Das Bauhaus wieder in Mailand
Die Mode und die Aufklärung
Glitzersteine im Gesichte – das Mannequin Marchelle Lourens vor der Modenschau „MARCO de VINCENZO“ (Bild: Christian Janssen)
Die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2019/2020 präsentierte Marco de Vincenzo am 22. Februar 2019 in einer Lagerhalle der MTS Metalspeciali S.r.l. Da er keinerlei Angst vor einem bißchen Kitsche verspürte, ging es ohne Hemmung um glamourösen Rock. Ein Farn-Knospen-Muster überzog ein wadenlanges Klappenkleid, ein schulterfreies Kleid, ein kastenförmiges Damenkostüm und einen kastenförmigen Hosenanzug. Ein beinahe nur aus Fransen bestehendes Kleid ließ stellenweise die Haut erkennen. Als Motiv erschien eine stehende Tänzerin an der Vorderseite eines schulterfreien Pullovers mit Halsbande. Rechteckige Muster fielen besonders auf. An perlgrauen, wadenlangen Kleidern, teilweise noch mit fließenden, breiten, schwarzen Streifen versehen, hatten sie eine Gitterstruktur. Als Schottenkaro waren sie an einem Damenkostüme und einer langen Jacke beige-grau-schwarz, wohingegen sie an einer mittellangen Jacke braun-purpurn-blau-weiß waren. Farbblöcke überlagerten das Gittermuster an einem schulterfreien Kleide und einem Ensemble aus Jacke, Hose und Kurzmantel, wobei die breiten Zwerchbalken farngrün, hechtgrau, purpurn und sepiabraun waren. Zwei schwarze, mittellange Jacken hatten ein ombriertes Wellenmuster. „Bambi“-Broschen schmückten den Halsausschnitt eines Pullovers zu einem Trägerkleide, die Taillenpartie eines vorn geschlitzten, schulterfreien Kleides sowie den Kragen einer Jacke und einer langen Bluse. Bei Marco de Vincenzos Vorliebe für Lurex durfte dieses Material, und zwar mit glitzernder Oberfläche als psychedelische Version, nicht fehlen; für Makramee galt dies ebenso. Kunstpelz, der schwarz, graugrün, graublau oder grauviolett schimmerte, kam bei Mänteln, Jacken und schulterfreien Kleidern samt Halsbande sowie bei Stolen vor. Einige der Silhouetten waren sehr großzügig bemessen. Sogar die Ohrringe hatten eine „Bambi“-Gestalt. Alles in allem drückte die Kollektion Leichtigkeit und Spontaneität aus.
Mit dem Zeitalter der Aufklärung, wo man sich von hergebrachten, überholten, den Fortschritt behindernden Vorstellungen und Strukturen hatte befreien wollen, befaßte sich Christian Alexander Beck, der kreative Leiter des Münchener Modehauses „AIGNER“. Wissen, Freiheit und Glück als Kerngedanken dieser Bewegung waren die Aspekte, womit er bei der Kollektion „Enlightenment“ spielte. Lagen waren das Hauptthema. Tuniken, Kimonos und Capes waren in unterschiedlichen Schichten zu tragen. Die Silhouetten waren jedenfalls schmal. Fliegerjacken aus Lammfelle, Stehkragenjacken, Mäntel aus naturfarbener Plüschwolle sowie Puffmäntel und Jacken aus Nappaleder traten daneben. Neben dem Markenlogo war das Stiefmütterchen ein zentrales Motiv, welches sich als emotionales, romantisches Element von den rationalen, klaren Linien abhob und auf besticktem Tülle oder irisierender Seidengaze an fließenden langen Kleidern oder an Kimonos zu finden war. Perlenstickerei verschönerte Overalls aus Jersey, während das Markenlogo in gedruckter Devoré- und Degradé-Version vorhanden war. Tartan war ein häufiges Muster. Plissee kam in Silber mit blauen Kanten oder in Blau mit silbernen Kanten vor. Zur Ausschmückung dienten noch Stickerei mit Pailletten und goldenem Lurex-Garne sowie goldene Kordeln. Gedeckte Farbtöne wie Malvenrot und Grau in verschiedenen Schattierungen drückten subtil Klasse aus, wohingegen Farbtöne wie Bisonbraun, Nachtblau und Grün für Zeitlosigkeit standen. Das Schuhwerk paßte sich an. Spitz zulaufende Stiefeletten hatten einen langen Reißverschluß. Demgegenüber hatten nur bis zum Knöchel reichende, spitz zulaufende Stiefeletten seitliche Ausschnitte. Klobige Sneaker samt besonderer Lasche und bis übers Knie reichende Sneakers aus Samte vervollständigten die im Palazzo Reale gezeigte Kollektion. Eine „AIGNER“‑Modenschau ist freilich ohne Handtaschen unvorstellbar.
