MODE UND KULTUR

Die Frau mit dem Gurte

Die Mode und das Labyrinth

Eine Elfe – das Mannequin Evgeniya Lapaeva vor der Modenschau „GEORGES CHΛKRΛ Couture“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 3. Februar 2019
Was ist überhaupt die weibliche Form? Diese Frage stellte sich der Beiruter Modeschöpfer Georges Chakra, als er poetische Kleider entwerfen wollte, um den weiblichen Körper mit Leichtigkeit aus der Luft zu umhüllen. Die Antwort, und zwar in Gestalt der Couturekollektion für den Frühling und Sommer 2019, gab er dann am 21. Januar 2019 im Palais de Tokyo in Paris.

Dort ging es um Dualität. Bei den Kleidern hielten die käfigartigen Brustteile, die einen Plissee-Effekt nach dem spanischen Modeschöpfer Mariano Fortuny aufwiesen, die Torsi gefangen, während die Rockteile aus Tülle oder hauchdünnem Musselin die Beine freiließen. Messerscharfe Schnitte formten die Konturen so, daß die architektonischen Linien den Körper unter besticktem Tülle zart andeuteten. Als besonderes Detail der Weiblichkeit und Sinnbild der Couture zogen sich Schleifen wie ein roter Faden durch die Kollektion. Sie verschmolzen mit den Kleidern, die aus gleichem Stoffe bestanden oder mit Kontrasten spielten. Übergroß und dramatisch an der Schulter- oder Taillenpartie oder auch zart entlang einem Schultergurte brachten sie einen Hauch verspielten, verführerischen Glamours. Kleider aus floral bedrucktem Seidenorganza oder handbemalter Seidengaze sahen wie ein englischer Garten aus; hier traf Romantik auf Moderne. Raphiabast- und Plastikfransen, so scharf wie Haifischzähne, sowie silberne Lederschuppen wie auch Stickerei mit Strass-Steinen, Perlen und Pailletten ließen Seidensatin, Nadelspitze (Guipure) und Tweed noch mehr leuchten. Sonnenblumengelb, Säureorange oder Silber durchbrachen gelegentlich Staubgrau in verschiedenen Pastellschattierungen oder Weiß. Beim überall bestickten, mit Pailletten versehenen, sehr kurzen Brautkleide unter einem Überkleide aus transparentem, fein plissiertem und gekräuseltem Tülle begegneten zu guter Letzt Unschuld und Sinnlichkeit einander.

Im Hotel „WESTIN PARIS“ feierte die japanische Modeschöpferin Yumi Katsura die einhundertsechzigjährige Freundschaft zwischen Frankreich und Japan aufs neue. Unter dem Motto „The Elegance Tie“ war der Kimonogürtel das zentrale Element der Kollektion; so galt das besondere Augenmerk dem Obi und der eleganten Art, mittels seiner einen Kimono zu gürten. Die achtundzwanzig Kleider drückten Yumi Katsuras Sinn für Japanismus aus. Materialien, Motive und Formen und auch Stickereien gingen auf japanische Trachten, insbesondere den traditionellen Kimono, zurück. Yumi Katsura zeigte eine neue Art der Schichtung auf, indem sie Obi und abendländisches Schnürband zusammenführte. Nishijin‑Ori‑Gewebe, Yuzen‑Seidenhandfärbung, Kirschblütenmotive, Kabuki, das traditionelle japanische Theater des aufkommenden Bürgertumes der Edo‑Zeit (1603–1868) und Ukiyo‑e, das Genre japanischer Malerei und Druckgraphik als Spiegelbild dieses Bürgertumes, versetzten die Kollektion in einen Rhythmus, kraft dessen Yumi Katsura als Botschafterin der japanischen Modekultur die Traditionen Japans in die moderne Welt übertrug. Übrigens dachte man beim Gürten unweigerlich ans Lied „Die Frau mit dem Gurt“ der deutschen Country-Band „TRUCK STOP“ aus dem Jahre 1977, worin es geheißen hatte: „Wer kennt die Frau, die nichts anhat als den Gurt auf dem Schild / An der Straße von zu Hause in die Stadt, wo ich so oft langfahr’? / Ihre Kurven faszinier’n mich, / Doch die Gurte irritier’n mich.“

