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Giorgio Armani im Künstleratelier

Die Mode und die Kraft der künstlerischen Geste

Lockerheit – die Modenschau „GIORGIO ARMANI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 5. November 2017
Massenphänomene, gleichviel ob Schwarmintelligenz oder Herdentrieb, sind nicht die Sache des Mailänders Giorgio Armani, denn er ist kein Modeschöpfer, der über jedes Stöckchen, welches der scheinbare Trend ihm hinhält, springt. Seine Entwürfe sind ausgereift, was zu reifen Kollektionen führt. Für den Frühling und Sommer 2018 gestaltete er im steten Verlangen nach Phantasie eine Prêt‑à‑porter-Kollektion, die genug enthielt, um mehrere Generationen anzusprechen.

In der Kollektion „ATELIERS D’ARTISTES“ waren Kunst, Kraft und Geist von Bedeutung. Deren Verhältnis zueinander hatte der Wiener Dichter Christoph Kuffner schon im Jahre 1808 in folgende Worte gefaßt: „Großes, das ins Herz gedrungen, / blüht dann neu und schön empor, / hat ein Geist sich aufgeschwungen, / hallt ihm stets ein Geisterchor. // Nehmt denn hin, ihr schönen Seelen, / froh die Gaben schöner Kunst. / Wenn sich Lieb und Kraft vermählen, / lohnt dem Menschen Göttergunst.“ In Töne hatte dies der Wiener Komponist Ludwig van Beethoven gesetzt, und zwar für den Schlußchor der Fantasie für Klavier, Chor und Orchester in c‑Moll op. 80. Giorgio Armani verband nunmehr, dessen wohl ungeachtet, die Kraft der künstlerischen Geste, frei, ausdrucksstark und instinktiv, mit der anspruchsvollen linearen Eleganz seiner Handschrift. Das Ergebnis war eine fesselnde Unwucht, die jedoch ein überraschender Sinn für Harmonie stets mäßigte. Verführerische Farbzusammenstellungen und Dekors durften da nicht fehlen.

Als Kontrast zum düsteren Ambiente der hauseigenen Veranstaltungsstätte „ARMANI/TEATRO“ setzte Giorgio Armani auf die Magie des Lichtes, das funkelnde Pailletten an Kleidern reflektierten. Ein Schneiderkostüm aus glänzendem Silber zu Schuhen samt höherem Absatze eignete sich, mit dramatischer Schminke gepaart, für den nächtlichen Glamour. Die Abfolge schwarzer, mit Kristallen verzierter Kleidungsstücke war schon ein fast theatralischer Moment am 22. September 2017, was vielleicht die unruhige Stimmung in der heutigen Zeit am besten wiedergab. Brillante Farbtöne bei lebendigen Drucken, knackige Schnitte, graphische Linien und ausbalancierte Asymmetrien drückten hingegen einen einfachen und moderaten Geist aus. Es gab mal abstrakte Drucke, mal Blumendrucke in Pop-Art-Manier. Die graphischen Elemente verwiesen auf den Wiener Maler Gustav Klimt und den amerikanischen Maler Paul Jackson Pollock. Ballonartige Puschel waren ein weiteres Schmuckelement. Die reinen Formen waren bedeutsam, denn sie folgten den Bewegungen des Körpers und verschlankten die Silhouette. Wichtige Stücke waren ein vielseitiger, mit Diamanten gesteppter langer Parka, ein rosa zweireihiger Blazer mit Paspelierung, ein seidener Anorak samt Aufschlage mit gerafftem Kordelzuge, ein Ensemble mit bunten winzigen Tupfen und gestreifte Lurextops. Schwerelose Kittel, kleine Jacken, kurze Kleider in schrägen Längen und leuchtende Faltenröcke beteiligten sich überdies an auffälligen Paarungen für eine starke Persönlichkeit.

Die neue Kollektion der in Bologna beheimateten Marke „Les Copains“ beruhte auf einer Mischung unterschiedlicher Leidenschaften. Die Modeschöpferin Stefania Bandiera übersetzte volkstümliche Motive vermittels eines Kulturaustausches in lockere, zeitgenössische, urbane Kleidung. Ein abstraktes, unkonventionelles Mexiko bildete das Szenario. Zu brillanten Farbtönen wie Fuchsienrot paßten Pastell- und Naturtöne wie Fleischrosa und Cyanblau. Es war ein Verweis auf die Werke des mexikanischen Architekten Luis Ramiro Barragán Morfín. Schlichtheit und Reinheit wechselten sich ab, doch mit einer raffinierten, aufwendigen Dekoration, was in subtiler, diskreter Weise traditionelle Kleidung und fein gearbeitete Juwelen aus Halbedelsteinen und Metallen hervorbrachte. Die Geometrie gestrickter Tops in strukturierten Mustern umschloß Falten aus Chiffon und Seidenorganza. Mit Kreuzstiche bestickte, zweifarbige Bänder umrissen die Volumen von Tunikakleidern aus Seiden‑/Baumwollmusselin, während strahlende Tätowierungsstickerei den Körper bedeckte. Die Feinabstimmung von Kontrasten war der Schlüssel zu einem völlig neuen Ausdrucke, wo Schablonen von Blumensprays plötzlich auftauchten, um lässige Röcke aus Seidenorganza und Trenchcoats zu schmücken. Einlagenstickerei mit Spitzeneffekte oder gestrickter geometrischer Volksstammesdekor mit Fil‑coupé-Stücken machte lange Kleider aus fließendem Crêpe Georgette und Seidenchiffon noch luftiger und führte ebenso zu übertriebenen Volumen.

