▌EN

Der Gnade Heil

Die Mode und die Erlösung

Ziemlich keck – der Künstlerische Leiter Marco de Rivera und das Mannequin Nadya Yumasheva nach der Modenschau „YANINA COUTURE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 5. Februar 2018
Zum deutschen Komponisten Richard Wagner hatte der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche einst festgestellt: „Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht. Seine Oper ist die Oper der Erlösung.“ Im Werke „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ aus dem Jahre 1845 geht es um die Erlösung durch den Opfertod einer Liebenden, und zwar der nachmals heiligen Elisabeth, Landgräfin von Thüringen, für den Minnesänger Siboto von Tannhausen. So heißt es beim Schlußchor: „Heil! Heil! Der Gnade Wunder Heil! / Erlösung ward der Welt zuteil …“ Dem Erlösungsgedanken nahm sich der Pariser Modeschöpfer Stéphane Rolland mit der Couturekollektion für den Frühling und Sommer 2018 an.

Zum Finale der Modenschau am 23. Januar 2018 erklang, von Les Cœurs Parisiens auf der Bühne der Komischen Oper in Paris gesungen, der Pilgerchor des dritten Aktes: „Beglückt darf nun dich, o Heimat, ich schauen / und grüßen froh deine lieblichen Auen; / nun laß’ ich ruhn den Wanderstab, / weil Gott getreu ich gepilgert hab’. // Durch Sühn’ und Buß’ hab’ ich versöhnt / den Herren, dem mein Herze frönt, / der meine Reu’ mit Segen krönt, / den Herren, dem mein Lied ertönt. / Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden, / er geht einst ein in der Seligen Frieden! / Vor Höll’ und Tod ist ihm nicht bang, / drum preis’ ich Gott mein Leben lang. / Halleluja! Halleluja in Ewigkeit! In Ewigkeit!“ Überhaupt ist Stéphane Rolland ein Freund der Opernkultur, denn in der letzten Saison war das Bastille-Opernhaus der Nationaloper von Paris seine Präsentationsstätte gewesen. Architektur war für ihn obendrein einer der wichtigsten Pole im Entstehungsprozesse der Mode.

Unter dem Motto „Kunst oder Ungezwungenheit“ sah es wie ein Loslassen aus, als sich ein T‑Shirt über einer Röhrenhose aus Leinenlamé wie eine fliegende Skulptur verhielt. Sie kräuselten sich ferner um die Büste, um Krinolinen aus zerknitterter Seidengaze über Shorts aus weißem Leder hervorzubringen. Pollunderensembles, sommerliche Flanellhosen in Maxiweite und Overalls aus weißem Seidenkreppe ermöglichten ein lässiges Auftreten. Das Ausmaß der Bewegung bestätigt Entspannung und Komfort. Übergroße, lange Mäntel aus Platinlamé oder aus schwarzem Grain‑de‑poudre offenbarten eine gewisse Androgynität. In dieser Saison kam Crêpe Satin die Hauptrolle zu; er war puderrosa bei einer langen Robe samt Silbermetallschweife am Décolleté, karamellbraun oder perlgrau bei einer Tunika und sandgelb bei einer Schalrobe, um den Körper hervorzuheben. Bernsteinbraun war ein weiterer, weicher Farbton in der Kollektion. Bei der Stickerei kamen Reflexionen geschnitzten Silbermetalles sowie dreidimensionale Effekte von Laub- und Astmustern vor. Der ultimative Luxus zeigte sich an sechsen außergewöhnlich im Stile der Haute Joaillerie bestickten Kleidern. Sie leiteten die kreative Zusammenarbeit mit dem Genfer Juwelier Albert Boghossian ein.

Der Beiruter Modeschöpfer Georges Chakra befaßte sich bei seiner Couturekollektion mit einer Liebesgeschichte, und zwar selbstverständlich mit einem märchenhaften Ende. Für ihn war die Verführung der Meister des Spieles. Wirbelnde Stoffe, die Leichtigkeit und Verspieltheit andeuteten, verbreiteten einen angenehmen Optimismus. Pastelltöne boten Genuß. Kraftvolle Schnitte waren bereit für einen Flirt mit dem Auge. Kleider waren vorn kurz bis auf Minilänge und aufreizend, während sie hinten lang und fügsam waren. Wunderschön drapierte Stoffe paßten zu behutsam entblößter Haut. Ein Korsett sorgte für Volumen, worüber zarter Musselin floß. Für vollkommenen Glamour stand in moderner Verfeinerung eine Zigarettenhose in Verbindung mit einer Schleppe, wohingegen die Andeutung eines T‑Shirts mit Pailletten versehenen Tüll umfaßte. Weiblichkeit, bestimmt, verspielt und sinnlich, war allgegenwärtig. Transparenz tauchte an unerwarteten Stellen auf, um neue unbeschwerte und fröhliche Silhouetten zu formen. Tüll, Musselin und Seidenorganza, geometrisch gefaltet oder in vielen Schichten drapiert oder als Volant, wurden kombiniert mit Federn, Pailletten, Rosenblättern und auch mit „SWAROVSKI“-Kristallen, die wie Morgentau auflagen.

