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Der Wind des Wechsels

Neues von der Modemarke „roberto cavalli“

Im Pavillon – die Modenschau „roberto cavalli“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. November 2017
Die in Sesto Fiorentino nahe Florenz beheimatete Marke „roberto cavalli“, eine lokale Marke mit einem globalen Publikum, hatte gewaltige Veränderungen durchlebt. Nachdem Gian Giacomo Ferraris als Leiter der Geschäftsführung des Modehauses dessen Umstrukturierung abgeschlossen gehabt hatte, war es zu einem Wechsel an der kreativen Spitze gekommen. Auf den im Oktober 2016 weggegangenen norwegischen Modeschöpfer Peter Dundas, als kurzlebigen kreativen Leiter, war im Mai 2017 der britische Modeschöpfer Paul Surridge aus dem Bereiche der Herrenbekleidung gefolgt.

Der selbstironische Paul Surridge konnte fortan auf die Unterstützung seitens des Gründers, nämlich Roberto Cavallis, bauen. Der Entwurf und die Präsentation der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2018 war sein Debüt. Als Minimalist wandte er sich von der dekadenten „dolce vita“-Attitüde ab und verordnete der Marke des Schönen und des Kühnen eine neue Sensibilität. Aspekte wie Sportlichkeit, athletische Sinnlichkeit und Wohlbefinden standen fortan im Zentrum. Zugleich verschob er den Fokus weg von der Abendbekleidung hin zur Tagesbekleidung. Die Freilichtpräsentation am 22. September 2017 in einem eigens errichteten Pavillon inmitten des sonnigen Sempioneparkes war eingedenk der Markengeschichte eigentlich viel zu zahm für die Modemarke. Ausgangspunkt der Kollektion „A SPIRIT OF CHANGE, A MOOD OF EVOLUTION“ war das Bild eines modernen fraulichen Chamäleons, magnetisch, stark, kraftvoll und stets in Bewegung. Insofern sollte die Kollektion dynamisch, sportlich und real sein; es ging um Kraft und Zurückhaltung gleichermaßen. Lang waren die Tages- und Abendkleider.

Die Abendkleider erschienen, der sich zart andeutenden Konturen der Brüste ungeachtet, unversehens recht vornehm. Ein nachtblaues, schulterfreies Kleid hatte einen von oben nach unten sich ausrollenden Perlenbesatz in Lochmusterung. Stromlinienförmige, rückenfreie Kleider hatten eine gewisse Sexiness. Zu einem zierlichen Marinekleide mit Ausschnitten für starke Schultern wurden spitze Slipper getragen. Es gab sogar ein paar dehnbare Strickkleider aus der Yogawelt. Üppige Cocktailkleider waren nicht mehr darunter. Die einst auffälligen und extravaganten exotischen Häute waren jetzt anspruchsvoll und schick. Hosen aus Alligatorleder waren karamellbraun oder ahornsirupbraun. Eine Hose kam in Kombination mit einer gegürteten, scharf geschnittenen Bluse vor. Die tierischen Drucke waren nicht mehr sinnlich und exotisch, sondern raffiniert. Ein abstraktes Zebrastreifenmuster, schwarz und rostbraun, tauchte an fließenden, hoch taillierten Hosen und an einem langen Mantel mit großzügigem Revers auf. Das gleiche Muster kam, doch diesmal schwarz und weiß, für einen gegürteten Trenchcoat und eine Bikerjacke mit einer sandgelben Stoffbahn auf der Vorderseite in Betracht. Ein weiteres Muster waren wässrige Pastellblüten. Bei den vielen Tanktops mit Rückseite in Rennfahrerart hob Paul Surridge die Silhouetten an. Alles in allem war es eine Stellungnahme gegen die ständige Verfügbarkeit des Weibes.

Um das fünfzehnjährige Bestehen der im Jahre 2001 in Tokio von den Modeschöpfern Mayo Loizou und Leszek Chmielewski gegründeten, nunmehr in Mailand beheimateten Marke „MARIOS“ zu feiern, gab es eine Modenschau unter dem Motto „ERRORIST GUERRILLA SHOW“ auf dem ehemaligen Industriegelände „Opificio Comunale“. In den Entwurf und die Gestaltung der Jubiläumskollektion „ERRORIST COLLECTION“ zog der Fehler als Regel ein, um ein organisiertes Chaos zu schaffen. Eine Neumontage der markentypischen Modelle veränderte die Volumen, die Funktion und den Gebrauch der Kleidungsstücke in einer Spiralbewegung. Die neue Kollektion war offen für den Mut der Trägerin zur Interpretation der eigenen Persönlichkeit und Stimmung. Das klassische Kleid war hier asymmetrisch, umwickelte sich selbst und bestand aus Stoffbahnen, die frei lagen oder durch Ledergürtel und Stoffe, die das Leben prägte, zusammengehalten wurden. Die abgetrennten Ärmel formten einen Schal oder eine Stola, während der leicht verschobene Kragen eine Öffnung für unerwartete Effekte schuf. Hosen und Röcke wiesen Kräuselungen und Drapagen auf, was die Beine freilegte und den durch die Auswirkung des Fehlers erzeugten Kontrast betonte. Als Multifunktionskleidung hatten T‑Shirts aus Jersey Stoffbahnen, welche die Drucke verdoppelten oder zu Crêpe Georgette mit tierischen Drucken übergingen. Blusen bestanden aus asymmetrischen Teilen. Trenchcoats hatten einen übertriebenen Kragen. Windjacken wickelten sich um den Körper. Dazu traten Schlagballkappen, große Foulards mit einem großflächigen „ERRORIST“-Drucke und klassische Filztoques in Burkaform.

