MODE UND KULTUR

Giorgio Armani in der Liebesnacht

Die Mode und die Metropole

Pure Eleganz – die Modenschau „GIORGIO ARMANI PRIVĒ“ (Bild: Christian F. Janssen)

Von Christian F. Janssen — 4. August 2019
„Ich lade gern mir Gäste ein“, heißt es in Prinz Orlofskys Couplet (Nr. 7) der Operette „Die Fledermaus“ des Wiener Komponisten Johann Baptist Strauss (Sohn) aus dem Jahre 1874. Was wäre eine Modenschau ohne Gäste? Der Mailänder Modeschöpfer Giorgio Armani empfing die australisch-amerikanische Schauspielerin und Filmproduzentin Nicole Mary Kidman als besonderen Gast zur Präsentation der Couturekollektion für den Herbst und Winter 2019/2020 und zum folgenden Diner im Petit Palais in Paris.

Allerdings erklang am 2. Juli 2019 neben Auszügen aus dem Ballette „Schwanensee“ op. 20 des russischen Komponisten Pjotr Iljitsch Tschaikowski aus dem Jahre 1877 die Barkarole (Nr. 13) der phantastischen Oper „Les contes d’Hoffmann“ des deutsch-französischen Komponisten Jakob Offenbach alias Jacques Offenbach nach dem Libretto des französischen Theaterdichters Paul-Jules Barbier aus dem Jahre 1881 in Instrumentalfassung. Zu den Modellen hätte freilich auch der Liedtext in der ersten deutschen Version gepaßt: „Schöne Nacht, du Liebesnacht! / O, stille mein Verlangen! / Süßer als der Tag uns lacht / Die schöne Liebesnacht. / Es entflieht die Zeit mit Macht. / Der zarten Liebe Bangen, / Fern von dieses Ortes Pracht, / Entflieht die Zeit mit Macht.“ Genug Zeit brauchte Giorgio Armani, um die zweiundachtzig Modelle in zweien Durchgängen vorführen zu lassen. Unter dem Motto „Armani Code“ erschienen Phänomene der Vergangenheit im Spiegel kritischer Betrachtung in moderner Gestalt, um eine neue Frische auszudrücken, weil das Konzept des Volksstiles, das zwischen den späten 1980er und frühen 1990er Jahren entstanden war, einer Überarbeitung bedurfte, da ästhetische, kulturelle und soziale Bezüge im Laufe der Zeit neue Bedeutung erlangt hatten.

Bei der Tagesbekleidung ergänzten spielerische Muster mit verschieden großen Tupfen die maskuline Form der Kleidungsstücke. Besonders geschnittene Jacken schmiegten sich an den Körper; dazu gehörten Röcke in purer Giorgio-Armani-Art oder weite, flatternde Hosen, die mit Kristallen besetzte Umrisse aufwiesen. Bei der Abendbekleidung lag der Schwerpunkt auf den eleganten Proportionen und kunstvollen Dessins der Kleider. Oft setzte sich ein Kleid zusammen aus einem kleinen, angepaßten Bustier und einem mehrschichtigen Rocke mit Juwelen, der sich zum Boden hin stufenweise erweiterte. Völlig mit Licht reflektierenden Kristallen bestickte Kleidungsstücke wirkten, als ob eine klare Wasseroberfläche die Strahlen des Sonnen- oder Mondlichtes zurückwürfe; sich überlappende Muster taten ein übriges. Seide, Seidenorganza und Tüll waren ohnehin leichte und hauchdünne Stoffe. Über Elemente in blassen Farbtönen hinaus ergaben Schwarz auf der einen Seite sowie Puderrosa, Jadegrün und Staubblau in ihrer Sanftheit auf der anderen Seite einen angenehm starken Kontrast.

