MODE UND KULTUR

Form und Farbe

Die Mode und das Druckverfahren

Einen Stilplan im Rücken – das Mannequin Talia Ferralis vor der Modenschau „CIVIDINI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 10. November 2019
Eine Kollektion zu kreieren bedeutet Farbe zu formen, denn die Farbe ist die Seele der Kleidung. Dessen waren sich die Modeschöpfer Piero Cividini und Miriam Cividini aus Gorle nahe Bergamo, die schon vor der Form von der Farbe der Sachen beeindruckt waren, sicher. In einem Museum oder in einer Kunstgalerie betrachtete Gemälde nahmen sie so wahr, daß sie deren Farben plötzlich „spürten“. Diese Empfindungen brauchten nur noch voll ausgeschöpft zu werden.

Unter dem Motto „THE SHAPE OF COLOR“, das heißt die Form der Farbe, präsentierten Piero Cividini und Miriam Cividini am 21. September 2019 die Couturekollektion für den Frühling und Sommer 2020 in der Veranstaltungsstätte „SALONE DEI TESSUTI“ in Mailand. Das Farbkonzept des Spielfilmes „THE SHELTERING SKY“ – in deutscher Fassung: „Himmel über der Wüste“ – des italienischen Regisseurs Bernardo Bertolucci aus dem Jahre 1990 lag der Kollektion zugrunde. So fanden sich die Farben der Kleidung der dreien Protagonisten, die Farben der „blauen Männer“, die Farben der Wüste und die Farben ihrer Bewohner in den Kleidungsstücken wieder. Ein lila Hemd über einer rosa Bluse und einem lindgrünen Rocke war eine kühne Kombination. Kleidungsstücke aus durchsichtigen Stoffen ermöglichten starke Farbblöcke. Eine lange Bluse aus handgefärbtem hellpurpurnem Leinen samt gelben Ärmeln lag über einem Badeanzuge, wobei dessen blau-gelbes Karomuster unter der Bluse sichtbar war. Ein Trenchcoat zu einer Hose oder ein offen getragenes Kleid aus rauhem Leinen zu einer hochtaillierten Kampfhose ergaben jeweils einen Safarianzug. Handgemachte fleckige Stoffdrucke an durchsichtigen Blusen erschienen in blassen Farbtönen. Drucke mit handgemalten Blumen waren ebenfalls fleckig. Schnurbatikdrucke schmückten kurze Tops und lange, zerknitterte Blusen. Glockenhüte und goldene Ohrringe, die manchmal wie Querlenker aussahen, vervollständigten die Kollektion.

Der Mailänder Modeschöpfer Gabriele Colangelo interessierte sich für alle kreativen Aspekte der Technologie. Ausgangspunkt der im Palazzo Reale gezeigten Prêt‑à‑porter-Kollektion war ein Photodruckverfahren namens Lumen. Ein Bild mit Blumen auf empfindlichem Papiere war dem Sonnenlichte ausgesetzt worden, um die Wirkung von Sonnenstrahlen nachzuahmen; da das Verfahren schwer zu steuern gewesen war, war das Ergebnis unvorhersehbar gewesen. In der Tat war das Resultat eine „verzerrte Farbpalette“. Verdünnte, ombrierte Aquarelltöne sahen wie florale Schatten aus. Aprikosengelb, Strohgelb, Himmelblau und Lila waren die Farbtöne für Etuikleider aus Seide, Hosen aus fließender Baumwolle und hochgeschlossene Blusen samt langen Ärmeln. Eine graue Tunika war am Kragen und an den Rändern fleckig. Die Formen waren einfach. Gabriele Colangelo wollte mittels Einlagen aus elastischen Fasern bei Jacquardtuchen „ein Ungleichgewicht schaffen“. Geometrische Schnitte und kontrastierende Einsätze machten lockere, geräumige Tunikakleider, Mäntel und Hosenanzüge leichter. Eine unvollendete Fadenlinie im oberen Bereiche des Beines einer Hose aus grauem Wolljacquard und Seidenleinen wirkte wie Fransen. Verzogenene, lasergeschnittenene und zu Netzen verwobene Lederstreifen befanden sich an einer langgestreckte Tunika aus Cady. Eine steingraue Hose hatte auf Hüfthöhe an der einen Seite einen Schurz aus graubraunem, geschmeidigem Leder, während an der anderen Seite ein langer, zopfartiger Lederstrang baumelte. Ein solcher Strang kam mal mit Schurze, mal ohne Schurz bei vielen Kleidungsstücken vor. Ein pralinenbraunes, einschultriges Plastron aus Leder verschönerte ein weißes Hemdkleid. Ein gelber Strickeinsatz verlief um die Taillenpartie eines Etuikleides aus grauem, handgeknüpftem Leder. Leder war für Gabriele Colangelo sowieso die neue Spitze.

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