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Als Gott das Weib erschuf

Mode von der Riviera

Hinter Gittern – das Mannequin Giedrė Kiaulėnaitė vor der Modenschau „GALIA LAHAV“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 6. August 2018
Mit nichts weniger als dem Thema, daß Gott das Weib erschaffen hatte, befaßten sich die Modeschöpferinnen Galia Lahav und Sharon Sever aus Israel. Es ging um den Spielfilm „ET DIEU… CREA LA FEMME“ – in der deutschen Fassung: „Und immer LOCKT DAS WEIB“ – des französischen Filmregisseurs und Drehbuchautors Roger Vladimir Plemiannikov alias Roger Vadim aus dem Jahre 1956, welcher den Mythos der französischen Schauspielerin Brigitte Anne-Marie Bardot durch die Rolle der Juliette Hardy begründet hatte.

Die Couturekollektion für den Herbst und Winter 2018/2019 richtete sich unter dem Motto „And God Created Woman“ an die Juliette Hardy in allen Frauen, die nämlich ihre Unabhängigkeit verstanden, ihre innere Schönheit ausdrückten und ihre Jugend unermüdlich feierten. Freiheit, Verspieltheit, Flirt und weiblicher Reiz waren die Stichworte. Die Farben deuteten das Meer und die Pflanzen an der Côte d’Azur an. Kräftige und frische Farbtöne wie Eisrosa, Säuregrün, Smaragdgrün und Jeansblau erzeugten eine verspielte Atmosphäre, wohingegen natürliche Töne wie Schwarz und Fleischrosa (Nude) Reife und Weiblichkeit ausdrückten. Sharon Severs eigene Aquarellzeichnungen waren die Vorlage für große und kleine florale Drucke auf Chiffon, was im Einklange mit dem abstrakten Expressionismus und mit dem Impressionismus, insbesondere mit der Malerei des Franzosen Claude Monet, stand. Transparenter Tüll war dennoch der wichtigste Stoff in der Kollektion. Die kurvigen floralen Muster betonten dessen Weichheit und markierten zugleich die Entwicklungsphasen einer Frau, und zwar mal frisch und frei, mal lebhaft und erdig, mal gereift und verwurzelt. Die am 4. Juli 2018 in der Schule der Medizin der Pariser Universität René Descartes gezeigte Kollektion entzog sich der sonst bei Galia Lahav und Sharon Sever üblichen unverblümten sexy Ästhetik; sie war freier bei den Formen und Silhouetten, was sich an Jumpsuits, Korsettops und T‑Shirt-Kleidern zeigte. Die Schuhe stammten von der Marke „Aleví MILANO“, wohinter die Modeschöpferinnen Perla Alessandri und Valentina Micchetti aus San Mauro Pascoli in der Emilia-Romagna standen. Die Juwelen steuerte die israelische Modeschöpferin Keren Wolf bei. Brillen der Londoner Marke „LINDA FARROW“ kamen hinzu.

Für den libanesischen Modeschöpfer Rani Zakhem handelte es sich bei der Modepräsentation am 5. Juli 2018 in der Veranstaltungsstätte „PAVILLON CAMBON CAPUCINES“ nicht um eine Schau, sondern um eine Parade, denn die Kollektion war eine Hommage an die kämpferische und auch kämpfende Amazone, so daß er in seinen Modellen eine fatal verführerische Kriegergöttin in ihrer Kristallrüstung erblickte. Seine „Glamazone“ hob sich von der Masse ab; unverwundbar, stark und sinnlich, war sie als gefährliches Chamäleon bereit für alle Kämpfe. Der Geist der Camouflage prägte die Kollektion. Militärische Kampfkleidung benötigt Tarnung, da die menschliche Zerbrechlichkeit es erfordert, sich in die Umgebung einzufügen, um dem Feinde zu entkommen. Rani Zakhem gestaltete die Tarnung neu, und zwar als erhaben gearbeitete, prächtige Verzierung aus Stickerei in neuen Tonalitäten. Glitzernd smaragdgrün, bronzen und golden war die Stickerei an einem Bleistiftrocke. Rote, schwarze und goldene Kristalle befanden sich in Gruppen an einem aufreizenden Etuikleide oder auf den Ärmeln eines schwarzen Spenzers. Entweder Gold oder Silber oder irisierender Kristall schmückte die Taillenpartie eines wirbelig-schräg geschlitzten Cocktailkleides aus weißem Seidenkreppe. Weiß, für Rani Zakhem eher ein Wert denn eine Farbe, kam als ein Symbol der Erneuerung und Belastbarkeit in der Kollektion oft vor. Anderswo tauchte die Tarnung in einem fast kruden Zustande auf. Gleichsam falsch buchstabiert war der Siebdruck in Khakischattierungen auf kostbarem sandgelbem Seidenkreppe; dies betraf ein Schneiderkostüm, das sich aus einem sehr femininen Spenzer samt V‑Ausschnitte und strukturierten Schulterpartien sowie aus einer „scharfen“ Zigarettenhose zusammensetzte.

