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In Grau übergehen

Die Mode und der Spaß

Frau mit Hute – das Mannequin Roza Franjic vor der Modenschau „SIMONETTA RAVIZZA“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 8. Mai 2019
Als schick, stilvoll und zeitlos, aber immer trendig, doch auch als etwas exzentrisch ließ sich das Frauenideal der Modeschöpferin Simonetta Ravizza aus Pavia beschreiben. Da kam ihr die Amerikanerin Chloë Stevens Sevigny, Schauspielerin, Regisseurin, Modeschöpferin und Mannequin, ob ihres Geistes, Charmes und starken, vielseitigen Stiles als inspirierende Muse durchaus zupasse. Es ging eben um Spaß an Mode. Die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2019/2020 präsentierte Simonetta Ravizza dann am 23. Februar 2019 in der Mailänder Veranstaltungsstätte „SALONE DEI TESSUTI“.

Im Mittelpunkte der Kollektion stand der Pelz, und zwar als wertvolles Dekorationselement. Mit ihm verwandelten sich Stolen, große Kapuzenschals, abnehmbare und anreihbare Kragen sowie Ärmelaufschläge in raffinierte Teile, um zu beziehungsweise an übergroßen maskulinen Mänteln aus Schaffelle in Maxilänge getragen zu werden, wobei diese Mäntel oft kontrastierende Stoffmischungen wie zweifarbigen Wollbouclé und mannigfaltige Grisaille oder kontrastierende Musterungen wie Leopardenmuster als Stoffdruck und Hahnentrittmuster aufwiesen. An schwarzen, langen Kitteln, mit in Tigerart bedruckter Kidmohairwolle gefüttert, fühlte sich der Pelz sogar wie Tuch an. Pelz als Futter bescherte sportlichen Jacken aus doppelseitigem technologischem Stoffe einen verborgenen Hauch Luxus. Daunenjacken aus Herrenstoffe in Fürst‑von‑Wales-Musterung in Maxilänge, mit fluoreszierendem Nylon gefüttert, hatten nicht nur eine großzügige Kokonform, sondern auch eine verspielte, schrullige Note, welche bei Röcken in Midilänge, Radlerhosen, kleinen Latexsocken und Strohhüten wieder auftauchte. Die Vorlage für diese Strohhüte waren die Hüte, die der amerikanische Schauspieler Johnny Depp in dem Spielfilme „DEAD MAN“ des amerikanischen Regisseurs, Drehbuchautors und Schauspielers James Robert Jarmusch alias Jim Jarmusch aus dem Jahre 1995 getragen hatte. Leder hatte auch eine Hauptrolle. Dies betraf wadenlange, konische Röcke samt sexy Schlitzen, übergroße Hosen samt hoher Taille und moderne Jumpsuits, worüber pummelige Mäntel aus Fuchsfelle oder Truckerjacken aus umgedrehtem Lammfelle gehörten. Die legendäre Handtasche „Furrissima“ erschien diesmal in zweien „Baby“-Versionen, und zwar zum einen aus weichem mongolischem Lammfelle und gewebtem Leder sowie zum anderen aus zweifarbigem Lammfelle; an der Taille mit einem großen silbernen Metallringe getragen, war sie ein schmuckes Accessoire. Als Nachweis für eine stete kreative Fortentwicklung brachte Simonetta Ravizza in dieser Saison eine Sonderkollektion für Herren auf den Laufsteg. Bomberjacken, zweifarbige, sportliche Cabanjacken und lange Lammfellmäntel verbreiteten eleganten Humor.

Im Palais der Gesellschaft für die Schönen Künste und Dauerausstellungen zeigte der aus Kalabrien stammende und in Appignano in den Marken tätige Modeschöpfer Nicola Brognano, der die Marke „BROGNANO“ im Jahre 2015 geschaffen hatte, eine Kollektion, wofür der königliche Hof von Versailles die Inspirationsquelle war. Das stoffliche Interieur des Petit Trianon, des intimen Universums der Königin Maria Antonia fernab des strikten Hofzeremonielles, beeinflußte die Stoffdrucke. Die Rose als ihre Lieblingsblume bildete das Motiv der Stickerei an übergroßen, ärmellosen Parkas. Vliese erhielten auch eine königliche Note, denn eine kräftige Stickerei veredelte die Identität der Sportkleidung. Blusen samt majestätisch weiten Ärmeln flossen unter Kleidern heraus. Nicht nur für besondere Anlässe gab es voluminöse Tüllkleider. Kristallstickerei bedeckte Korsetts. Die gleichen Kristalle an den Schnüren von Rucksäcken machten selbige zu praktischen Juwelen. Die Farbpalette umfaßte Schwarz, Weiß, Himmelblau und Rosa. Es war eine Kollektion für eine moderne Marie Antoinette mit Geiste und Herze, auf daß sie träumen möge von der Freiheit, den gesellschaftlichen und familiären Regeln und Zwängen zu entfliehen. Zur besagten Tristesse paßte die Musik zur Modenschau. Das Lied „Fade to Grey“ der britischen New-Romantic-Band Visage aus dem Jahre 1980 spiegelte diese Stimmung und Atmosphäre vortrefflich wider. Der Clou war freilich, daß dieses Lied schon auf der Modenschau des Mailänder Modeschöpfers Gabriele Colangelo eine Stunde zuvor zu hören gewesen war.

