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Namen sind nicht Schall und Rauch

Die Mode und die Innenarchitektur

Verlockung – die Mannequins Ewa und Bożena Janisiw vor der Modenschau „EVA MINGE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. August 2017
Nichts ist gegen eine gelegentliche Veränderung einzuwenden, und zwar vor allem dann, wenn sie einen praktischen Nutzen hat. Pünktlich zur Couture- und Jouailleriewoche vom 2. Juli 2017 bis zum 6. Juli 2017 nannte sich die Fédération Française de la Couture, du Prêt‑à‑Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode in Fédération de la Haute Couture et de la Mode um. Die in ihrer Länge barock anmutende Bezeichnung war durchaus etwas unhandlich gewesen. Sonach stand den Präsentationen der Couturekollektionen für den Herbst und Winter 2017/2018 nichts mehr im Wege.

Mit den Worten „Erwarte das Unerwartete“ kündigten die Modeschöpferinnen Galia Lahav und Sharon Sever aus Israel am 2. Juli 2017 die Präsentation ihrer gemeinsamen Kollektion „Cabinet de Curiosités“ im Hofgarten des Pariser Gymnasiums Heinrich IV. an. In Zeiten vor der Zeit moderner Wissenschaft waren unzählige Exemplare bisher unbestimmter Typen aus der Umwelt zusammengetragen worden. Die Sammlungen, die allerlei Kuriositäten zu Lande und zu Wasser enthalten hatten, waren ein „wahres Wunderland“ gewesen. Durch Kategorisierung hatten die Wissenschaftler dann Ordnung ins Chaos gebracht. Nunmehr lag es an den beiden Modeschöpferinnen, mit Freude an der Entdeckung ihr eigenes Kabinett der Neugier zu erschaffen. So führten sie „klinische Inspirationen“ zu Innovationen, auf daß sie für eine Reihe von Kleidungsstücken auf neue Techniken mit einem inhärenten Savoir‑faire setzten. Elemente aus der Tiefe der Ozeane trafen auf eine Vielzahl künstlerischer Objekte. Für Galia Lahav und Sharon Sever sollten die Terminologie der Mode neu definiert und deren Schlüsselkategorien überdacht werden. Grenzen sollten – hier kam wieder der Wassergedanke vor – ebenfalls verschwimmen, um einen „logischen Fluß“ zwischen Tages-, Cocktail- und Abendkleidern zu ermöglichen. Die Kollektion von Kuriositäten zeichnete sich durch unkonventionelle Silhouetten aus. Voluminöse Hosen, wogende Ärmel und neuartige Falten tauchten auf. Tiefes Blau, Mohnrot in verschiedenen Schattierungen, Fleischfarbe und Metalltöne bildeten die passenden farblichen Akzente.

Für die Präsentation der neuen Kollektion des Pariser Modeschöpfers Maurizio Galante konnte es keinen besseren Ort geben als das Hotel „OFF PARIS SEINE“, welches als Schiff das erste schwimmende Hotel auf der Seine war. Die Gestaltung der Suiten und sonstigen, für die Öffentlichkeit bestimmten Innenräume ging auf Maurizio Galante und seinen Partner Tal Lancman zurück. Maurizio Galante befaßt sich eben nicht nur mit Bekleidungsgestaltung, sondern auch mit Möbelgestaltung und Innenarchitektur, wobei er sich zwischen den Genres frei bewegt und mit neuen Vorschlägen aus seinen Erfahrungen in anderen Bereichen dann wieder in Mode ist. Gleichviel ob es sich um Kleidung, Mobiliar, Beleuchtung oder gar eine Vase handelt, bewahrt Maurizio Galante eine subtile Balance zwischen Pragmatismus und Unvernunft. Einzigartige Möbelstücke und Vasen, in limitierter Auflage in der eigenen Werkstatt handgefertigt, standen bei der Modeinstallation den Kleidungsstücken der Kollektion „Drago“, bei welcher der Drache als Überträger der Poesie und Kraft das Thema war, gegenüber. Maurizio Galante brachte zwei Gegensätze in Harmonie zusammen. Voluminöse Silhouetten mit scharfen Schuppen standen für den Drachen, während sehr leichte Seide den Kleidungsstücken eine erstaunliche Flexibilität bescherte, ohne daß weniger Halt und Schutz gewährleistet wurde. Indem die Formen den Körper umschwebten, verstärkten sie die Anwesenheit der Person, die ein solches Stück trug. Maurizio Galante brachte es, die Genres übergreifend, auf die Formel: „Kleidung als Wohnräume, die den Körper umhüllen.“ Eingedenk dessen, daß er mit seinen Entwürfen zumeist animierte Wesen geschaffen hatte, führten die organischen Formen zu phantastischen Kreaturen. Für Maurizio Galante waren Kleidungsstücke Begleiter, um wie animierte Talismane mit Aura getragen zu werden. Die Trägerin sollte mit ihnen eine außergewöhnliche Erfahrung machen.

Der neuen Kollektion der Marke „A. F. VANDEVORST“, die am 2. Juli 2017 in der Veranstaltungsstätte „espace commines“ vorgestellt wurde, lag der Gedanke der Nostalgie und der Neuerfindung zugrunde, denn die Schätze des Lebens verbargen sich nach den belgischen Modeschöpfern Filip Arickx und An Vandevorst nicht im Materiellen, sondern in der Erinnerung. So wurden vergangene Andenken und Erbstücke umgestaltet und umfunktioniert. Natürliche Silhouetten erhielten neue Rollen. Farbe und Textur folgten keinen Regeln. Traditionelle nordische Strickwollpullover wurden in nicht traditionellen Weisen getragen, um die Details alles, was über den ersten Blick hinausging, gezielt zu erleuchten. Bei den Militärjacken paarten sich Samt und Stickerei. Jacquardstoffe mit verblaßten Leopardendrucken trafen auf Mäntel aus gelber Schlangenhaut. Zwischen Pelzmänteln und Stiefeln mit Pailletten bestand hingegen ein krasser Kontrast. Es gab schon alles, was benötigt wurde; man mußte es nur mit verschiedenen Augen betrachten. Strenge Linien lenkten von einer hautnahen Schicht darunter ab. Hochglanzvinyl kam überall vor und machte klar, daß das Gesehene nicht immer das war, was man bekam. Ein Laken wurde zur Schleife. Bedruckter Möbelstoff gelangte in eine Robe. Eine schwarze, sperrige Handtasche bedeckte den Kopf wie ein Hut. Eine geschlossene Bonanzahose verwandelte sich in einen Turban. Die Welt der Marke war nach der Devise „Freiheit ist loszulassen“ weiterhin so linear, wie sie rund war, und so streng, wie sie weich war.

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