▌EN

Die große Tour

Die Mode und das Landleben

Spaß an der Freude – das Mannequin Emmie Brookes vor der Modenschau „Ultràchic“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 12. Mai 2019
Die Grand Tour beziehungsweise Kavalierstour war seit der späten Renaissance eine für junge europäische Edelleute und auch vornehme Bürger vorgesehene Reise zu den kulturell bedeutsamen Stätten vorzugsweise in Frankreich, Italien und Spanien gewesen, um Persönlichkeit und Charakter zu bilden. Die Römer Modeschöpferin Stella Jean folgte die eigene Garderobe entlang einer Route, welche der großen Tour ähnelte. Allerdings führte ihr Weg zu einigen der reichsten und eindrucksvollsten Länder der südlichen Hemisphäre. So besuchte sie Afrika, Mittelamerika und Polynesien, wo sie sich nicht nur von den örtlichen Kulturen und Traditionen berauschen ließ, sondern auch inspirierende Geschichten und Bilder sammelte.

Protagonistin der Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2019/2020, welche Stella Jean am 24. Februar 2019 im Palazzo Reale präsentierte, war ein kurioses Weib, das als Spielerin, von Schönheit, Fairness und Erkenntnis angetrieben, durch kluges Fragen weiser und stärker wurde. Unter dem Motto „The SHEften“ flossen die Silhouetten zwischen weiblichen Linien und männlichen Stukturen. Das wichtigste Material war Kunstleder, das mal in Pythonmusterung, mal in Spitzenmakrameemusterung vorkam. Das Konzept „neo bon chic bongenre“ vermischte Strichmuster in subäquatorialen Farbtönen und Grisailles. Die Farbpalette umfaßte Rot, Ziegelrot, Rosa, Grün, Blau und Weiß. Handstickerei und Bemalung stammten aus Italien. Nebenher unterstützte Stella Jean das Projekt „PINKO x Treedom“. Nach der Devise „One tree, one tee“ korrespondierte zur Wiederaufforstung des kenianischen Pinkowaldes mit rund zehntausend Fruchtbäumen jeweils ein solcher Baum als Lunge der Erde mit einem T‑Leibchen, um im Sinne der Nachhaltigkeit und Multikulturalität die dort heimische Bevölkerung dauerhaft mit Nahrung zu versorgen.

Die Kollektion der Lissaboner Modeschöpferin Alexandra Moura, Absolventin der Europauniversität in Lissabon (IADE) im Jahre 2002, war eine Hommage an die portugiesische Keramikerin Rosa Ramalho, denn ihnen war ein Standpunkt gemein; das Gesamtwerk sollte real und „überhaupt kein Traum“ sein. Der Kontrast zwischen Alexandra Mouras Landleben und ihrer visionären Kunst prägte die am 25. Februar 2019 im Palazzo Giureconsulti gezeigte Kollektion, die eine Brücke sowohl zwischen Klassischem und Zeitgenössischem als auch zwischen Ländlichem und Urbanem bildete. So traf ländliche Arbeitskleidung auf Sportkleidung in Übergröße. Monster, Bestien und phantastische Wesen belebten Details sowie sich mischende oder überlappende Stoffe. Alexandra Mouras Handzeichnungen an manchen Kleidungsstücken gaben überdies Rosa Ramalhos Bestiarium wieder.

Im Palazzo Clerici zeigte die Modeschöpferin Nadia Zanola aus San Zeno Naviglio nahe Brescia am 24. Februar 2019 die Kollektion ihrer Marke „D.EXTERIOR“, wo Modelle in verschiedenen sanften, hellen Farbtönen und einfarbige Modelle einander abwechselten. Schneeweiß, Granitgrau, Himmelblau, Waldgrün, Quarzrosa und Feuerrot waren die entsprechenden Töne. Die silbernen und goldenen Oberflächen mancher Stoffe reflektierten das Licht, was den Reichtum dieser Stoffe verstärkte. Seide, geprägte mehrlagige Seide und Seidenorganza sowie laminierte Stoffe in Falten ließen raffinierte Eleganz erkennen. Die sorgfältig ausgewählten Materialien versahen die Sportkleidung mit Zweckmäßigkeit und Komfort. Als Verbindung zwischen Tradition und Moderne tanzten sozusagen bei den Details und Dekorationen Kett- und Schußfäden, Borten, Rippen sowie Rauten miteinander. Übergröße, A‑Linie und Bleistiftform bestimmten die Silhouette.

Weitere Bilder