▌EN

Die Mimose

Op-Art in der Mode

Steife Zöpfe – die Mannequins Ting Yan und Zara Carini vor der Modenschau „ANGEL CHEN“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 10. Mai 2019
Im Jahre 2000 hatte der Modeschöpfer Maurizio Braschi die Leitung des in Rovereta in San Marino ansässigen, auf Pelz spezialisierten Modehauses „BRASCHI“, welches seine Eltern Lorenzo Braschi und Kate Anna Topp im Jahre 1966 gegründet gehabt hatten, übernommen. Für die Couturekollektion für den Herbst und Winter 2019/2020 griff er den Stil der 1970er Jahre auf. Dem Werke des ungarischstämmigen, französischen Malers und Graphikers Vásárhelyi Győző alias Victor Vasarely, eines Mitbegründers der Op‑Art, wo die Perfektion von Kreisen, Quadraten, Rechtecken und Zickzacklinien mit dreidimensionaler Wirkung in Karos, Diamanten, Wellen, Streifen und Mosaiken umgesetzt worden war, entnahm Maurizio Braschi die Idee einer unwiderstehlichen Geometrie.

Unter dem Motto „OP‑FUR COUTURE“ bedingte das Prinzip der geometrischen Reduktion der Verwebung eine revolutionäre Überarbeitung, was zu Kleidungsstücken mit Kontrasten und optischen Täuschungen führte. Im Zusammenwirken mit italienischer Handwerkskunst ergab sich ein Alltagsluxus mit raffinierter und lebhafter Weiblichkeit. Unendliche Wirbel ineinander verschlungener Texturen und Farben waren dann der rote Faden, um das weibliche Herz zu erreichen. Von jeher zeichneten feine Pelze die Bekleidungsmarke aus und machten sie zu einem Synonym für Luxus. Nerz, Zobel, Luchs, Fuchs und Chinchilla waren die kostbaren Fellprotagonisten. Nerzfell, mit Zobel- oder Fuchsfelle oder sogar mit exotisch gefleckten Fellen zusammengestellt, war der Star der Kollektion, welche Maurizio Braschi am 23. Februar 2019 im Hause des Mailändischen Philologischen Zirkels präsentierte.

Von den 1970er Jahren beeinflußt, fügten sich langes Luchsfell und farbenfrohes Chinchillafell mit Fuchsfelle zu einer modernen, schillernden Neuinterpretation zusammen. Die Länge machte den Unterschied bei Westen, Jacken und Mänteln. Westen reichten bis zu den Füßen und hatten eine trapezförmige Silhouette, die oben schmal und unten breit war. Nerzmäntel wiesen eine einzigartige Intarsie auf; deren Gewebeeffekt ähnelte einem mehrfarbigen, in sechseckigen geometrischen Figuren gemusterten Teppiche mit Lurex-Einsätzen. Die vier oder fünf verschiedenen Farben bei kurzen oder langen Capes und Ponchos beruhten auf der Assemblage- und Intarsientechnik, wobei sich die Perfektion geometrischer Figuren in präzisen Formen und Proportionen zeigte. Farben waren für das auf Pelz spezialisierte Modehaus überaus bedeutsam. Nebeneinander angeordnete Nuancen erwiesen sich bei Pelzdessins und Intarsien als markante Farbzusammenstellungen. Geometrische Figuren und sonstige Muster wirkten so auf den Pelzen, als ob das Fell Seide wäre.

Die portugiesische Modeschöpferin Katty Xiomara hielt es für notwendig, in die Zukunft zu schauen, was einen Blick in die Vergangenheit unumgänglich machte. Dies ließ ihre Kindheit lebendig werden. Im Herzen einer portugiesischen Familie im gemäßigten Klima Südamerikas geboren, hatte sie stets viel Natur umgeben. In einer Kultur der Machos hatte sie schon als Jugendliche von der feministischen Bewegung profitiert. Obwohl seither viel erreicht worden war – mehr Respekt Frauen gegenüber –, gab es für Katty Xiomara unter dem Stichworte „echte Chancengleichheit“ noch viel zu tun. Mit der Kollektion „MARIA MIMOSA“, welche am 24. Februar 2019 im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci zu sehen war, ehrte Katty Xiomara die vielen Frauen, die in der Vergangenheit so viel für sie und andere getan hatten. Nebenbei stellte sie sich dem Verlangen nach neuesten Modetrends in kürzester Zeit entgegen. Gleichwohl hielt sie den Gedanken der Nachhaltigkeit für etwas ehrgeizig und teilweise utopisch, weil es sehr schwierig sei, den gesamten Produktionsweg in der Bekleidungsbranche als einer der umweltschädlichsten Branchen lückenlos zu verfolgen.

Da sich Katty Xiomara nicht imstande sah, wie die amerikanische Feministin Gloria Marie Steinem ihre Stimme zu erheben oder wie die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone-Lucie-Ernestine-Marie Bertrand de Beauvoir zu schreiben, ließ sie lieber die Kleidungsstücke sprechen, wenn sie etwas mit Worten nicht ausdrücken konnte. Die Kollektion erschien dann mit einfachen und femininen Formen sowie in starken und explosiven Farben wie auch als eine Mischung aus Materialien und Texturen. Das zentrale Modell war der schlichte Umhang „Maria Reverberada“. Die Kollektionsbezeichnung verweist übrigens auf die Mimose. Zu dieser Pflanze fiel Katty Xiomara eine Geschichte philippinischen Ursprunges ein. Darin ging es um ein äußerst schüchternes Mädchen namens Maria, welches die Eltern vor einer Lebensgefahr im Walde versteckten; bei der Rückkehr fanden die Eltern nur eine Pflanze, die bei Berührung geschwind alle Blätter schloß, vor, wonach sie davon ausgingen, daß eine so schüchterne Pflanze nur ihre Maria sein konnte.

