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Zirkusleben

Die Mode und die Uniformität

Tierwohl – Protestler vor der Modenschau „PRADA“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. Mai 2018
Manchmal ruft eine Modepräsentation Empörung und Widerstand hervor. Die italienische Tierschutzvereinigung „ESSERE ANIMALI“ wies in der Mailänder Modewoche darauf hin, daß es in Italien immer noch Pelzfarmen gab. Nach ihrer Angabe starben in Italien einhundertsechzigtausend Nerze jährlich, während eine solche Praxis anderswo in Europa längst verboten war. Anläßlich der Modenschau der Mailänder Marke „PRADA“ im Hause der Stiftung Prada am 22. Februar 2018 protestierten die Tierschützer unter dem Motto „#160MILAVISONI DA SALVARE“ gegen die Tötung von Nerzen wegen ihrer Felle und forderten, daß die nächste Regierung nach der Wahl all dem ein Ende setze. Bei den Gästen und Passanten warben sie um Stimmen beziehungsweise Unterschriften für eine entsprechende Petition.

Mit Proteste brauchte die für die in Bussolengo nahe Verona beheimatete Marke „GENNY“ tätige Modeschöpferin Sara Cavazza Facchini nicht zu rechnen. In die magische und faszinierende Welt eines Zirkus der 1920er Jahre führte sie die Gäste auf der Modenschau im Hause der Società del Giardino. Der legendäre Stummfilm „The CIRCUS“ des britischen Regisseurs, Drehbuchautors und Schauspielers Sir Charles Spencer Chaplin jr. alias Charlie Chaplin aus dem Jahre 1928 war dazu die Vorlage. Der Zirkus, die Kombination aus Disziplin und Spaße, beeinflußte das Gleichgewicht der Kontraste in der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2018/2019. Lebhafte Details lockerten strenge und geradlinige Kleidungsstücke auf, die wiederum verspielten, exzentrischen Kleidungsstücken gegenüberstanden. Die ikonischen Uniformen der Zirkusartisten wie Löwenbändiger, Trapezkünstler und Clowns beeinflußten die Silhouetten und Muster. Die Kleidung sollte wertvoll, vielseitig und persönlich zugleich sein. Eine Smokingjacke mit breitem Revers erschien als sinnlicher Jumpsuit. Ein Frack wurde zu einer Laminathose getragen. Übergroße Trenchcoats aus Kaschmirwolle mit großen Farbtupfen sowie mit schwarzen und weißen Querstreifen hatten einen Tunnelzug.

Argyll-Motive verschönerten das Oberteil glatter Jumpsuits; zusammen mit Stickereien betraf es funkelnde Minikleider. „SWAROVSKI“-Kristalle bedeckten punktartig die Träger eines langen Kleides. Muntere, kurze Hosen in Rautenmusterung paßten zu juwelenartig bestickten Tops. Die spielerische Anziehungskraft der Tupfen milderte den Zwang zu einer äußerst eleganten Haltung bei tüllenen Maxikleidern. Bis über die Knie reichende Stiefel in zweifacher Farbkombination ähnelten überlangen Socken. Zu mehr Lebensfreude und glamourösem Spaße trug auch die Accessoireslinie bei. Drucke, Stickereien und exotische Felle befanden sich an halbkreisförmigen henkellosen Handtaschen. Zu guter Letzt zitierte Sara Cavazza Facchini Charlie Chaplin: „Sie werden dich immer kritisieren, von dir sprechen; es wird schwer sein, jemand zu treffen, der dich mögen wird, so wie du bist! So lebe, tu, was dein Herz dir sagt; das Leben ist wie ein Schauspiel, das keinen Test zuläßt: so singe, tanze, lache und lebe intensiv jeden Tag deines Lebens, bevor sich der Vorhang schließt und das Stück ohne Beifall endet.“