Der aus Vicenza stammende und in London tätige Modeschöpfer Giovanni Bedin, Absolvent der Schule der Chambre Syndicale de la Couture Parisienne, veranstaltete im Adlersalon des Hotels „Hôtel de Crillon“ sein erstes Modedefilee. Sangallo-Baumwolle, Chantilly-Spitze und Lochstickerei kennzeichneten die Kollektion. Giovanni Bedin lebte seine Vorliebe für Fischbein aus; es formte den Körper und eignete sich zum Schaffen anatomischer, dreidimensionaler geometrischer Strukturen an Korollenröcken in Minilänge und Bondagekorsetts. Plumetis war der leichte Stoff bis zum Köchel reichender Kleider. Etuikleider aus doppelt beschichtetem Jersey hatten einen Scuba-Effekt. Schwarz und Weiß als klassisches Paar erhielten Fleischrosa als Gegenspieler. Ein zarter Stoffdruck war noch ein Akzent. Auf Stickerei und Applikationen verzichtete Giovanni Bedin; es genügte ihm, die Mannequins in flache Schnürstiefel zu stecken, um deren Einzigartigkeit zu bekräftigen.

Wie auf einer Ausstellung war in der Veranstaltungsstätte „Garage Lubeck“ die Kollektion „METROPOLIS PART I“ des indischen Modeschöpfers Rahul Mishra zu sehen. Für ihn ähnelte eine wachsende und sich ausbreitende Stadt einem großmütigen, atmenden Lebewesen, das sich von seiner Umgebung ernährte und bis zur Reife keimte. Ihn beschäftigte die Frage, ob Gebäude die moderne Vegetation seien, wenn sie, von Ehrgeize und Träumen angetrieben, wie Unkraut aus dem Boden gen Himmel ragten. Er konnte nicht umhin, die Grenzen der Natur zu erkunden. Dem Ziele einer schwerelosen Couture verpflichtet, verdrängte bei der Stickerei eine federgleiche Leichtigkeit die steifen Strukturen, denn die handgeschnittenen und handbestickten Kleider aus zartem Seidenorganza sollten leicht wie Luft sein. Ein Labyrinthgitter war der Grundstein kunstvoll gefertigter stieliger Blumen und Gebäude, die einerseits einen Wasserstrom in voller Wucht und andererseits eine wachsende Stadt darstellten, wobei der Stiel organisches Wachstum, Nahrung und Leben symbolisierte. Zum einen handelte es sich um unzählige Tüllblumen. Zum anderen war jedes Gebäude einzeln mit der Hand an einen gestickten Stiel geheftet und dann mit Handstichen am Boden befestigt worden.

Der eigenen Kindheit im allgemeinen und einer Spieluhr im besonderen erinnerte sich die Athener Modeschöpferin Celia Kritharioti. Ein Gefühl des Glückes und der Unschuld ergriff sie. Unter dem Motto „Pas de deux“ verwandelte sie die Modenschau im Palais de Tokyo in eine Ballettaufführung. Tänzerinnen in hochhackigen Schuhen und handgefertigten schimmernden Handschuhen eroberten den Laufsteg. Als sich die Spieluhr schloß, ging die Melodie weiter, während die Ballerina auf den Tanz mit ihrem „Prinzen“ wartete. Maria Kousouni und Vaggelis Bikos, Erste Solotänzer der Griechischen Nationaloper in Athen, leiteten tänzerisch zum Defilee über. Bodenlange und kurze Kleider, fleischrosa, graue oder schwarze volle Röcke, handbestickte Bustiers. Perlen standen im Mittelpunkte der Kollektion. Daneben tauchten Straußenfedern wieder auf. Seidenorganza, Seidentüll, Samt und Spitze waren die Grundstoffe. Für Celia Kritharioti war es eine Apotheose der Weiblichkeit und Anmut.