Nach der Modenschau in der Mailänder Börse am 22. Februar 2019 war die neue Kollektion des Modehauses „VERSACE“ am 23. Februar 2019 im Schauraume des Hauptquartiers zu sehen. Die Modeschöpferin Donatella Versace unterzog den Stilkodex des Hauses einer Neubetrachtung. Die Gegensätzlichkeit des Luxus und Grunges trat nunmehr beim Stile als Ganzem und bei den Details der Kollektion zutage. Griechischer Schlüssel und neu verzierte Sicherheitsnadeln bildeten den Kern der Gegenüberstellung. Imperfektion zeigte sich an den unfertigen Säumen reichhaltiger Stoffe und an den Sicherheitsnadeln zur Bestückung von Kleidungsstücken. Strickstücke aus Kaschmirwolle waren sozusagen zerstört. Gesteppte seidene Bondageriemen überlagerten die rauhen Schnittkanten bunten Tweeds. Zu Schlupfkleidern gehörten Strümpfe; Goldketten bereicherten Kunstpelz, während Schnallen Lederstiefel zum Drama machten. Die Kollektion war überdies ein Tribut an die enge Beziehung des Hauses zur Modephotographie, und zwar an den Umstand, daß der amerikanische Photograph Richard Avedon vom Jahre 1979 an über zwanzig Jahre hinweg mehr als dreißig Kampagnen bebildert und auch am 3. Februar 1995 Donatella Versace zur Einführung des Parfüms „Blonde“ in seinem New Yorker Studio porträtiert hatte. Insofern wirkte sich die Gestalt der markantesten Flacons auf die Stoffdrucke und Stickereien aus. Eine Explosion kräftiger Farben und eine Bezugnahme auf die Kunstgeschichte kennzeichneten die Drucke ebenfalls, wenn beispielsweise beim Drucke „Vittoria“ in lebhaften Tönen ein Denkmal, nämlich eine Statue aus der Londoner Nationalgalerie, gleichsam zum Leben erweckt wurde. Zu guter Letzt stand der Buchstabe V für Virtus, also die Tugend, das heißt die im antiken Rom göttlich verehrte Personifikation soldatischer Tapferkeit. In barocker Form prägte dieser Buchstabe als markantes Symbol des ästhetischen Erbes des Modehauses sowohl die Kleidungsstücke aus Seide oder Lurex-Jacquard als auch die Handtaschen. Zu alledem meinte Donatella Versace: „Mutige Frauen fühlen sich frei, sich von dem abzuwenden, was erwartet wird.“ In diesem Sinne richtete sich die Kollektion an Frauen ohne Angst, aus ihrer Komfortzone herauszutreten.

Die Schmuckkollektion „Scientific Match Point“ der eigenen Marke „ALIITA“ stellte die aus Venezuela stammende und in Mailand tätige Modeschöpferin Cynthia Vichez Castiglioni am 23. Februar 2019 in ihrem Atelier vor. Zum fünfhundertsten Todestage des italienischen Künstlers und Wissenschaftlers Leonardo da Vinci erhielt die Linie „Pura“ weitere Modelle. Um all seine wissenschaftlichen Wirkungsfelder – von Astronomie über Mechanik, Chemie und Botanik bis zu Anatomie – abzudecken, besetzten Sterne, Roboter, Alambiks, Blumen und Dinosaurier aus Diamanten, Natursteinen und buntem Email als fröhliche und ironische Protagonisten goldene Schmuckstücke. Der Tennissport wirkte sich unter dem Motto „Campo Tennis“ auf eine Gruppe geometrischer Ohrringe aus vergoldetem Silber oder 9karätigem Golde aus, welche Tennisplätze graphisch wiedergaben. Die Farben Grün, Blau und Rosa wiesen aufs Gras in Wimbledon, auf den Zement in Flashing Meadows und auf den Sand in Paris hin. Die mit Tennisschlägern aus Golde und Email verzierten Halsketten der Linie „Raqueta“ in hellgrünen und hellblauen Tönen fielen durch einen dreidimensionalen Effekt auf. Die antike italienische Kunst des Kameenmachens führte unter dem Motto „Tennista“ zu Keramikfingerringen, Ohrringen und Anhängern in zarten Sorbettönen wie Rosa und Minzgrün. Erstmals kam das Mineral Diaspor zum Einsatze; Graphiken im Stile der dekorativen Kunst stellten an Fingerringen und Ohrringen Tennisplätze dar. Bei den Modellen der Linie „Sandwich Decò“ fügten sich Gold und hellblauer Quarz in ein geometrisches Dessin ein. Bei den farbenfrohen, minimalistischen Modellen der Linie „Deleite“ eigneten sich Morganit, schwarzer Spinell, Citrin und grüner Turmalin für eine Kombination. Die Modelle der Linie „Nadadora“ standen mit neuen Farb- und Mustervariationen weiterhin im Rampenlichte.

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