Die Festigkeit der farbigen Serge de Nîmes und des Popelines kontrastierte mit der Anpassungsfähigkeit des Jerseys sowie der Fluidität des Crêpe Georgette und Seidensatins wie auch mit der Dynamik des Nylons; die Außergewöhnlichkeit und Ziehbarkeit der Pailletten kam hinzu. Das Tragen störte die gewöhnliche Beschaffenheit der Pünktchen und des Tierdruckes. Der Schriftzug „ERRORIST SPRING SOMMER 18 MARIOS“ tauchte an rückenfreien Kleidern, falschen T‑Shirts, Faltenröcken und Einkaufstaschen auf. Die Farbpalette umfaßte Rot, Orange, Gelb, Grün, Weiß und Schwarz. Ein Bahnenkleid aus Mikrofasern mit schwarzen, weißen und korallenroten Pailletten sowie darauf abgestimmte Leggings, beides aus der Sonderkollektion „FANTAMARIOS“ in der seit der vorletzten Saison bestehenden Zusammenarbeit mit den Machern der auf Bodysuits spezialisierten Mailänder Marke „FANTABODY“, ergänzten die Bodysuits und Badeanzüge. Neu war die Zusammenarbeit mit den Machern der jungen italienischen Brillenmarke „ROBOT eyewear“ mit ihren schlanken Sonnenbrillen in Gestalt farbiger Metallbänder. Accessoires waren winzige Handtaschen und runde Rucksäcke. Gastkünstler in dieser Saison war der Mailänder Bildhauer Jonathan Vivacqua. Von ihm stammten die Skulpturen inmitten des Präsentationsraumes, die graphischen Druckelemente auf den T‑Shirts in Maxigröße und die Monoskulpturohrringe aus Polylactiden (PLA) auf Getreidebasis, in limitierter Auflage auch aus Silber und Golde erhältlich.

Die noch neue Gepflogenheit, Sportkleidung sogar bei nicht-sportlichen Aktivitäten zu tragen (Athleisure), faßte der portugiesische Modeschöpfer Carlos Gil als eigenständige Ästhetik auf. Daneben beeindruckte ihn die zeitgenössische Architektur, vorzugsweise in tropischer Umgebung, mit ihren strengen Linien. Beide Konzepte flossen in die Kollektion „TROPICAL URBAN“ ein. Auf der einen Seite waren die Aufmachungen scharf, sauber und kosmopolitisch. Auf der anderen Seite waren die Linien für eine „organische“ Kleidarchitektur rational, aber organisch, um das Gefühl der rigorosen Urbanität, um spontane, einfache Erscheinungen der Umwelt ergänzt, auf die Silhouette zu übertragen. Kräftige und lebendige Farbtöne wie Magentarot, Lichtgelb, Smaragdgrün und Violett erschienen in raffinierter, verfeinerter Vermischung mit sanften Tönen wie Kamelbraun sowie mit Schwarz und Weiß als neutralen Tönen. Die Muster waren gleichfalls kräftig und lebendig. Geometrische Formen, sowohl in gedruckter als auch in texturierter Gestalt, und das Fensterblatt (Monstera) als florales Motiv waren Kernelemente der im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci vorgestellten Kollektion.

Mit der Ordnung beziehungsweise Unordnung beschäftigte sich ebenfalls der portugiesische Modeschöpfer Pedro Pedro am gleichen Orte. In seiner neuen Kollektion als neuer Vision der 1980er Jahre „verformten“ sich die Formen selbst. Die Details wurden größer. Die gesittete Bekleidung wandte sich der Straßen- und Sportbekleidung, insbesondere Sportschuhen, zu. Bequeme Kleidungsstücke hatten Grunddessins mit geometrischen Drucken, wo Balken und Quadrate dominierten, und mit psychedelischen Farbtönen von Limonengrün bis zu Schockrosa, von Rot bis zu Orange. Technische Materialien wie Polyamid paarten sich mit Serge de Nîmes, Musselin und verstrickter Wolle. Kraus, elastisch, verdreht, paßten sich die Sacklinien und Kimonolinien neu an. Wer war hier schon willens zu einem Ordnungsrufe?

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