▌EN

Quo vadis?

Die Sorgen der Modestadt Berlin

Ahnungslos – zwei Mannequins vor der Modenschau der ESMOD Berlin – Internationalen Kunsthochschule für Mode (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. Dezember 2017
In der Politik kennt man die Begriffe „failed state“ und „failed town“. In Sachen Mode ist Berlin letzteres, denn der Niedergang als Modestandort hält an. Seit dem letzten Male der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FashionWeek BERLIN“ vom 4. Juli 2017 bis zum 7. Juli 2017 ist nicht klar, wie es mit der Berliner Modewoche weitergehen soll. Überdies stellte die im Jahre 2011 aus der im Jahre 1994 gegründeten Modeschule „ESMOD Berlin“ hervorgegangene ESMOD Berlin – Internationale Kunsthochschule für Mode ihre Aktivitäten zum 1. Oktober 2017 ein, nachdem schon am 13. Mai 2017 die im Jahre 1989 gegründete Modeschule „ESMOD München“ mit der Zertifizierung ihrer letzten Absolventenklasse auf der letzten Modenschau zu Gunsten ihrer Berliner Partnerin aufgegeben hatte.

Letztlich tat der ESMOD Private Modeschule VIATHEA GmbH als Trägerin der Wandel von einer privaten Modeschule zu einer Kunsthochschule nicht wohl, weil die Grundidee der Modeschule und die Hochschulambitionen einfach nicht zusammenpaßten. Die Vorgänge stellen sich folgendermaßen dar. Nach den Vorgaben der französischen ESMOD International SA, der Trägerin der Höheren Schule der Mode (ESMOD) in Paris, als Franchisegeberin hatte das Berliner Pendant der ESMOD Private Modeschule VIATHEA GmbH als Franchisenehmerin eine feste Struktur. Der Unterricht erstreckte sich vornehmlich auf zwei Fächer, nämlich Modelismus und Stilismus, wo das Handwerkliche den Wesenskern bildete. Aus diesem Grunde waren die Modeschüler in ihrer Art anders als die Modestudenten an den staatlichen Hochschulen. Silvia Kadolsky und Klaus Metz, Gründer und Gesellschafter-Geschäftsführer der ESMOD Private Modeschule VIATHEA GmbH, erstrebten jedoch im Laufe der Zeit „höhere Weihen“. Im Zuge des Wandels wurde ein „Master“-Studiengang in Nachhaltigkeit eingeführt.

Im Jahre 2011 erhielt die Modeschule eine Akkreditierung als Kunsthochschule unter Auflagen. Der international anerkannte „Bachelor“-Abschluß ersetzte das bis dahin übliche Zertifikat. Zusätzlich gab es fortan eine internationale Klasse mit Englisch als Unterrichtssprache. In der Folge veränderte sich mit den neuen, strengen Aufnahmekriterien die Zusammensetzung der Studentenschaft. Zugleich verringerte sich die Anzahl der Studenten. Schrumpfenden Umsätzen standen auch noch steigende Kosten gegenüber. Im Frühling 2017 prüfte der Berliner Wissenschaftsrat bei einer Begehung, ob die Voraussetzungen für die endgültige Akkreditierung als Kunsthochschule erfüllt seien. Am 14. Juli 2017 stellte er daraufhin fest, die ESMOD Berlin – Internationale Kunsthochschule für Mode erfülle die konstitutiven Voraussetzungen der Hochschulförmigkeit nicht, denn sie entspreche nicht den wissenschaftlichen Maßstäben einer Hochschule. Im wesentlichen wurde bemängelt, das Hochschulkonzept sei nicht stringent umgesetzt worden: „Insbesondere auf Seiten der Trägerin war keine hinreichende Bereitschaft erkennbar, die mit der Umwandlung zu einer Hochschule einhergehenden finanziellen und strukturellen Konsequenzen vollumfänglich mitzutragen.“ Darüber hinaus leide sie an „intransparenten und wechselnden Zuständigkeiten sowie unklaren Entscheidungskompetenzen“.

