MODE UND KULTUR

Tulpen aus Amsterdam

Die Mode und das Schwimmen

Wasserballett – die Modenschau „Francesca Liberatore“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 2. November 2019
Die Veranstaltungstätte „Bagni Misteriosi“ in Mailand ist ein Unikum. Drinnen ist sie ein Theater unter dem Namen „Teatro Franco Parenti“; draußen ist sie im Winter eine Eisbahn und im Sommer ein Freibad. Eine solch multiple Stätte war der ideale Ort für eine Modenschau.

Am 18. September 2019 schickte die Römer Modeschöpferin Francesca Liberatore dort zur Präsentation der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2020 sowohl Mannequins als auch Synchronschwimmerinnen an den Start. Ums Schwimmbecken führten die Mannequins Kleidungsstücke vor, während im Becken die Schwimmerinnen Kunstfiguren zeigten. Es war ein Spiel mit der Geometrie. Die Kollektion „Unconventional“ mit ihren statischen Strukturen war eine starke modische Botschaft. Zum furiosen Finale erklang die Nationalhymne der Italienischen Republik: „Brüder Italiens, / Italien hat sich erhoben, / Und hat mit Scipios Helm / Sich das Haupt geschmückt … Vereinigen wir uns, lieben wir uns; / Die Einheit und die Liebe / Offenbaren den Völkern / Die Wege des Herrn …“

Eine surrealistische Auseinandersetzung mit Mode und Kunst gebar die neue Kollektion der in Mailand beheimateten Marke „MARYLING“. Inspirationsquelle war die Atmosphäre von Amsterdam; als Symbol war die Tulpe die Hauptfigur eines verführerischen Blumenparadieses in Lichte und Wärme, was eine „wunderschöne, lebendige Kulisse“ ergab. Nach der Devise „PLYCHROME FUSION BY MARYLING“ mischte der kreative Leiter Avshalom Gur Schwarz und Weiß mit anderen Farbtönen in dynamischer Weise. Er verwob Strukturen, Texturen, Formen, Proportionen und Silhouetten miteinander, um Klassizismus und Moderne in einer Ästhetik zu verbinden. Das Werk des deutschen Photographen Erwin Blumenfeld ermöglichte eine kreative Untersuchung der weiblichen Form und prägte sonach die Kleidungsstücke durch dramatische Eleganz. Die pure, sanfte Weiblichkeit der Stücke beruhte hingegen auf der raffinierten Anmut des kulturellen Milieus der anglo-nigerianischen Liedermacherin und Sängerin Helen Folasade Adu in Ibadan alias Sade Adu beziehungsweise Sade mit ihrer strahlenden, mutigen Persönlichkeit und ihren phantasievollen Noten, um über den Rahmen traditioneller Mode hinauszugehen. Texturen überlagerten sich, wohingegen sich Stoffe in einer lebhaften und üppigen Drehung übereinander schichteten. Für Linien und Silhouetten galt ein großes Volumen. Das Ergebnis war eine Kollektion, wo Surrealismus und Sinnlichkeit für einen unkonventionellen Stil samt zeitgenössischer Nuance zusammenfanden. Zu sehen war diese Kollektion im Palazzo Mezzanotte, dem Sitze der Borsa Italiana Spa.

Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Bekleidung und Accessoires sind das Geschäft der im Jahre 1997 in Nanjing gegründeten VGrass Fashion Co. Ltd. Abseits der im Jahre 2016 erworbenen Marke „Teenie Weenie“ besteht seit dem Jahre 2017 in Mailand die VGRASS ITALY S.r.l. als strategische Geschäftseinheit für die Marke „VGRASS STUDIO“. Nach dem Debüt dieser Marke in der Modewelt war ein verändertes Konzept die Antwort auf die neuesten Verbrauchertrends. In Abkehr vom bisaisonalen Rhythmus führte ein „Multi-Drop-Zeitplan“ zu einer rotierenden Auswahl mehrerer Kollektionen im Verlaufe eines Jahres, um die Kunden mit Kleidungsstücken für unterschiedliche Verwendungszwecke in der „Geschwindigkeit von Instagram“ zu überraschen. Am 17. September 2019 stellte die hauseigene Kreativgruppe zwei Sonderkollektionen in der Mailänder Boutique vor. Dahinter stand die Vision „Ost trifft West“ als Dialog zwischen verschiedenen Kulturen beziehungsweise als ästhetische Interaktionen zwischen verschiedenen kreativen Welten. Für eine kühne und anspruchsvolle Reisende gab es komplizierte Texturen und farbenfrohe Motive. Lebhafte fluoreszierende Farben wirkten wie Graffiti oder Tätowierungen. Wolken, Wellen und Blumen hoben sich vom Grunde ab, wobei sie leichten Falten, geflochtenen Bändern oder zarten Kreismosaiken genug Platz ließen, was die dreidimensionale Wirkung der Kleidungsstücke verstärkte.

Ikonischer Yunjin-Brokat beherrschte die Szene in einer zeitgemäßen, frischen Version. Vor allem Einfarbigkeit oder Muster mit riesigen Punkten im Foulardstile kennzeichneten die Tages- und Abendkleider, die sich zur Kombination mit einfachen T‑Leibchen oder lässigen Jeanshosen eigneten. Ein üppiger, eiförmiger und auf Taillenhöhe gegürteter Mantel konnte wie ein Minikleid auf nackter Haut getragen werden. Eine lässige Baumwollbluse mit Tunnelzugeinsätzen paßte zu einem Rocke aus Fil‑Coupé‑Jacquard. Über einer limonadengelben und himmelblauen, maskulinen Boxerhose hing ein dicker, aber weicher Pullover. Einem Trenchcoat mit großen, fließenden Falten fehlte nicht die Eleganz in der Bewegung. Oft bereicherten Bänder und Netzeffekte die Strickstücke aus sehr dünner Baumwolle. Reichen Dekorationen an alten chinesischen Vasen glichen nicht nur die winzigen Knospen aus Kunstperlen und die zweidimensionalen Blütenblätter, sondern auch die Motive der Farbzerstäubungstechnik (Airbrush) und der Paillettenstickerei. Die Silhouetten waren klar, und zwar entweder kompakt oder gerastert mit verrutschten Linien oder voluminös wie in der Welt der Straßenbekleidung. Filigrane, dreidimensionale Drapagen, geschmeidige Stickereien sowie Acetat- und Messingbesätze zierten Pumps, Sandalen, Stiefel und Schlappen aus Leder oder Seidensatin, während farbige Steine und Kristalle Ohrringe und Stirnbänder schmückten, was der Kollektion den letzten luxuriösen Schliff gab.

Weitere Bilder