Der Sinn und Zweck der Tarnung, nämlich die Unsichtbarkeit, verkehrte sich so ins Gegenteil. Ein wiederkehrendes Motiv waren die militärischen Rangabzeichen wie die riesigen, golden glitzernden, gestickten Winkel an den Ärmeln einer Jacke oder eines Mantels. Rani Zakhems „Glamazone“ war ebenfalls die zarte Wächterin eines Paradieses, das sie nie im Stich lassen würde. Das Zeichen des Waldes tauchte auf bei durchsichtigen Etuikleidern, wo sich vom Modeschöpfer gezeichnete, mit Pailletten sowie mit weißen, bronzenen, silbernen und goldenen verflochtenen Fäden handbestickte Lianenkaskaden ineinander verschlangen. Auf dem Rocke eines Tüllkleides samt Krinoline entfaltete sich die „ganze Poesie eines imaginären Dschungels“, wo sich Flora und Fauna in einer Palette himmelblauer, blaßrosa, goldener und kupferner Töne vermischten, was der Flug schwarzer Vögel hier und da unterbrach; das trägerlose Korsett, in hautrosa Tülle gehüllt, schloß sich dem Rocke durch eine Bewegung gekräuselten Tülles an. Zur Feier der Natur deutete eine Krinoline aus flatterndem, schwarzem Tülle mit verstreuten Kristallen eine Spinne in ihrem Netze an. Libellen flatterten über pastellfarbene Wasserpflanzen auf einem Ballkleide. Wie eine giftige Blume oder wie der Schmuck eingeborener Krieger wirkte ein entzückendes Etuikleid aus Tüllkaskaden in Nuancen von Orange bis Rosa. Zu guter Letzt erwies Rani Zakhem den Pariser Modeschöpfern Azzedine Alaïa, Marc Roger Maurice Louis Bohan und Yves Saint Laurent seine Reverenz. Eine drapierte Moulage, das Detail einer Safarijacke und der kraftvolle Minimalismus eines weißen Kleides mit einer zarten Verzierung waren dafür das Couturevokabular.

In der amerikanischen Kathedrale von Paris erschuf der Pariser Modeschöpfer Eymeric François ein traumhaftes, melancholisches, düsteres Universum. Eine schwere, violette Rauchatmosphäre umgab ein Labyrinth aus Kronleuchtern im Dekore. Von der Kollektion „SORTILEGES“, deren Schlagwort Emotion war, ging ein Zauber aus. Zart überdimensionierter Seidenmusselin in Dégradémusterung und dicker, mittels zehntausender Stahlstifte gearbeiteter Pelz ergaben einen deutlichen Materialkontrast. Dunkelviolett, Puderrosa und Beige waren matt; Schwarz erschien in verschiedenen Nuancen, und zwar matt, seidig glänzend oder brillant. Ein Gedränge an der Taillenpartie eines Korsettes und verstärkte Schulterpartien bestimmten die Silhouette. Im einzelnen beinhaltete die Kollektion zwei große Ballroben, wobei das Stück aus Lurexspitze mit Straußenfedern hatte ein mit Kristallen besticktes Plastron, wohingegen das Stück aus Lurexbrokate hatte ein schwarzes Korsett. Blütenblätter aus Spitze zierten eine handbemalte, geschlitzte Robe mit stahlblauen Besätzen. Hochvioletter, parmaveilchenblauer und grauer Samt bildete eintausendfünfhundert Schleifen an einer korsettierten Robe in Dégradémusterung. Ein korsettiertes Etuikleid aus schwarzer, gerollter Calais-Spitze wirkte wie eine Chinoiserie. Schwarzer Samt und Grosgrain waren in Knoten ein „feiner Regen“ zur Ausschmückung eines Etuikleides aus schwarzem Seidensatin.

Ein mit Pailletten, Perlen und Marabufedern besticktes Etuikleid basierte auf beige-rosa Nadelspitze. Ein Etuikleid aus elfenbeingelber Spitze, wozu ein Blouson mit Marabufedern gehörte, sah wie eine Körpertätowierung aus. Elfenbeingelb waren die Marabufedern an einem großen Mantel aus perlenbesetzter Spitze. Ein zu einer tiefschwarzen Tüllhose getragener Trenchcoat hatte hingegen lila Marabufedern. Die Stickerei an einem Hosenanzuge aus schwarzer Woll- und Seidengabardine enthielt Knoten in der Art eines violetten Regens. Ein Hosenanzug aus schwarzer, angerauhter Wolle lag über einer rosa Tüllbluse mit Musselin- und Perlenmotiven. Seide und Lurex, beides schwarz, waren die Stoffe für eine Hose, wozu eine Bluse aus alter Calais-Spitze getragen wurde. Schwer war der lila Seidensatin eines Petticoats zu einem mit Blättern aus Nadelspitze bestickten Bodysuit aus schwarzem Roßhaare. Ein „tätowierter“ Bodysuit aus gagatschwarzer und stählerner Spitze in Pflastermusterung paßte zu einem Petticoat mit schwarzen Marabufedern. Der mittels zehntausender Stahlstifte gearbeitete Pelz bedeckte ein kurzes, mit Paillettenstrahlen besticktes Négligé. Minzgrüner Seidenkrepp, in Gänze schräg drapiert, machte ein anderes Négligé asymmetrisch. Ein weiteres Négligé bestand aus rosa Seidenmusselinekreppe. Zur Abrundung der Kollektion trafen an einem Bademantel florale Calais-Spitze und gerollte sonstige Spitze aufeinander.

Eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart schlug der Modeschöpfer Dany Atrache aus Beirut am 4. Juli 2018. Unter dem Motto „Femmes des Années 80“ blickte er im Hotel „LE MEURICE“ mit einem Augenzwinkern auf die berühmte Diskothek „STUDIO 54“ in New York. Er nahm sich die Freiheit, mit metallischen Tönen die Coutureregeln zu brechen. Mit Formen zu spielen brachte ihm Spaß; mal waren sie nebelhaft, mal fließend. Die Materialien waren mal transparent, mal, wenn sie bis zur Schleppe reichten, seidig. Unterröcke aus Samte und Ajourspitze wiesen gemischte Stickereien auf, um den tiefblauen und tiefgrünen Seidenmusselin mehr hervorzuheben.

Auf die Suche nach der „ewigen Eleganz“ begab sich am 5. Juli 2018 die chinesische Modeschöpferin Liu Lisi, die selbst Exzellenz verkörperte. Die Kollektion der von ihr im Jahre 2014 in Paris geschaffenen Marke „LISI.LIU PARIS“ stellte sie im Hotel „LE MEURICE“ vor. Die Entwicklung des Lebens war das Thema. Die Spanne der Inspiration reichte von der Erschaffung der Erde bis zur Geburt von Lebewesen. Seide, Spitze und Stickerei waren die Gegenstände eines Farbenspieles, welches die Welt widerspiegelte. Nachtblau stand für die Galaxie. Weiß deutete auf den Schnee hin. Rot war die dominierende Farbe des Herbstes. Symmetrie und Asymmetrie wechselten einander ab. Die „Eine Schulter“-Silhouette kam bei Kleidern und Jacken vor. Andere Kleider hatten Träger an beiden Seiten und ein tiefes Décolleté; weitere Kleider waren schulterfrei. Die Kleider waren meistens bodenlang. Überhaupt waren alle Jacken tailliert und ausgestellt. Ein Hingucker war noch der Hosenanzug aus perlgrauer Seide, dessen Jacke ein tiefes, aber schmales Décolleté hatte.

Mit dem Tode in einem weiteren Sinne, nämlich mit der Flüchtigkeit von Modeprodukten, befaßte sich die aus Österreich stammende und in Antwerpen tätige Modeschöpferin Flora Miranda. Mit einem Blicke auf die „Sterilität“ in Museumssammlungen bloß „verwahrter“ Kleidungsstücke war für sie ein Museum ein „Friedhof von Waren“. Dann stellte sich die Frage des Kopierens oder Bezugnehmens. Zu Flora Mirandas Zeit an der Antwerpener Modeakademie hatte das erste Prinzip gelautet: „Betrachte die Werke anderer Gestalter nicht als Inspiration! Benutze historische Referenzen!“ Für die neue Kollektion war demnach zu klären, was der Begriff „historisch“ bedeutete. Nach Flora Mirandas Ansicht war eine in einem Museum gefundene Idee, die offen für eine Bezugnahme war, bereits lehrreich und tot. Ein Tabu, auf alte Dessins zu verweisen, kam für sie nicht in Betracht. Wann war etwas überhaupt aus der Mode? Sogar in der Nostalgie war die Schönheit zu finden. Das Motto „Ready To Die“ der Kollektion war ein Wortspiel zum englischen Begriffe „Ready to wear“. Eine Auswahl von Museumsstücken, die wegen ihrer Silhouette, Textur und Geschichte auffielen, waren gescannt worden. Die Daten dieser virtualisierten Stücke waren gespeichert worden, um die Stücke jederzeit reproduzieren zu können. Für die Präsentation am 4. Juli 2018 im Hotel „WESTIN PARIS“ waren die derart reproduzierten dreidimensionalen Modelle mit verschiedenen Handtechniken und mit Hilfe von Maschinen gefertigt worden. Den Körper als pure Information ansehend, hatte Flora Miranda von der Gestaltungstradition oder -geschichte getrennte Techniken gefunden. Mit der Kollektion wollte sie die nach ihrer Ansicht veralteten Vorstellungen der Couture herausfordern sowie physische Grenzerfahrungen für reale und virtuelle Räume sammeln; künftige Möglichkeiten der Bekleidungsgestaltung zu finden war eine interdisziplinäre künstlerische Grundlagenforschung. In der vom Zitate dominierten Modewelt erarbeitete sich Flora Miranda eine eigenständige Position.

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