Die sportliche Haltung der Marke „Les Copains“ schien die Originalität und den Einfallsreichtum der amerikanischen Kunstsammlerin und Modeikone Mary Millicent Abigail Rogers in sich aufzunehmen. Latz-und-Hosenträger-Kleider, ausgestellte Röcke und Arbeitsoveralls hatten eine Überarbeitung hinter sich. Seersuckerstreifen und breite Leder-und-Kord-Hosenträger machten die Kollektion lebendiger. Für eine Bereicherung sorgten Serge de Nîmes und Musselin in neuer Verwendung, was sie für die Abendkleidung tauglich machte. Sommerliche Gedanken, das Meer und Bootsleben inbegriffen, erweiterten die Kollektion um Seemannshosen, in Lochmusterung gestrickte Bodies, weiche Tunikakleider, Kaftans mit exquisiten Details und knappe Bermudashorts mit sichtbaren Knöpfen als Basisstück zu leichten Blusen. Die experimentelle Verwendung des Tülles erzeugte eine Reihe Volanteffekte an ausgestellten Röcken und an gefalteten, knappen Bustiers mit einem Jabot in einer gelegentlich kontrastierenden Farbe. Zart gefärbte Bänder ergänzten Gestricke, um bedruckte Kleider zu säumen. Die am 21. September 2017 im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci gezeigte Kollektion stand für eine Art Weiblichkeit, die nicht idealisiert, aber komplex und vielfältig war. Ein Hauch Exzentrizität war spürbar bei der freien, einfachen Verwendung von Schleifen, Herrenstiefeln, Hüten und Accessoires. Nonchalance zeigte sich, wo sich elegante Aufmachungen und sportliche abwechselten.

Bei der neuen Kollektion der in Correggio in der Emilia-Romagna beheimateten Marke „angelo marani“ drehte sich alles um die mexikanische Malerin Frida Kahlo. Für die Modeschöpferin Giulia Marani gehörten Kreativität in der Bekleidungsgestaltung und künstlerische Aktivität zusammen. Die brennende Atmosphäre Mexikos schlug sich in prächtigen Farben und ansprechenden Stoffen nieder. Eibischrot (Hibiskusrot), Papayarot und Kornblumenblau waren die kräftigen Töne für glänzend lackierte Baumwollmakrameespitze an langen Petticoatkleidern mit asymmetrischen Rüschen oder an einer Bikerjacke in Kombination mit einem Rocke. Zu einem langen Kleide mit glänzenden Pailletten paßte Drillingsblumenrot (Bougainvillearot). Dies galt ebenso für sinnliche Transparentfolien mit Intarsien aus Seidensatin und Tülle in Pünktchenmusterung. Frida Kahlos Exzentrizität war erkennbar an hellen und bunten Schals zu bedruckten Kleidern mit Intarsien aus glänzender, zweifarbiger Spitze. Ein schwarz-weißes Kleid mit lederartigen Glasuren hatte mexikanische Blumen als Motiv und bewirkte eine optische Täuschung. Kolonialer Einfluß zeigte sich an Federn tropischer Vögel in nächtlicher Anordnung an einem kostbaren Gewande mit Intarsien aus schwarzer lackierter Spitze. Eine übergroße Weste hatte Perlendetails, wohingegen Bustierhaken als Besatz manches Kleid sexy aussehen ließ. Tops mit Strass-Steinen und Nietennetze vervollständigten die am 22. September 2017 in der Restaurantbar „Tortona 12“ gezeigte Kollektion.

Im Mittelpunkte der neuen Kollektion der in Nola nahe Neapel beheimateten Marke „hanita“ stand die kosmopolitische Frau. Unter dem Motto „THE COLORFUL JOURNEY OF HANITA“ ging es auf eine Reise zu einem Treffen unterschiedlicher Kulturen und verschiedener historischer Epochen. Die italienische Modeschöpferin Angela Testa dachte an Orte und Menschen, die räumlich weit voneinander entfernt, aber dank moderner Informations- und Kommunikationstechnik eng miteinander vernetzt waren. In der im Hotel „GRAND HOTEL ET DE MILAN“ vorgestellten Kollektion trafen florale und geometrische Drucke sowie Plissees auf Jacquards und neuartige Faserstoffe. Als Verweis auf die 1980er Jahre umfaßte die Farbpalette Fuchsienrot, tiefes Rosa, Orange, Grün, Limonengrün und Türkis. Es war eine bunte Welt, die eine mal respektlose, mal überraschende, aber niemals banale Vitalität und Persönlichkeit beinhaltete. Das Spiel mit Transparenzen und Schichtungen machte die mit Pailletten bestickten Kleider aus Seidenorganza dynamisch. Ein harmonisches und zeitgemäßes Aussehen war die Folge dessen, daß technische Stoffe zusammen mit edlen Brokaten für genug Kontrast sorgten.

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