Die Bezeichnung „Everything is forbidden“ der Kollektion der Mailänder Marke „MARIOS“ ging zurück auf den Werbeslogan des Clubs „HALL“ in Tallinn, welcher für die Modeschöpfer Mayo Loizou und Leszek Chmielewski zu den derzeit zehn besten Clubs der europäischen Technoszene zählte. Da lag es nahe, daß dessen Diskjockeys die Modenschau am 24. Februar 2019 im Theater der Veranstaltungsstätte „MENOTTI 11“ musikalisch begleiteten. Wollkrepp, Seidenkrepp und Seidensatin waren die Stoffe von Capekleidern, fledermausförmigen Blusen und Herrenhosen. Rauhe Kanten waren all diesen Kleidungsstücken gemein. T‑Leibchen in Maxilänge, Rollkragenpullover und Leggings in Bananenform aus fleischrosa oder schwarzem Netzgewebe hatten ein farblich abgesetztes Rippenmuster. Kollegsymbole schmückten asymmetrische Kleider in Maxilänge, Cardigans und Pullover; als Zubehör kamen große Nackenkapuzen in Betracht.

Bei handgefertigten Pullovern aus leichter Mohairwolle handelte es sich hingegen um nordische Symbole aus Lurex. Dufflecoat und Regenmantel bestanden entweder aus Nylon mit Farbblöcken oder aus Wolljacquard. Fledermausförmige Bomberjacken zum einen aus glänzendem Nylon und zum anderen aus Wolltwill. Eine Neuheit war der Cape. Serge de Nîmes, mal blau, mal flaschengrün, mal schwarz, war die Basis weiterer, multifunktionaler Kleidungsstücke. Der Schriftzug „Everything is forbidden“ galt sowohl für Strickstücke als auch für Schals. Als Druck tauchte der gleiche Schriftzug an Pullovern, Strümpfen und Ledergürteln auf. Die Farbpalette umfaßte noch Burgunderrot und fluoreszierendes Gelb. Schals aus Spitze, netzartig verstrickter Wolle und Straußenfedern waren Accessoires, die mit versteckten Knöpfen an den Kleidungsstücken zu befestigen waren.

Mit einer neuen Kollektion der in San Mauro Pascoli in der Emilia-Romagna beheimateten Schuhmarke „Baldinini“ fing der kreative Leiter Claudio Merazzi die Stimmung der 1980er Jahre ein, was zum Triumphe des Stiefels als Ikone dieses Jahrzehntes wurde. Ihn gab es daraufhin in etlichen Variationen. So umarmten weiche Nappalederbänder die Knöchelpartie eines lässig dekonstruierten, ein bißchen übergroßen Ofenrohrstiefels samt Kordelzuge sowie mit Falten und barocken Metallbeschlägen. Ein Musterspiel oder eine Verbindung aus Stickerei und Laméfäden verstärkte die starke texanische Identität eines Cowboystiefels; Ketten, Strass-Steine als Einsätze, ein Stückwerk aus leuchtenden Texturen und in mehrfarbigem Pythonmuster bedruckter Laminat machten ihn unvergeßlich. Den texanischen Cowboystiefel gab es in weiteren Ausführungen, und zwar aus dickem Leder oder samt hohem Stilettabsatze oder samt Gummisohle. Ein Camperostiefel spiegelte kraft seines klaren Glanzes die goldene Luft der Wüsten Arizonas wider; eine von Nieten beeinflußte Schnalle ließ die von der amerikanischen Malerin Georgia O’Keeffe gemalten einfachen Linien noch linearer aussehen und umgab den Stiefel zugleich mit einer rockigen Atmosphäre.

Ein Stiefel samt übergroßer Gummisohle mit Metalleinsätzen sah dank technischer Anleihen von Arbeitsschuhen wie gummierter Verschlüsse und Logos nicht nur sportlich, sondern auch futuristisch aus; Nylon, Stretchgewebe und glänzende Metallfolie verbanden einander so, daß sich Haken und Schnürsenkel mit Schriftzügen abwechselten. Für die Bikerwelt standen übergroße Stiefel bis zur Wade oder zum Knie, deren Silhouette quadratisch war, wobei ein starker Metallbeschlag in Gestalt einer geometrischen Kette oder in Gestalt des in „Vintage“-Weise neu gestalteten Markenlogos das Kalbsleder veredelte; weitere Zutaten waren Lederdruck, Teppichstickerei und Kunstpelzbesatz. Für die gesamte, im eigenen Mailänder Schauraume vorgestellte Kollektion galt die Maxime der Nachhaltigkeit: Abfallwiederverwertung, wasserbasierter Klebstoff, lösungsmittelfreie Chemikalien und Naturcreme. Sie reichte bis zur plastikfreien und biologisch abbaubaren Verpackung der Waren.

Weitere Bilder