Stoffe, Federn und Pailletten waren im Atelier mit sorgfältig berechneten Pinselstrichen wie ein Aquarell gemalt worden; mit Buchstaben aus „SWAROVSKI“-Kristallen hatte Georges Chakra eine Signatur hinzugefügt: „Liebe und werde geliebt!“ Auf Schwarz und Weiß bei einer Reihe Kleidungsstücke folgten Pastelltöne wie Lila, Himmelblau, Apfelgrün, Blaßgrün, Zitronengelb, Champagnergelb, Rosa und Grau in Fülle. Einige Kleidungsstücke, mal in Schnurbatik, mal mandarinenrot, versprühten ein Gefühl der Frische. Von zwei Brautjungfern mit einer leuchtenden Frühlingsaura umgeben, erschien am Ende der Modenschau im Museum des Menschen in Paris eine mutige und energische Braut in einem asymmetrischen, vielschichtigen Rocke voller Blumen und Rüschen, um eine hübsche Frivolität zu enthüllen. Ihre Königlichen Hoheiten Camilla Prinzessin von Bourbon-Beide Sizilien und Konstanze Prinzessin von Bourbon-Parma sowie das tschechische Mannequin Petra Nemcova waren überaus begeistert; es war wohl „Liebe auf den ersten Blick“.

Um Liebe ging es ebenfalls bei der Moskauer Modeschöpferin Yulia Yanina, denn im Leben ihrer Protagonistin, einer Künstlerin, Schauspielerin, Sängerin, Schriftstellerin oder Geschäftsfrau, die sich im Winter in Gstaad oder in St. Moritz und im Sommer in St. Tropez oder auf Ibiza aufhielt, gab es gar keine Liebe. Es war eine monochrome Welt, so daß sie nur Schwarz trug. Diese Farbe stand für Klassik, Eleganz, Perfektion, Status und Selbstbehauptung. Trotz deren Modernität bezog sich deren Sinn für Stil und Haltung ein bißchen nostalgisch auf die romantischen 1950er Jahre. Die Natur der „fabelhaften, sonnigen Insel Ibiza“ bestimmte das dekorative Thema der im Hotel „WESTIN PARIS“ gezeigten Couturekollektion. In den Stickmustern waren Variationen vornehmlich tropischer Pflanzen, beispielsweise Palmblätter, reife Trauben bedeckende Weinblätter und sonstige Blüten, zu entdecken. Die Stickereien schienen auf den Kleidern zum Leben zu erwachen. Yulia Yanina bevorzugte Seidentaft, Samt, Tüll und Chiffon; ein neues Aussehen erhielten diese Stoffe durch ungewöhnliche Texturen und dreidimensionale Effekte. Wenn jedoch Liebe in das Leben der Protagonistin trat, ließen sie die Farben der Liebe erblühen wie eine Blume. Sie sollte für immer jung, frei und glücklich sein.

Im eigenen Pariser Atelier der Marke „INGIE PARIS“ stellte die Dubaier Modeschöpferin Ingie Chalhoub die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst 2018 vor. Sie stellte zeitgenössischen Glamour und mit Genauigkeit modernisierte weibliche Kurven gegenüber. Das Bananenblatt als zentrales Element ließ einen Hauch Exotik und Phantasie aufkommen. Der mehrfarbige, übergroße Stoffdruck, der überall vorhanden war, schmückte in kühner Weise Tageskleider aus elfenbeinweißem Crêpe de Chine und Abendkleider aus schwarzem Seidenorganza, wobei Perlen und Kristalle am Kragen, an den Manschetten oder am Kleidgürtel verstreut waren. Die botanische Note wirkte der Geometrie des karierten Brosche aus Lamé und der auffälligen Brillanz schwarzer und goldener facettierter Falten entgegen. Es gab sowohl plastische als auch fließende Silhouetten. Volants und Falten führten zu Kurven und Höhen. Breite, ausgestellte Schnitte machten die Kleidungsstücke bequem. Ein Kleid aus Broché-Lamé war entweder ganz lang oder mittellang. An der Seite eines ausgestellten Kleides samt Wasserfallausschnitte befanden sich geriffelten Stofflagen.

Flauschige Schnüre rafften hochtaillierte, weite Hosen am Knöchel zusammen. Lackierter, plissierter Tüll, schwarzer Ottoman mit kupferfarbenen Akzenten, Broché-Lamé oder Crêpe de Chine verbanden sich mit Seidenorganza oder Musselin zu einem Spiele mit Lichte und Transparenz. Eine silberne, lange, fließende Faltenrobe erreichte eine Konzentration und Reflexion des Lichtes, was die Illusion eines Fischgrätmusters hervorrief. Perlen zierten diskret positionierte Hosenbünde, die auf die Spitze eines Schlitzes hinwiesen. Bügelfalten verschönerten die ausgestellten Ärmel einer weiten Jacke. Ein Lavallière-Band ergänzte Hemdchen samt V‑Ausschnitte. Große Gourmetteketten, um den Ausschnitt gebunden oder um die Hüfte in einer Reihe oder in mehreren Reihen gewickelt, ließen an Rock’n’Roll denken. Eine solche erhabene Raffinesse fand sich bei den Schuhen wie Pumps, Mules und Sandalen sowie bei den Accessoires wie dazu passenden Handtaschen wieder. Gold und Kupfer in glitzernden oxidiert-metallischen Schattierungen sowie herbstliche Rost- und Rohfasertöne ergänzten die düstere Farbpalette mit Schwarz und Blau.

Weitere Bilder