichfarbigen Bluse, deren Musterung auf den Initialen der Modemarke, nämlich den kamelbraunen Buchstaben E und den beige Buchstaben F, beruhte. Schokoladenbraun, cremeweiß, lachsrot, steingrau und ocker war das Sturzsparrenmuster eines Jumpsuits.
Eine narzissengelbe, gehäkelte Tunika entbehrte nicht einer gewissen Eleganz. Dominanz deutete hingegen die verstärkte Schulterpartie eines ocker, zweireihigen Blazers an. Falsches Lammfell war das Material eines Mantels. Ein Leitmotiv der Kollektion lautete, Strumpfhosen zu farblich kontrastierenden Stücken der Oberbekleidung zu tragen, was beispielsweise eine burgunderrote Strumpfhose zu einem Minirocke aus schokoladenbraunem Lackleder und einer narzissengelben, taillierten Fransenjacke, eine senfgelbe Strumpfhose zu einem steingrauen Rocke und einem senfgelben, weiten Strickpullover sowie eine pfauenblaue Strumpfhose zu einem senfgelben Minikleide betraf. Metallische Oberflächen sorgten für Glanz. Cuissardestiefel, mal aus straffem Wildleder, mal aus gerafftem, anderem Leder, Kurzstiefel mit Wellengittermuster, Stiefeletten mit angedeuteter Gamasche, Sandaletten samt Knöchelriemen und teilweise samt Plateausohle sowie Loafer bildeten das Schuhwerk. Für die Hände gab es kurze Lacklederhandschuhe. Neben Gürteltaschen, Handtaschen aus bonbonfarbenem Leder sowie Schultertaschen aus Leder und Wildleder war eine pelzige Schultertasche in Gestalt eines Hundes ein Hingucker. Riesige, goldene Ohrringe waren weitere Accessoires.
Die Kollektion des Mailänder Modeschöpfers Mario Dice spiegelte seine persönliche Sicht der Gegenwart wider. Das Weib war für ihn eine facettenreiche Persönlichkeit. Liebe und Haß, Reinheit und Verlangen, Gut und Böse bewegten sich in einem magischen Kreise. In diesem Abenteuer kam Lady Macbeth die Hauptrolle zu, und zwar nicht der Figur des englischen Dramatikers, Lyrikers und Schauspielers William Shakespeare, sondern vielmehr der Figur „Lady Macbeth von Mzensk“ des russischen Schriftstellers Nikolai Semjonowitsch Leskow. Vor Augen hatte Mario Dice allerdings die filmische Umsetzung, das heißt den Spielfilm „LADY MACBETH“ des britischen Regisseurs William Oldroyd aus dem Jahre 2016. Mit Anmut und Leidenschaft erzählte Mario Dice eine Geschichte zwischen emotionaler Zerbrechlichkeit und Willensstärke in Anlehnung an die in Mieder und Krinoline eingeengte, gegen ihr bedrückendes Leben rebellierende Katherine sowie an die hemmungslos ehrgeizige, machtgierige und ihren Gatten zum Töten anspornende, Gruoch, Königin von Schottland. Empfindungen und Erinnerungen verwandelten sich in Kleidungsstücke, wo Weibliches und Männliches koexistierte. Jedes Kleidungsstück sollte seine Trägerin bei ihrer Verwandlung von der unschuldigen Maid übers sinnliche Geschöpf bis zur Person der gefährlichen Tat begleiten.
Nichts war, wie es zu sein schien. In aller „falscher“ Bescheidenheit setzte sich Mario Dice Grenzen. Er konzentrierte sich auf wenige Stoffe und schränkte die Farbpalette ein. Trenchcoats hatten knospenförmige Ärmel. Ein Paletot aus Kaschmirwolle war so einfach wie ein Hausmantel zu schließen. Mit alter Origami-Technik geschaffene Rüschen verschönerten Jacken. Entweder Perlen und Kristalle oder Hahnenfedern schmückten ein nonnenhaftes Etuikleid. Ein Schlupfkleid mit einer einfachen Satinschleife lief in einen großzügigen Rock in A‑Linie aus. Jeder Schritt legte die versteckten Plissés eines „jungfräulichen“, weißen Kleides frei. Miyuki-Perlen bedeckten die Ärmel einer von einem steifen Harzgürtel gehaltenen Tunika aus Seidensatin und Seidenduchesse. Ein rückenfreier Jumpsuit wirkte überaus sportlich. Die Silhouetten ließen an sinnliche Blumen denken. Überhaupt verwandelten sich bei den Motiven Blätter in Tiere. Weitere Materialien waren Baumwolle, Tüll und Spitze; farbiger Gagat kam für die Stickerei in Betracht. Schwarz, Blau, Grün, Rot und etwas Gold waren der farbliche Rahmen. Die in der Veranstaltungsstätte „I Chiostri di San Barnaba“, genau gesagt in deren ehemaliger Kapelle, gezeigte Kollektion ließ eine dystopische Ästhetik erkennen.
Nach der Devise „Strenge und Leichtigkeit“ gingen die Modeschöpfer Piero Cividini und Miriam Cividini aus Gorle nahe Bergamo vor. Eine Strenge der Linien, Proportionen, Farben und Muster prägte jedes Kleidungsstück der im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci vorgestellten Kollektion. Zufällige Kombinationen, extreme Volumen, Texturmischungen und auffällige Details brachen jedoch aus diesem vorab festgelegten Raster aus.
Weitere Bilder