Die Budapester Modeschöpferin Magdolna Ruzsa, welche die Marke „MADLEINE“ im Jahre 2011 geschaffen hatte, ehrte mit ihrer ersten Couturekollektion die biblische Maria Magdalena wegen deren bedingungslosen Liebe und apostolischen Rolle, nachdem die Besichtigung der heiligen Höhle Maria Magdalenas in Saint-Maximin-la-Sainte-Baume in Frankreich zum lebensverändernden Ereignisse geworden war. Das Wunder der Liebe und des Glaubens erstrahlte in einem mit Diamanten überzogenen Kleide. Materialien der im Hôtel Le Marois gezeigten Kollektion „true love“ waren Seide, Shantungseide, Brokat, Seidenorganza und Taft. Das Schuhwerk steuerte der aus Italien stammende und in Paris tätige Modeschöpfer Aldé Baran bei. Am gleichen Orte stellte der französisch-vietnamesische Modeschöpfer Patrick Pham die Kollektion „La Perle de l’Extrême-Orient“ vor, wozu er sich mit der französischen Sehnsucht nach dem Fernen Osten, insbesondere nach Indochina, befaßte, nachdem er ein Meisterwerk der Elfenbeinkunst aus Vietnam mitgebracht hatte. Die Kollektion enthielt neunundzwanzig in vietnamesischen Dörfern handgenähte Kleider. Der Stoff „Lanh My A“ („mặc nưa“) ist eine mit Hilfe von Früchten des Diospyros Mollis hergestellte Seide; sie war für die Kostüme der königlichen Familien in Kambodscha, Laos und Thailand oder als Geschenk für wohlhabende indochinesische Familien verwandt worden.

Diese Seide war einem fast fünfmonatigen Verarbeitungsverfahren – zwei Färbe- und Trocknungszyklen in der Sonne und im Winde – unterzogen worden, bevor sie bei Patrick Pham als schwarzes Tuch eleganter Hosenanzüge und Abendkleider endete. Als Symbol des großzügigen und wilden rustikalen Lebens ist Brokat, bei Vietnams ethnischen Minderheiten von Generation zu Generation weitergegeben, ein mit der Hand hergestellter Stoff aus Baumwolle, Leinen oder Hanfe, wozu Wildpflanzen die Farbpigmente liefern. Jedes Muster, das beim Weben eingraviert wird und dann aussieht, als ob es gestickt worden wäre, ist einzigartig und kennzeichnet eine bestimmte Ethnie. Patrick Pham setzte sich wagemutig über die Tradition hinweg, indem er Brokat mit anderen Materialien wie Pferdehaut und Viehfelle mischte. Bei ihm stand der Brokat für das hektische Tempo einer Zigeunerin und die sexy Ausstrahlung einer Bohemiènne. In Paris begegnete der rustikale Brokat nunmehr der Romantik. Das Brautkleid bestand hingegen aus der weichen Seide von Hyazinthenblumen. Das Holz des Zedrachbaumes beziehungsweise Persischen Flieders, Chinesischen Holunders oder Paternosterbaumes erhielt an farbenfrohen Schuhen eine neue, luxuriöse Bestimmung. Von Handwerkern in Hue, der Kaiserstadt der Nguyen-Dynastie in Vietnam, handgefertigte Accessoires vervollständigten die Kollektion.

Der in Hongkong geborene australische Modeschöpfer und Bühnenbildner Bowie Wong, Sohn eines chinesischen Opernsängers, ist ein Geschichtenerzähler mit avantgardistischer Ästhetik. Diesmal erzählte er eine persönliche Geschichte, die von Hongkong über Australien nach Paris reichte. Kontraste kennzeichneten seine siebte Couturekollektion. Figurbetonte Kleidungsstücke kamen in Kombination mit fließenden Röcken vor, wohingegen schlanke Schnitte voluminösen Stücken Eleganz brachte. Federn glätteten die Ränder kraftvoller Silhouetten; Spitze und Materialien in Lederoptik waren aufeinander abgestimmt. Ein schwarzer bodenlanger Hosenanzug und ein purpurn schimmernder Einteiler mit kräftiger Schulterpartie ließen die Trägerin wie eine Samurai-Kriegerin oder anmutige Gladiatorin aussehen. Ein schwarzer, fließender Mantel mit Pailletten war eine Anspielung auf den majestätischen Nachthimmel. Unter lasergeschnittenem, gitterartigem Leder befand sich ein Schlangenhautdruck. Die Einfarbigkeit durchbrachen purpurne, donnerblaue oder silberne Blitze. Die Kleidungsstücke machten die Trägerin nach dem Erwachen des Selbstbewußtseines zur Kriegerin und Königin der Nacht. Die im Hotel „THE PENINSULA PARIS“ gezeigte Kollektion „Night Blooms“ war eine Meditation über die mysteriöse und kraftvolle Beziehung zwischen Frau und Nacht sowie eine Hommage an die Stärke der Identität einer Frau in voller Blüte.

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