Ohne die Veranstaltungsreihe „Alta Roma“ in Rom zu kommentieren, wies die Mailänder Modeschöpferin Raffaella Curiel darauf hin, daß sich die strikte Trennung zwischen Couture und Prêt‑à‑porter-Bekleidung zusehends auflöse. Heutzutage trügen sogar hochgestellte und angesehene Persönlichkeiten von Kate Middleton bis Beatrice Casiraghi sowohl edle Kleider als auch Jeanshosen. Daneben wachse die Sehnsucht nach Geschichte, Qualität und Handwerkskunst abseits der Oberflächlichkeit. So lag es nicht ferne, die Couturekollektion für den Frühling und Sommer 2018 in der Mailänder Prêt‑à‑porter-Woche vorzustellen. Am besten eignete sich dafür der Innenhof des eigenen Ateliers. Vor einem Hintergrunde aus Bambusschilfe waren achtundzwanzig Modelle zu sehen. Unter dem Motto „Floriography in 3d“ moderierte Raffaella Curiel einen Dialog zwischen realer und virtueller Welt. Sie bezog Stellung gegen die Auswüchse moderner Massenkommunikation, indem sie sich an den französischen Schriftsteller Antoine Marie Jean-Baptiste Roger de Saint-Exupéry hielt: „Alle Sterne blühen mit Blumen.“ Blumen drückten Gefühle aus, was Worte nicht zu vermitteln vermochten; es war die Sprache der Blumen. Luftige, im Winde schwingende Knospen, regten zu neuen Formen an. Ein Anzug bestand aus aquamarinblauer Mikadoseide, wobei siebenundzwanzig gewinkelte Blütenblätter den Rock und gleich viele kleine Biesen die Rumpfpartie der figurbetonten Jacke zierten.

Ein genähtes Lotusblütenblatt schmückte den Rock eines Abendkleides, wohingegen die „graphischen Gewölbe“ offener Callablüten ein langes Abendkleid aus schwarzer Mikadoseide samt weißem Halsausschnitte, ein „Triumph der Linearität“, aufblühen ließ. Schichtung war wichtig. Blätter auf Blätter aus Seidenorganza umhüllten den Ausschnitt eines kleinen mimosengelben Capes. Anderswo lugten sie unter Röcken hervor und rahmen deren Säume ein. Ein kurzes Kleid hatte achtzehn Unterröcke, die durch äußerst genaue Schneiderkunst in wenigen Zentimetern die farblichen Nuancen der Glyzinie von Lila bis Purpur widerspiegelten. Spitze und Kristall waren das Material für dreidimensionale Knospen, welche die gesamte Kollektion punktierten. Sie glitten an den Kleidungsstücken entlang, markierten die Drucke und schmückten die Reißverschlüsse, die den Rücken hinunterliefen. Es kam eher auf eine ästhetische denn erotische „B‑Seite“ an. Eine Alternative zu den „Exzessen mediengeiler Rote-Teppich-Décolletés“ war für Raffaella Curiel ein mit Juwelen und echten Korallen verzierter Gürtel aus Stretchseile an der Taille, der zu einer Minitunika, einer Hose und einem Cape aus Ausbrennerseide und Spitze, gülden und mit Korallen bestickt, gehörte. Für Raffaella Curiel war eine solche Theaterkleidung eine Hommage an den Orient als Garten der Welt.

