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Der Rote Faden modischer Entdeckungsreisen

Herrschaftliche Mode

Bequeme Ruhelage – das Mannequin Darya Kostenich vor der Modenschau „ANTONIO GRIMALDI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 3. August 2018
Der französische Schriftsteller Charles-Pierre Baudelaire ist bei Modeschöpfern überaus beliebt. Der Mailänder Rocco Adriano Galluccio hatte für seine Marke „ALCOOLIQUE“ mit der Prêt‑à‑porter-Kollektion „LES FLEURS DU MAL“ für den Herbst und Winter 2017/2018 auf dessen literarisches Werk Bezug genommen. Nunmehr nahm sich der Römer Antonio Grimaldi der Sache an. In der Hymne an die Schönheit hatte Charles-Pierre Baudelaire die Offenheit der zeitlosen Schönheit, so absolut wie die keine Grenzen, Barrieren oder Geschlechter kennende Liebe, erwähnt gehabt. Antonio Grimaldi übersetzte dessen Verse in die Modelle seiner Couturekollektion für den Herbst und Winter 2018/2019.

Unter dem Motto „Punk queens“ holte Antonio Grimaldi die Eleganz der englischen Edelfrauen zur elisabethanischen und zur viktorianischen Zeit ins einundzwanzigste Jahrhundert. Für zeitgenössische Punkköniginnen und Stilikonen als sinnliche Protagonistinnen mit dunklem Charme gab es Kleider mit linearen Schnitten. Seidenchiffon, Coupé-Organza mit Chenille-Stickerei, Guipure-Lamé und goldener, fließender Crêpe Georgette waren die bevorzugten Stoffe. An den langen Kleidern kamen minimalistische Stickerei in Fil-Coupé-Art mit Platten, Pailletten aus Samte oder Leder, Kristalle wie Kerzenleuchter und weitere Applikationen mit Gefieder vor. Wie getrocknete Blumen zwischen Buchseiten wirkten Schwarz, Weiß, Karmesinrot, Azaleenrot, Graurosa, Messing und Platin. Das Schuhwerk bildeten puderrosa Vinylsandalen. Den Haarschmuck steuerte der in Rom ansässige, auf Juwelen spezialisierte Modeschöpfer Bernard Delettrez in Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Antonio Grimaldi bei. Die metallenen Stecker in Form eines stacheligen Halbkreises deuteten den Irokesenschnitt als Frisur von Punkern an. Als Muse diente Antonio Grimaldi übrigens das junge saudische Mannequin Taleedah Tamer, das erstmals über einen Pariser Laufsteg lief, und zwar am 2. Juli 2018 in der Veranstaltungsstätte „Les Salons France-Amériques“ beziehungsweise im Hôtel Le Marois. Auch bei Antonio Grimaldi handelte es sich um eine Premiere, denn die Couturekollektion beinhaltete ebenfalls Kleidungsstücke für den Herrn, womit diese Kollektion jenseits der Geschlechter stand. In Anspielung auf den irischen Schriftsteller Oscar Fingal O’Flahertie Wills Wilde als Inbegriff eines vollendeten Gentlemans erschienen Smokinganzüge mit Samt- und Wolleinlagen sowie Kunstharzstickereien in Kombination mit gefalteten T‑Shirts aus Chiffon und mit schwarzen Samtsneakern.

