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Glückliche Reise!

Die Mode und der Generationenkonflikt

Ernstes Trio – die Mannequins Ana Cristina, Danielle Browne und Goda Paulavičiūtė vor der Modenschau „MARCO RAMBALDI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 4. Mai 2019
Schon im Jahre 1785 hatte der deutsche Dichter Matthias Claudius bemerkt: „Wenn Jemand eine Reise thut, / So kann er was verzählen; / Drum nahm ich meinen Stock und Hut, / Und thät das Reisen wählen.“ Reiseerinnerungen und Vorstellungsbilder bewogen nunmehr die Modeschöpferinnen Luisa Beccaria und Lucilla Bonaccorsi zur Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2019/2020, welche sie am 21. Februar 2019 im eigenen Mailänder Atelier präsentierten.

Unter dem Motto „Fancy journeys“ führte die Reise in englische Gärten und extravagante orientalische Märchen. Gleichsam bis zum Himmel reichende Blüten, Blätter und Zweige als Motive an Blusen, Plisseekleidern und Kleidern in Midilänge ließen eine verträumte Winterlandschaft entstehen. Blumen als Motiv befanden sich auf Tweed, schmückten Tartanmuster, überlappten metallischen Seidenjacquard und dienten als Einlage bei Spitze. Überdies kamen sie mal als Handarbeit in Zigeunerart auf Samte, mal dreidimensional an einem Hosenanzuge aus Brokate und an einer zugehörigen Bluse aus Chiffon vor. Brokat voller Pfingstrosen und bunter Lilien, schwerelos und mit schillerndem Perlglanze, war auch der Stoff für Couturekleider. Die Farbpalette umfaßte Nachtblau, Himmelblau, Krickentengrün, Puderrosa, Malvenrot und Karmesinrot, was in der kühlen Jahreszeit Kunstpelz und leichte Kleidern zum Leuchten bringen sollte. Weitere Materialien waren Kaschmirwolle, Viyella, Tüll und Organdy. Um sich „wie eine Prinzessin“ zu fühlen, galt für alles die Regel: leichte Stoffe, weiche Formen und immer betonte Taillen. Anstecknadeln und Broschen zierten hohe Kunstpelzmützen, während Stiefel übers Knie reichten. Zu jemand zwischen Träumen, Gefühlen, Kunst, Dichtung und exotischen Zielen paßte ein romantischer, femininer Stil; das Geheimnis lag letztlich in der Mischung stilistischer Einflüsse.

Der aus Bologna stammende und in Mailand tätige Modeschöpfer Marco Rambaldi, Absolvent im Studiengange Modegestaltung an der Universität von Venedig im Jahre 2013, hatte die eigene Bekleidungsmarke gleichen Namens im Jahre 2014 geschaffen, nachdem die Zeit im Veneto seinen Stil geprägt gehabt hatte. Die kreative Vision speiste sich seither aus dem Generationenkonflikte in den 1970er Jahren zwischen der italienischen Bourgeoisie mit ihren alltäglich repetitiven, reaktionären Regeln und der emotionalen, radikalen, rebellischen Jugend mit ihrer neuen Ästhetik; Vernichtungsdrang und Überlebenstrieb standen gegeneinander. Inspirationsquelle der neuen Kollektion war das Buch „ROLES“ der italienischen Photographin Marcella Campagnano aus dem Jahre 1974. Darin ging es um den feministischen Radikalismus der 1970er Jahre; als Kritik an den Grenzen und der Enge einer vorgegebenen patriarchalischen Gesellschaft interpretierten Weiber mittels Verkleidungen und Tricks verschiedene Rollen, die ihnen das soziale Umfeld aufzwang. Jedes Modell der im Palazzo Reale gezeigten Kollektion stand für einen bestimmten weiblichen Prototyp: Managerin, Liebhaberin, Aktivistin, Prostituierte, Transsexuelle, Studentin, die Heldin. Marco Rambaldi verstand die Auflistung als nicht endgültig, weil das Weibliche noch weiter erforscht werden mußte. In der Kollektion kamen Farbe und Dekoration, die Leidenschaft für Oberbekleidung und für Strickwaren, die Synthese aus Männlichem und Weiblichem, die Mischung aus italienischer Hoch- und Subkultur sowie Populäres und Akademisches zusammen. Die formale Struktur reichte von den Regeln der Herrenbekleidung bis zur Wiederentdeckung klassischer Kleiderkonstruktionen. Mäntel und Jacken ließen viel Liebe zum Detail erkennen. Gewebe und Gestricke wiesen Drucke mit Jacquard-Technik auf, was wie ein Gewirr von Körpern und Gesichtern wirkte. Das Dessin in Pfauengestalt kehrte als Collagendruck immer wieder und gab die weiblichen Rollen vor.