Das Labyrinth als Metapher für die Welt und die Gewundenheit ihrer Wege beschäftigte den Römer Modeschöpfer Antonio Grimaldi. In der Mythologie half Ariadne dem geliebten Theseus mit einem Faden, sich aus Minotaurus’ Falle zu befreien, was für Antonio Grimaldi Erlösung bedeutete. Die Oper „Ariadne auf Naxos“ des deutschen Komponisten Richard Strauss aus dem Jahre 1912 war für Antonio Grimaldi überdies die Geschichte eines tragisch verlassenen Protagonisten. Der Schwerpunkt der im Hotel „LE MEURICE“ präsentierten Kollektion „Labyrinths“ lag auf der Leichtigkeit, die in geometrischen Asymmetrien der Kleider, fließend sowie gleichermaßen dreidimensional und skulptural dank doppelter Seidenkreppgaze und dünner, in die Profile eingefügter Metalldrähte, zutage trat. Kaum fühlbarer Chiffon floss schon bei minimaler Bewegung. Blusenkleider, dünne Hosen und kleine Capes mit einem Bezuge zum klassischen Peplos zeigten eine zeitgemäße Pracht dank geometrischer, insbesondere kreisförmiger, Linienführung. Der graphische Charakter von Labyrinthkarten war an der leuchtenden geometrischen und dreidimensionalen Stickerei aus silbernen Metallfäden in Verbindung mit Glaskugeln und lasergeschnittenen Pailletten erkennbar, was eine luxuriöse Romantik ergab.

Als Höhepunkt führte die italienische Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin Asia Aria Maria Vittoria Rossa Argento als Mannequin ein asymmetrisches, skulpturales und mit riesigen handgemachten Straußenfedern verziertes weißes Kleid vor. Dunkles Braun ersetzte Schwarz. Daneben tauchten helles Beige, Grau, Cremeweiß und Puderrosa auf. Kalte und warme Töne wechselten einander ab; Nuancen von Glyzinenblau bis Knallrosa kamen hier vor. Für den Herrn gab es strukturierte Anzüge für eine elegante Nacht. Seidenjacken hatten einen Trompe‑l’œil-Effekt, wonach mehrere Lagen von Stücken der Oberbekleidung wie eine einzige erschienen. Bei mit Leder eingefaßten Blousons wirkte Doppelmakramee wie Nadelspitze (Guipure), was auf die Königspflanze des Labyrinthes, nämlich Bambus, hindeutete. Gelaserte Federn und Schmuckbänder, welche vom französischen Juwelier Bernard Delettrez stammten, verhüllten den Blick der modernen Ariadne und führten sie zurück zu den Schwierigkeiten im Labyrinthe des Lebens. Wer wie sie den Faden verloren hat, ist gewiß dankbar für einen Gurt!

In der Veranstaltungsstätte „atelier néerlandais“ veranschaulichte der niederländische Modeschöpfer Bono van Peursem, wie sehr ihn die Umwandlung von Mineralien zu Kristallen als Naturvorgang als Sinnbild einer Strukturveränderung, die Zeit und Geduld erforderte, faszinierte. Vor allem vom Rosenquarze mit seinen schönen Farben und seiner tiefen Bedeutung war er angetan. Solche Rosenquarzstücke sollten die Trägerinnen seiner Kleidungsstücke vor den eigenen Unsicherheiten oder Verletzlichkeiten schützen, auf daß sie als „sehr starke Kreaturen“ bereit seien, die Welt zu erobern. In der gesamten Kollektion „Drowning in Sequins“ flossen Mineralien sozusagen über die Kleider. Der einsetzende Kristallisationsprozeß zeigte sich an Kleidungsstücken mit weich fallenden Silhouetten, wo gleichsam tropfende Fransen Tropfenkristalle andeuteten; Kleidungsstücke mit eher fester Struktur standen hingegen fürs Resultat. Über handbestickten Lurex hinaus bereicherten Pailletten und Straußenfedern, in Rosentönen handgefärbt, Seidensatin und Seidenduchesse.

In dem im Jahre 1925 posthum veröffentlichten Gedichte „La cueillette“ hatte Wilhelm Albert Włodzimierz Apolinary de Wąż-Kostrowicki alias Guillaume Apollinaire, französischer Dichter und Schriftsteller italienisch-polnischer Abstammung, das Verblassen und Verwelken der in einem Garten gepflückten Blumen im Hause schmerzvoll mit einer sterbenden Liebe verglichen. Dies legten die Warschauer Modeschöpferinnen Ewa Gawkowska und Małgorzata Szczęsna der neuen Kollektion ihrer Marke „La Métamorphose“, die sie im Hotel „InterContinental“ vorstellten, zugrunde. Ihre Protagonistin öffnete sich wie eine Blume, um eine facettenreiche Muse und kraftvolle Anführerin zu werden. Die scharfen Formen der Kleider standen für Entschlossenheit, während die Pastelltöne sich öffnende Rosenknospen und das Weiß Reinheit und Licht symbolisierten.

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