Der Forderung nach einem langsameren Rhythmus in der Abfolge der Modesaisons kam der Sizilianer Fausto Puglisi nach, indem er seine Prêt‑à‑porter-Kollektion diesmal wie in einer Ausstellung zeigte. Der Modeschöpfer nahm sich am 21. Februar 2018 die Zeit, die Besucher im Hause der Società del Giardino persönlich kennenzulernen, um ihnen die Modelle im Detail zu erklären; die Kleidungsstücke durften berührt werden. Der Kollektion lag die Grand Tour des schottischen Diplomaten, Archäologen und Vulkanologen Sir William Douglas Hamilton, Botschafter am Hofe ​von Neapel, im Mittelmeerraume am Ende des achtzehnten Jahrhundertes zugrunde. Durch die Augen des erfahrenen Kunstsammlers entdeckte Fausto Puglisi seine griechischen und römischen Wurzeln wieder. Das erkennbare Zeichen seines Stiles fand sich als Dekorationsmuster an Kleidern aus Seidenkreppe und Lurex-Seide, an kaum fühlbaren Hemden sowie an wollenen Sportschals wieder. Die Motive wiederholten sich auf der Leinwand aus weißem Leinen – ein ungewöhnlicher Stoff für die Jahreszeit –, womit Fausto Puglisi aufs griechische Theater, insbesondere auf die Kostüme der Medea des griechischen Dichters Euripides, verwies. Dies ergab mit Lackleder an Minikleidern im Barbarella-Stile eine ungewöhnliche Zusammenstellung. Von den futuristischen Objekten des italienischen Künstlers Fortunato Depero inspiriert, bildeten Mäntel in kräftigen Farben und Kleider mit Farbblöcken ein Stückwerk, wo mit Wollkreppe, Mohairbouclé und Lackleder verschiedene kontrastierende Materialien, Texturen und Farben zusammenkamen. Die Neuinterpretation der Klassiker zeigte sich auch bei der Farbwahl mit Himmelblau, Lindgrün, Malvenrot und Kleinkindrosa. Orange und Schwarz wie an altgriechischen Vasen war das neue vorherrschende Farbschema. Es galt eben neue Wege zu finden.

„Einfachheit liegt nicht im Weglassen, sondern in der Synthese“, hatte einst Koloman Moser, Maler und Gestalter unter den Gründern der Wiener Sezession, erklärt. Zu dessen hundertsten Todestage griff der Mailänder Modeschöpfer Arthur Arbesser aus Wien diesen Gedanken auf, um den „Kreis des Alltagslebens in all seinen ästhetischen Aspekten zu schließen“. Kleidung war das Mittel, eine zeitlose Vision, frei von Trends und Jahreszeiten, zu veranschaulichen. Die Referenzen waren vielfältig: Holzintarsien, mundgeblasenes Glas, Keramikvasen, Teppiche oder Metalltreppen. So wurde Strick ein reicher Wandteppich. Kleider in Intarsienoberflächen, während sich Hemden zu schillernden Möbelstücken verwandelten. Streifen als Markenzeichen kamen dank verschiedener Techniken in verschiedenen Variationen. Am wohl kostbarsten war ein von Koloman Moser im Jahre 1902 entworfenes Muster, das Arthur Arbesser dem Archive der Stoffherstellerin Backhausen GmbH in Wien entnommen hatte und in einer zeitgemäßen Version aus Seiden- und Wolljacquard in den Tönen Schwarz, Grau, Rot und Tabakbraun wiedergab. Neben verschiedenen Streifenarten wies die im ehemaligen Hause der Opera Nazionale Balilla (ONB) gezeigte Prêt‑à‑porter-Kollektion eine Reihe Originaldrucke auf.

Es gab bukolische Szenen lebhafter Tiere; Arthur Arbesser stellte Affen, Strauße und Kamele als abstraktes Bestiarium dar. Blumen erschienen nicht mehr süß und romantisch, sondern waren dinglich, solide, mutig und hell wie Farbtupfer, die den schwarzen und weißen Himmel erhellten. Arthur Arbesser beschritt neue Wege, den weiblichen Körper in einen Rahmen zu fassen. Die Volumen umfaßten die Hüften und folgten sanft den Körperlinien, was neue Bewegungen ermöglichte. Arthur Arbesser hatte nicht mehr junge Debütantinnen, sondern reife, starke, entschlossene, kultivierte, nonchalante und körperbewußte Frauen vor Augen, weshalb er auf exzentrische und sinnliche Linien setzte. Dem folgten die Auswahl und der Einsatz der Stoffe. Baumwolle stak in Kleidern und Hemden mit komplizierten Schlitzen. Bedruckte Viskose haftete manchmal am Körper oder floß weit um ihn herum, bis sie auf warmen Loden oder dickes gewachstes Nylon traf. Geometrische Muster und architektonische Details der Wiener Moderne wiesen sowohl die Schuhe des toskanischen Modeschöpfers Fabio Rusconi als auch die von der Mailänder Schmuckgestalterin Nathalie Jean aus Bronze und handgeschliffenem grünem Quarze gefertigten Ohrringe auf.

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