Das Modell „Cybill Tartan“ war eine Handtasche mit Tartanmuster. Schraubennieten mit eingefaßter Perle zeichneten das Modell „Cybill Perla“ aus. Beim Modelle „EPONA“ nach der römischen Göttin der Pferde zierte ein goldener Pferdekopf sowohl als edles Dekor als auch als Verschlußelement eine Henkeltasche; in einer Modellvariation ergänzen Schraubennieten, Kristallsteine und das Stiefmütterchen als Stickereimotiv den Pferdekopf. Das Modell „DEA“ gab es als Henkel- oder Umhängetasche in jeweils zweien Größen, und zwar mit goldenen Metallteilen wie dem Verschlusse, den Schrauben als Kantenbeschlage und der Gliederkette mit besonderem Kantenschliffe als Schulterriemen; Perlen, Nieten und das Stiefmütterchenmotiv waren einer Variante vorbehalten. Beim Modelle „COSIMA“ diente ein mittels Reißverschlusses verschließbares Fach an der Rückseite der geräumigen Henkeltasche oder der in zweien Größen existierenden Umhängetasche aus genarbtem Leder samt Klappe aus Saffiano-Leder als zusätzlicher Stauraum; in einer Variante war das Stiefmütterchen das Motiv eines Stoffdruckes an der burgunderroten oder nachtblauen Umhängetasche. Das Modell „Dora Pearl“ war eine schwarze Handtasche mit Perlen und Schraubennieten. Das Modell „Dora Pansy“ war ein tragbares Blumenbouquet in Handtaschengestalt vor allem wegen der Dreidimensionalität der Stiefmütterchen. Das Tartanmuster tauchte beim Modelle „Dora Check“ wieder auf. Das sanft glitzernde Leder beim Modelle „Dora Crystal“ wirkte wie ein Sternenhimmel, wobei die anthrazitgrauen Kristalle auf den Schraubennieten die Handtasche noch mehr glänzen ließen. Das Modell „DANA“ war zum einen eine Beuteltasche mit Perlen, Schrauben oder dem aktuellen Muster und zum anderen ein kastenförmiger Koffer aus genarbtem Leder oder in charakteristischer Tartanmusterung. Beim Modelle „SAVONA“ sahen die Schäkel als goldenes Metallelement der Henkeltasche in zweien Formen und der Umhängetasche wie das für die Marke bekannte Hufeisen aus; für die Trageweise über der Schulter auf der anderen Körperseite bestand die Umhängetasche aus goldenem und silbernem Spiegelleder. Eine Schultervariante und eine Handvariante mit großen und kleinen Schraubennieten erweiterten das Modell „Fiorentina“. Das Modell „Cavallina“ kam nunmehr mit Spiegeldetails oder mit Tartanmuster vor. Weitere Accessoires waren Schals, Foulards und Decken.
Im Mailänder Laden der eigenen Marke „ANTONIO CROCE“ stellte der Modeschöpfer Antonio Screpis aus San Giovanni in Marignano die Kollektion „URBAN TRIBE“ vor. Als Meister des Kontrastes verband er mühelos das Wesen der Natur mit seinem großstädtischen Stile, ohne seine mediterranen Wurzeln zu vergessen. Detailreich verzierte Mäntel aus feiner, doppelseitiger Alpaka- und Kaschmirwolle hatten einen Nerzkragen. Für den Abend eigneten sich mit Strass-Steinen bestückte Hosenanzüge aus Samte. Hosenanzüge aus Wolle taugten für den übrigen Tag. Blusen waren stets aus Seide. Seidenvoile war der Stoff für Kleider. Neben ledernen, mit Kristallen bereicherten Bikerjacken samt buntem Nerzkragen und Daunenmänteln lag der Fokus auf ungefütterten Mänteln, heißgesiegelt, bestickt und besetzt, mit klaren Linien in hellen Farben. Rot, Orange und Gelb gaben die Magie des herbstlichen Waldes wieder. Indessen repräsentierten Kamelbraun, Rosa und Himmelblau die urbane Welt. Die Silhouetten blieben feminin.
Anläßlich des einhundertsten Jubiläums der Gründung des Bauhauses in Weimar im Jahre 1919 war die Kollektion der Marke „Les Copains“ eine Hommage an diese Kunstbewegung, die für Modernität bildende Kunst, Architektur, Graphik und Gestaltung zusammengeführt hatte. Für Stefania Bandiera, die Modeschöpferin, und Alessandro Mariani, den Geschäftsführer des Modehauses in Bologna, hatten die rationalen Gestaltungsprinzipien, nämlich geometrische Formen wie Kreis, Quadrat und Dreieck sowie Primärfarben wie Rot, Gelb und Blau zu verwenden, bis heute nicht ihre Bedeutung verloren. Auch der emanzipatorische Gedanke angesichts der Schülerinnen Anni Albers und Helene Børner war nicht minder aktuell. Unter Bezugnahme auf diese Prinzipien ergänzten in der Kollektion Schwarz und Weiß die Grundfarben Rot, Gelb und Blau. In der Verflechtung der Kunst und des Handwerkes stellten die Kleidungsstücke gestrickte Skulpturen dar. Das Studium von Funktion und Form führte zu einer Neuerung. Die Stricknadel, ein Handwerkszeug zur Garnverarbeitung und somit ein Symbol der Handwerkskunst, fungierte nunmehr als stilisierter Metallverschluß, um die Handarbeit zu versinnbildlichen. Dies betraf Pullover in Mini- und Maxilänge, Jacken sowie Dufflecoats in ihrer warmen Weichheit. In der Mailänder Boutique des Modehauses war nicht nur die besagte Kollektion, sondern auch eine Auswahl fürs Bauhaus repräsentativer Bilder in großformatigen Tafeln zu sehen, was der zeitgenössische italienische Künstler Michele Chiossi verantwortete. In Anspielung auf die berühmten Bauhaus-Maskottchen des deutschen Malers, Graphikers, Photographen und Gestalters Philipp Eberhard Schrammen stellte Michele Chiossi überdies seine neue Skulptur „100/100Maskott“ aus polychromem Marmor und Stahle aus.
Weitere Bilder