MODE UND KULTUR

Mailand geht baden

Die Mode und die Klimarettung

Am Beckenrande – die Modenschau „UNITED COLORS OF BENETTON“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. November 2019
Die Mailänder Modewoche vom 17. September 2019 bis zum 23. September 2019, wo es um die Prêt‑à‑porter-Kollektionen für den Frühling und Sommer 2020 ging, wurde eine feuchte Angelegenheit, denn ein paar Präsentationen – es betraf die Marken „UNITED COLORS OF BENETTON“, „Francesca Liberatore“ und „ICEBERG“ – spielten sich am Rande von Schwimmbecken ab.

Nach der Devise „LET’S SURF THE COLOR WAVE“ eröffnete Didier, Marquis de Castelbajac, alias Jean-Charles de Castelbajac als künstlerischer Leiter des in Treviso befindlichen Modehauses „UNITED COLORS OF BENETTON“ am 17. September 2019 den Veranstaltungsreigen; für das Haus war es übrigens die zweite Modenschau im Rahmen einer Mailänder Modewoche. Das Kommunale Hallenbad Roberto Cozzi nach den Plänen des Mailänder Architekten und Ingenieurs Luigi Lorenzo Secchi aus den 1930er Jahren war die ideale Kulisse. Jean-Charles de Castelbajac widmete die Kollektion „COLOR WAVE“ dem Meere, indem er Meerwasser, Wind und Segel als eine Reise von einem malerisch charakteristischen Mittelmeerhafen zum nächsten, beispielsweise von Saint-Tropez nach Hydra, symbolisch interpretierte. Rosa, Lila und Blau als Pastelltöne – Jean-Charles de Castelbajac nannte sie in Anspielung auf seinen Namen: „Pastel-Bajac“ – waren das Leitmotiv. Marinepullover und Cabanjacken aus Wachstuche für die Dame sowie ungefütterte und leichte zweiteilige Anzüge für den Herrn waren kultige, kosmopolitische Stücke. Blautöne von Marineblau bis Kobaltblau ergänzten die traditionellen Pudernuancen.

Verwaschene Tuche in Tönen auf der Grundlage natürlicher Mineralfarbstoffe waren eine Hommage an die Jeanskleidung. Mit Druckmotiven auf weißen Pullovern und T‑Leibchen in Maxigröße gleichsam als beweglicher Ausstellung erinnerte Jean-Charles de Castelbajac der provokanten Werbekampagnen des italienischen Photographen Oliviero Toscani, weil er jungen Menschen die noch heutzutage „explosive Kraft“ der Werke vor Augen führen wollte. Ein anderes Motiv, und zwar für den digitalen Druck auf T‑Leibchen, Kleidern und Pullovern, war die Comicfigur Popeye neben ihrer Freundin Olive; dieser „bärenstarke“ Seemann wies als ökologischer Botschafter auf die Nachhaltigkeit als Grundthema hin. So stammten ungiftige Naturfarbstoffe und innovative Materialien aus den eigenen Forschungslaboratorien. Papier und aufgearbeitete Fasern ergaben einen Werkstoff als Materialbasis neuer Trenchcoats. Wie eine Welle erfaßte die Kollektion die Gäste, die abseits von Trends eine alterslose, globale Vision verspürten: einen Sprung ins Leben, einen „sicheren Hafen des zeitlosen Stiles“ und einen „Ankerplatz zum Wohlfühlen“. Jean-Charles de Castelbajac wagte mit seiner Inszenierung am Beckenrande sozusagen einen Kopfsprung in die Modewoche.

Der weltweite Schülerstreik am 15. März 2019 auf Initiative der schwedischen Schülerin und Klimaaktivistin Greta Thunberg markierte für den „grünen“ Mailänder Modeschöpfer Gilberto Calzolari über die verheerenden Waldbrände beispielsweise in Brasilien hinaus im Hinblicke auf die Zerstörung der Umwelt einen Punkt ohne Rückkehr, auf daß die Mode als Waffe im Kampfe um eine bessere Zukunft von nun an nachhaltig sei. Als Protagonistin stellte sich Gilberto Calzolari eine Nomadin und Kriegerin in einer postindustriellen Wüste vor; in ihrer heftigen Gangart würde eine solche Amazone ihre romantische Ader nicht verlieren, aber als symbolisches Utensil für ihre Interessen einsetzen. Bei der im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci gezeigten Kollektion „Welcome to Year Zero“ war die Silhouette zwischen Graphik und „primitivem Minimalismus“ ein Experiment. Kleidungsstücke in Safariart aus beige-sandgelbem, biologisch abbaubarem Stretchcanvas und mit flatternden Bändern aus roher Baumwolle versehene Militäruniformen samt Mehrzwecktaschen aus Wolljacquard in Camouflagemusterung wechselten einander ab. Gleichfalls verwandelte sich der gelbe und schwarze Trainingsanzug der 1980er Jahre in einen funktionalen Kampfanzug. Den Canvas aus Naturbaumwolle und auch einen Polyestersatin steuerte die ITALIAN CONVERTER SRL mit dem Sitze in Vigevano nahe Pavia bei, welche nach eigener Angabe zweihundertvierzig Bäume hatte pflanzen lassen, um eine Reduzierung um 54.300 kg CO2 zu erreichen.

