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Der Sieg der Geometrie

Suprematismus in der Mode

Rückenfrei, bauchfrei, schulterfrei – die Modenschau „VALENTIN YUDASHKIN“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 21. November 2017
Kunst bewegt Menschen. Eine Kunstbewegung verändert die Welt. Bei der Moskauer Marke „VALENTIN YUDASHKIN“ befaßte sich die Modeschöpferin Gala Yudashkina mit der künstlerischen Avantgarde. Ihr Blick fiel auf Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, den in Rußland tätig gewesenen Maler polnischer Abstammung als Begründer des Suprematismus. Die Reduktion auf einfache geometrische Formen zur Veranschaulichung höchster menschlicher Erkenntnisprinzipien, das heißt die Zusammenstellung von mehrfarbigen Flächen sowie geraden Linien, Rechtecken, Gevierten, Kreisen und sonstigen geometrischen Figuren in verschiedenen Farben und Größen, hatte ungegenständliche Kompositionen ergeben, die sich nunmehr in der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2018 wiederfanden.

Im Mittelpunkte der am 2. Oktober 2017 im Palais de Tokyo präsentierten Kollektion standen sowohl graphische Stoffdrucke mit bunten Vierecken und Dreiecken als auch waagerechte, senkrechte und schräge Streifen. Den graphischen Effekt verstärkten Borten an Kleidern, Jacken, Blusen, Tops und Hosen. Zu den lässigen Aufmachungen zählten sommerliche Regenmäntel in Maxilänge, Mäntel aus Leinen und Serge de Nîmes, längliche, voluminöse Jacken mit Reißverschlüssen sowie verkürzte, gerade geschnittene, einreihige oder zweireihige Jacken aus Baumwolle, Baumwollsatin und Sackleinen. Sie eigneten sich für eine Kombination mit großzügig bemessenen, taillenhohen Palazzohosen. Überdies gab es Röcke aus Baumwolle, Leinen und Mantelstoffe in Mini- und Maxilänge mit Streifen, Stickereien und mehrfarbigen Applikationen in Gestalt menschlicher Figuren aus verschiedenen geometrischen Formen, die auf Kasimir Sewerinowitsch Malewitschs Gemälde zurückgingen.

Batist, Baumwolle, Leinen, Seide und Chiffon waren die Stoffe für voluminöse Rockshorts, verlängerte Hemdkleider, Sarafans, Kleider samt ausgestelltem Rocke sowie kurze und lange offene Overalls. Eine Besonderheit waren die praktischen und zugleich eleganten Stücke, namentlich Bustiertops und schulterfreie, mit Volants versehene Blusen samt weiten, wuchtigen Ärmeln. Seidenorganza, Seidensatin, einfache Seide und Tüll waren die Grundlage für Roben mit einer sehr femininen Silhouette. Einige Kleider waren schulterfrei und asymmetrisch, was ihnen einen suprematistischen Charakter gab. Stickereien mit Perlen, Horne und unedlen Steinen waren reichlich vorhanden. Eine Drapage über der Stickerei ergänzte einige Kleidungsstücke so, daß eine dreidimensionale Stickereitextur entstand. Dies ergab zusammen mit den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau und Weiß einzigartige Bilder. Slipper und Mules aus Leder und Wildleder bildeten das Schuhwerk. Die Accessoires griffen das Kollektionsthema auf. Sonnenbrillen hatten runde Ränder in Dégradémanier, Handtaschen hatten suprematistische Drucke und farbenfrohe Rucksäcke wiesen geometrische Applikationen auf. Alles in allem stak die Kollektion voller Anmut und Raffinesse.

Ein Ausflugsboot am Seineufer war der Ort, wo die Modeschöpferinnen Cosima Gadient und Christa Bosch aus der Schweiz am 1. Oktober 2017 die fünfte Kollektion ihrer Berliner Marke „Ottolinger“ zeigten. Viele Elemente wiesen spielerisch auf ihre Schweizer Heimat hin. Das Edelweiß war ein vortreffliches Motiv für Stoffdrucke. Als Accessoire fungierten Goldvreneli-Münzen, ein folkloristischer Glücksbringer. Handgefertigte Ledergürtel hatten das Markenmonogramm als Silbergravur. Ebensowenig fehlten geschnittene und geknüpfte Stoffe, dramatisch ausgefranste Stoffe sowie von einer Lötlampe gebrannte Löcher als Merkmale der „alpinen Punk-Couture-Ästhetik“. Die intuitive Herangehensweise von Bosch und Gadient an Dekonstruktion und Rekonstruktion erzeugte eine beachtliche Spannung.

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