Die Marke „ACT Nº1“, welche die Modeschöpfer Galib Gassanoff und Luca Lin im Jahre 2016 in Reggio Emilia geschaffen hatten, verweist namentlich auf deren Kindheit als ersten Akt des Lebens. Alles drehte sich um deren multikulturellen Hintergrund mit einem Fokus auf Zuhause und Lebensstil über die Kindheit hinaus; da begegneten antike chinesische Kunst und aserbaidschanische Handwerkskunst einander. Galib Gassanoff und Luca Lin mochten eine Geschichte erzählen. Diese Geschichte führte an einen der abgelegensten und privatesten Orte, nämlich ins Schlafzimmer. Das Bett war für sie eine Stelle, wo man unendlich träumen konnte, wo man sogar die intimsten Dinge ausdrücken konnte. Sie wollten Maiden darin bestärken, Schwierigkeiten zu überwinden und Hindernisse in persönliche Ziele zu verwandeln. Leibröcke, mit Landschaften in Aquarellfarben bedruckt und mit der subkulturellen Ästhetik der 1990er Jahre kontaminiert, zeigten einen gegen Stereotype gerichteten und für Inklusion stehenden Ansatz auf. Die Umwandlung ethnisch beeinflußter Kleidungsstücke für eine moderne Art des Kleidens bekräftigte die Bedeutung der Herkunft. Ein besonderes Merkmal der im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci vorgestellten Kollektion waren ohnehin die Paarungen. Eine Bomberjacke und ein Mantel bildeten eine Kombination. Ein geraffter Tüllrock gehörte zu einer Bluse oder einem Pullover. Ein Wickelkleid paßte zu einer Seidenbluse. Ein T‑Leibchen wurde zu einem Pullover getragen. Ein Digitaldruck in Gestalt orientalischer Landschaften und bunter Pfingstrosen bereicherte Baumwolle-Viskose-Jacquard mit Gobelinmuster. Transparentes Polyvinylchlorid (PVC) verpaßte dekonstruierten Röcken, Hosen und Mänteln einen technologischen Einschlag.

Erstmals in der Mailänder Modewoche stellte sich die Tapestry, Inc., als Inhaberin der Marke „STUART WEITZMAN“ – eine amerikanische Marke mit europäischer Sensibilität – mit einer Schuh- und Accessoirekollektion vor. Zugleich handelte es sich um die Debütkollektion des kreativen Leiters Edmundo Castillo. Im Museo del Novecento hatten die Schuhe und Handtaschen im Dienste der Schönheit zukunftsweisende und markante skulpturale Silhouetten. Markenikonographie und moderne Weiblichkeit gingen eine Verbindung ein; es war ein Zusammenspiel klassischer Eleganz und zeitgemäßer Anmutung. Stoffbehandlungen mit überraschenden Details und opulenten Verzierungen ermöglichten unterschiedliche Sichtweisen auf Schuhe und Handtaschen. Futuristische Elemente wie Stickerei mit galaktischen Motiven zogen sich durch die gesamte Kollektion. Technischer Stretch-Vinyl, Stretch-Wildleder und Stretch-Metall waren die Materialien für stromlinienförmige oberschenkelhohe Stiefel. Farbige Federn setzten bei sonst kaum wahrnehmbaren Sandalen einen eleganten Akzent. Einen festen Standpunkt vermittelten farbige Acrylglasblockabsätze und klare Plexiglaseinsätze an anderen Schuhen. Eine Ansammlung metallischer Pailletten und leopardartigen Pailletten gab es obendrein in vielen herbstlichen Farbtönen.

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