Tiefe seitliche und frontale Schlitze zogen sich wie eine Furche durch klösterliche Kleidungsstücke in ihrer puren Schlichtheit, was ebenso für sinnliche Halsausschnitte in V‑Form galt. Strukturierte Kleider aus fleichrosa Seidenorganza bildeten einen Kontrast zu folkloristischen Röcken, die aus gefalteten Bahnen aus scharzem Organza bestanden, während weite, asymmetrische, rote Röcke wie eine Truppenfahne um den Körper flatterten. Andere Röcke mit reflektierenden Einsätzen waren neongelb. Naturzustand und Technologie standen einander gegenüber. Zum einen schmückten mit bleifreien „SWAROVSKI“‑Kristallen bestückte Fransen tribale Kleider, wofür die Villani Leonello SNC mit dem Sitze in Spicchio in der Toskana das Grundtuch geliefert hatte; aus sehr dünnen Schichten natürlichen Korkes ökologisch gewonnener, ohne Formaldehyd und Azofarbstoffe behandelter sowie mit dem Kennzeichen „REACH“ zertifizierter Korkstoff und mit dem Kennzeichen „GOTS“ zertifizierte Baumwolle waren hier miteinander verbunden. Zum anderen entgingen gebrauchte Aufprallkissen dank der Volvo Car Italia SpA an manchen Kleidungsstücken der Vernichtung. Die Dichotomie zeigte sich auch bei den Gürteln. Einerseits umlief Tuch den Körper in betont femininer Weise; andererseits gab es für Sitzgurte aus abgewrackten Automobilen eine neue Verwendung.

Optische Makrameespitze, organisch bedruckter Baumwolltwill und Satin aus wiederverwertetem Polyester ähnelten pneumatischen Reifen in Anspeilung auf die größte Altreifendeponie der Welt in der kuwaitischen Wüste. Dieser Makramee stammte von der Ricamificio GIMAR srl mit dem Sitze in Somma Lombardo in der Provinz Varese; für die Stickereien kamen vorwiegend mit regenerativer Energie gefertigte und schonend gefärbte Garne und Tuche in Betracht. Die Seidentuche der in Como ansässigen Clerici Tessuto C. Spa hatten das von der Bureau Veritas Italia spa im Auftrage der Centro Tessile Serico Spa vergebene „Seri.co“‑Zertifikat für die Einhaltung von Qualitätsstandards sowie die Beachtung von Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen bei der Herstellung von Seidenstoffen; bei der Baumwolle und dem Polyester handelte es sich um das „OEKO‑TEX®“‑Zertifikat zweiter Klasse. Ein „FSC“-Zertifikat hatte obendrein die Viskose der in Prato in der Toskana ansässigen Texmoda Tessuti Srl, da sie ohne schädliche Chemikalien auf Zellstoffe aus nachhaltig betriebenen Plantagen zum Schutze der Wälder und lokalen Gemeinschaften beruhte.

Überhaupt spiegelte die Farbpalette die ganze Umweltverschmutzung wider. Pechschwarze Stoffdrucke in Gestalt von Ölflecken bedeckten leichte Rüschenkleider aus Seidenorganza, um auf die Kontaminierung des Grundwassers mit Ölschlämmen hinzuweisen. Schwarz lackierte Kleidungsstücke, die einen Rohzuschnitt aufwiesen, glänzten. Technische Baumwolle war petrolgrün. Ecru war ein weiterer Farbton. In dieser „militanten“ Kollektion fehlten natürliche Elemente bis auf die einer verblaßten Ansichtspostkarte gleiche, schwarz-weiße graphische Darstellung von Palmen, die im Wege einer Fata Morgana als Oase inmitten der Wüste erschienen. Die Accessoires kamen von der in Telgate nahe Bergamo ansässigen MABO spa, die bei der Herstellung etwas gegen Wasserverschwendung unternommen hatte. Die Metallknöpfe waren überdies frei von Giften gemäß den „DETOX“‑Standards der Umweltschutzvereinigung „GREENPEACE“. Auch diesmal enthielt die Kollektion Bezugnahmen auf die Welt der Kinematographie, nämlich sowohl auf den kultigen Science‑fiction‑Film „DUNE“ des amerikanischen Regisseurs und Drehbuchautors David Keith Lynch aus dem Jahre 1984 als auch auf die dystopische „MAD MAX“‑Trilogie des australischen Regisseurs und Drehbuchautors George Miller aus den Jahren 1979, 1981 und 1985. Solche Szenarien im Stile des Steampunk verdeutlichten die Gefahr für den Planeten; in einer endlosen Sand- und Trümmerwüste werde die menschliche Zivilisation ein Opfer des selbstverantworteten technologischen Fortschrittes.

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