In dieser Saison kam Marokko als Thema mehrmals vor. Nach dem marokkanischen Modeschöpfer Nourredine Amir sprach am 2. Juli 2018 auch der aus der Nähe Roms stammende und in Paris tätige Modeschöpfer Maurizio Galante dieses Thema an. Unter dem Motto „Rabat-Cipango. Journal de bord“ tat er seine Leidenschaft fürs Reisen kund. Er wies darauf hin, daß die Seefahrer und Entdecker Fernão de Magalhães aus Portugal, James Cook aus England und Jean-François de Galaup de La Pérouse aus Frankreich ins Unbekannte hinausgezogen waren und dabei in Marokko angehalten hatten. Ein Schwarm bunter Menschenmassen auf Hafendocks beflügelte Maurizio Galantes Phantasie. Er ging daran, sein eigenes, modisches Logbuch von der Reise zwischen den Kulturen zu verfassen. Ein kykladischblauer, geometrischer Wollmantel, in einen umgekehrten Berberteppich geschnitten, traf auf eine mit getönten Reliefs besetzte Djellaba mit japanischer Shibori-Färbung. Ein alter Kimonogürtel harmonierte mit der Rückseite eines rosa Trivandrum-Saris, dessen umrandende orange Motive Rabater Stickerinnen mit Nadeln gemacht hatten. Eine gelochte Bordüre aus Kaktusfasern in der Art kostbarster marokkanischer Kaftane stellte die schlichte Konstruktion eines japanischen Gewebes für ein universelles Kleidungsstück heraus. Eine seltene Gewebeatmung war die Frucht einer Beteiligung Rabater Handwerker. Der Zusammenfluß von Stoffen virtuoser Oberflächenbeschaffenheit und von uralten Techniken führte zu einem Haufen unterschiedlicher Stücke auf demselben Körper. In nahezu dichterischer Weise vereinte Maurizio Galante in einer zeitgenössischen Frau eine Berberprinzessin und eine hinduistische Gottheit an der Ecke eines Gartens in Kyoto. Für die Kollektion hatte Maurizio Galante mit der marokkanischen Vereinigung der Kinder in prekären Situationen (AMESIP), die im Jahre 2016 eine Näh- und Stickwerkstatt in Rabat eröffnet gehabt hatte, zusammengearbeitet. Zehn Frauen und zwei Männer hatten bei der Herstellung der Kleidungsstücke mitgewirkt.

Nach einer Hommage an die Romantik ging es der Athener Modeschöpferin Celia Kritharioti diesmal um eine Hommage an die eigene Mutter. Es war die Mutter gewesen, die Celia Kritharioti bei ihrem ersten Besuche in Paris an die Hand nahm, um mit ihr zusammen die Schauen der großen Modehäuser anzuschauen, was Celia Krithariotis Liebe zur Mode hatte wachsen lassen. Die am 3. Juli 2018 in der Veranstaltungsstätte „MONA BISMARCK AMERICAN CENTER“ präsentierte Kollektion war eine Veranschaulichung weiblicher Schönheit. Schwarz war der Hauptdarsteller in der Kollektion; Gold war der Gegenspieler. Samt, Chantilly-Spitze und Seidentüll waren die Stoffe, welche handgestickte Details aus Edelsteinen und Perlen verfeinerten. Jedes Kleidungsstück war eine Skulptur. Die kräftigen Schulterpartien der Deux-Pièces zeugten von weiblicher Macht. Die Minikleider betonten hingegen den weiblichen Körper. Die Leggings aus Spitze sorgten noch für Ecken und Kanten. Zusätzliche Federn ermöglichten zauberhafte Körperbewegungen.

Der neuen Kollektion der seit dem Jahre 2013 in der australischen Modeszene wirkenden afrikanisch-australischen Modeschöpferin Azulant Akora lag der Spielfilm „AVATAR“ des kanadischen Regisseurs James Cameron aus dem Jahre 2009 zugrunde. Alles drehte sich um die Balance, denn alle Energie war nur geliehen, um sie eines Tages zurückzugeben; es galt, die natürlichen Ressourcen zu respektieren! Die lebendige Farbpalette, die Lila, Königsblau und Grün mit einem Hauche metallischen Silbers und Goldes umfaßte, gab diese Botschaft wieder. Daneben brachten unkonventionelle Schnitte besondere Winkel hervor. Sexy Formen und erhabene Silhouetten kamen hinzu. Azulant Akora zeigte die der „Generation Y“ gewidmete Kollektion „AVATAR“ am 2. Juli 2018 in der Veranstaltungsstätte „LA MAISON DES CENTRALIENS“. Am gleichen Orte, aber am 3. Juli 2018 stellte die zyprische Modeschöpferin Maria Aristidou die Kollection „sɛr(ə)nˈdɪpɪti/ (n.)“ in der Bedeutung von „SERENDIPITY“ vor. Für Maria Aristidou war sie eine freudige Überraschung und ein Glücksfall auf einer Achterbahnfahrt, gleichviel ob Zufall oder Schicksal dabei im Spiele war. Die geometrischen Muster an den typischen Strickstücken spiegelten in Farben des Rampenlichtes die Kraft des Universums wider.

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