Die Prüfer hielten den Franchisevertrag in seiner gegenwärtigen Form für geeignet, die Freiheit von Forschung und Lehre in erheblicher Weise zu gefährden. Vorgaben zur Auswahl des Lehrpersonales und der Lehrmethoden sowie zur Gestaltung der Prüfungen stünden im Widerspruche zu den hochschulischen Ordnungen und in vielen Punkten nicht im Einklange mit dem Landeshochschulrechte. Professuren mit Schwerpunkte in wissenschaftlicher Lehr- und Forschungstätigkeit seien nicht vorhanden. Erhebliche Mängel zeigten sich in der Studienorganisation, im Prüfungswesen und in den Verfahren zur Anrechnung außerhochschulisch erworbener Fähigkeiten. Ein Forschungskonzept und ein Forschungsbudget fehlten oder hätten nicht den erforderlichen Entwicklungsstand. Freiräume für Forschung beziehungsweise Kunstausübung seien nicht erkennbar. Die Vermittlung analytisch-wissenschaftlicher Fähigkeiten und theoretischer Kenntnisse habe in den Studiengängen zu wenig Gewicht. Die Datenverwaltung weise schwerwiegende Mängel auf. Das Fazit der Prüfer lautete, die ESMOD Berlin – Internationale Kunsthochschule für Mode sei ihrem Selbstanspruche, Kunsthochschule sein zu wollen, nicht gerecht geworden. Am Standorte München hatte man übrigens auch mit rückläufigen Schülerzahlen und wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen gehabt.

Am 28. September 2017 erfuhren die Studenten der ESMOD Berlin – Internationalen Kunsthochschule für Mode von der bevorstehenden Einstellung des Lehrbetriebes. In der Rückschau konnte das Motto der letzten Absolventenschau am 14. September 2017 kaum passender ausfallen: „A NEW PERSPECTIVE“. In der Veranstaltungsstätte „Anomalie“ waren achtundfünfzig Kollektionen zu sehen. Zwischen den zweien Defileeabschnitten gab es eine Installation. Die siebenundzwanzig Kollektionen des zweiten Abschnittes bewertete eine internationale Jury. Die Studentin Yulia Kjellsson wurde mit dem Preise „Prix Créateur“ für die herausragendste Kollektion ausgezeichnet. Den Preis der Jury erhielt Thi Thuy Trang Nguyen; die goldene Nadel als Symbol einer großartigen Leistung bekam Vivien Adrian. Die Installation beinhaltete Kleidungsstücke, die im Rahmen des Projektes „Beyond Seeing“ in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut e. V., dem Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband eV, dem Französischen Institute der Mode (IFM), der Höheren Nationalschule der visuellen Künste La Cambre in Brüssel, der Textilschule der Universität von Borås in Schweden und dem Fachbereiche Architektur der Hochschule Wismar entwickelt worden waren. So hatten sich Modestudenten und Sehbehinderte zusammengetan, um innovative Gestaltungskonzepte zu entwickeln. Dies führte zu Kreationen zwischen Mode und Kunst, deren wirkliche Bedeutung nur denen vermittelt wurde, die ihre Augen schlossen.

Am 14. Oktober 2017 stellten sich auf der Modenschau „seefashion17“ in der Veranstaltungsstätte „motorwerk BERLIN“ die Studenten und Absolventen der weißensee kunsthochschule berlin vor. Bei den Absolventen des „Master“-Studienganges hüllte Yvonne Wadewitz ihre Kollektion „Präripherie“ in eine Westernatmosphäre; Stoffdrucke zeigten Photographien rostig-roter Gebirgsketten. Carine Kuntz und Alexander Gaertner tauchten unter dem Motto „Ekma“ die Welt in Schwarz und Weiß, nur stellenweise von Mustern in verschiedenen Grautönen gestört. Pauline Lotta Langmaack nahm sich unter dem Motto „Inside/Insight“ der mythischen Gestalt Medea an, indem sie roten, rosa und hellblauen Latex gleichsam von innen nach außen drehte. Julia Kamenz weckte mit ihrer Kollektion „LSF 30“ die Lust auf eine sommerliche Urlaubsreise; Blau, Gelb, Orange, Weiß und Silber waren die passenden Farben. Céline Kesselring setzte sich unter dem Motto „Soliloquy“ mit der Weiblichkeit auseinander, wobei sie Rosa, Aprikosengelb, Seegrün und Schwarz bevorzugte. Aileen Klein stellte nach der Devise „Damen 2017“ glänzende Hosenanzüge neben matte Mäntel. Selin Sahin ließ unter dem Motto „Transparent den Saum des Meeres“ Transparenz auf Weiß und Blau prallen.

Judith Bondys verspielte Kollektion „Fillette“ mit Tülle, Schnüren und Federn sowie Pastelltönen war eine Anspielung auf die eigene Kindheit. Florian Schulze liebte es unter dem Motto „Put me back together again“, Stoffe zu zerstören, um ihre wahre Schönheit zu zeigen. Cecilia Pohls Kollektion „#happynation“ im Straßenstile richtete sich an gut gekleidete Rebellen. Philipp Lenke konzentrierte sich unter dem Motto „Anzug 1‑7“ auf Anzüge aus grauer Schurwolle. Sanja Lukenda widmete sich unter dem Motto „традиција“ alten Formen, hellen Farben und fließenden Stoffen. Chi-Mai Schreibers Kollektion „How to become a better person“ enthielt Trenchcoats und geraffte Kleider, deren Material schimmernder Latex war. In Lea Röschs Kollektion „Disobedient Garments“ kam Fell vor. Lina Phyllis Falkner brachte in ihrer Kollektion „Burnout, Bianca“ Drapage, Streifenmuster und Übergröße zusammen. Frida Beyer beschäftigte sich nach der Devise „We See What We Want“ mit dem Schatten, genau gesagt mit Schattierungen von Beige und Graublau. In Regina Webers Kollektion „Fleur Invader“ war die Schönheit des Verfalles beziehungsweise die Vergänglichkeit der Schönheit ein Thema; Kunststoffe, Blumendruck sowie die Töne Bordeauxrot, Gelb und Rosa stellten keinen Gegensatz dar.

Bei den Absolventen des „Bachelor“-Studienganges setzte Dina Kemmerling unter dem Motto „Eigendynamik, die“ auf klare Schnitte und gedeckte Farben. Yudhi Mulyawan Adhimiharjas farbenfrohe Kollektion „Into the Wild“ prägten glänzende Stoffe mit Blumendrucken. Jakob Richter setzte unter dem Motto „Project06“ die Radlerhose in Szene. Johanna Liebl versah unter dem Motto „Traversée“ Stoffe mit Bändern und Seilen. Maria Miotke bewegte sich mit ihrer Kollektion „Baustelle in 2 Akten“ zwischen Spielplatze und Baustelle; eine witzige Zutat waren die grotesk und clownesk hergerichteten Münder der Mannequins. Georg Friedrich Gebhardt setzte nach der Devise „Interpretation von Schleifen“ Schleifen und lange Bänder ein. Alina Rentsch und Luisa Kleemann zeigten unter dem Motto „Formation“ Kleidungsstücke, die wie ein Puzzle zu unterschiedlichen Aufmachungen individuell zusammengestellt werden konnten. Cecile Schou Gronbeck interpretierte unter dem Motto „Worthless Treasures/ohne Titel#1“ eine Tracht mit neuartigen Formen und Mustern neu. Die Studenten im Grundstudium befaßten sich unter dem Motto „Plastische Formfindung“ mit der Drapage, wohingegen die Studenten im Hauptstudium unter dem Motto „Flüchtig“ der Oberflächlichkeit und Fehlerhaftigkeit der Mode nachgingen, beispielsweise mit gezielt fehlerhaften Schnitten. Ein Projekt im Hauptstudium drehte sich darüber hinaus um die Balance zwischen Kunst und Kommerze sowie zwischen Couture und Konsume. Ein anderes Projekt im Hauptstudium betraf die freie Formfindung. Ein weiteres Projekt im Hauptstudium namens „Out of the blue“ ließ den Studenten freie Hand bei der Material- und Farbauswahl; nach der Devise „Aus heiterem Himmel“ sollten für unvorhergesehene Gestaltungsmomente Formen und Silhouetten aus der Fläche herausgearbeitet werden.

Der Name der Marke „LILLIKA EDEN“ geht zurück auf den Garten Eden sowie die zwei Katzen Lilli und Kasper, welche die Berliner Modeschöpferin Julia Muthig während ihres Studiums in der Schweiz bei sich aufgenommen und großgezogen hatte. Die Marke steht für Eleganz, Reinheit und Nachhaltigkeit; es geht um Luxus, doch nicht auf Kosten anderer. Sonach kommen weder Leder noch Pelz vor. Julia Muthig vermeidet giftige Farbstoffe, Umweltverschmutzung und Ausbeutung. Wenn die in Deutschland gewebten Stoffe nicht das Zertifikat „Global Organic Textile Standard (GOTS)“ haben, dann stammt das Material nach eigenen Angaben zumindest aus „kontrolliert biologischem Anbaue“. Alles soll so regional wie möglich gehalten werden. Es handelt sich sozusagen um Mode aus der Region. Auf der Messe „IFA CONSUMER ELECTRONICS UNLIMITED“ vom 1. September 2017 bis zum 6. September 2017 auf dem Berliner Messegelände präsentierte Julia Muthig eine neue Kollektion.

Weitere Bilder