Da sprach der alte Häuptling der Indianer
Die Mode und der Charleston
Dezente Kriegsbemalung – die Mannequins Rossana Latallada und Michelle Gutknecht vor der Modenschau „ZUHAIR MURAD“ (Bild: Christian Janssen)
Die Kollektion, die Zuhair Murad am 24. Januar 2018 im Hôtel Potocki in Paris unter geneigten Speeren präsentierte, prägten geometrische Piktogramme und sehr feminine Formen. Umgürtete, mit Perlen und Fransen besetzte Kleider samt V‑Ausschnitte wiesen einen Dreiecksschnitt auf. Überhaupt waren Fransen ein wiederkehrendes Element der Ausschmückung. Manche Kleider hatten Capeärmel. Andere Kleider wiederum waren mit Kristallen, Sonnen, Pfeilspitzen, Federn oder geometrischen Ausschnitten übersät. Ein Kleid aus Seidenorganza mit Kakteen und Flammen als Motiven war so lebhaft, daß die Einfarbigkeit nicht störte. Mal hatte eine Tunika mehrere Stofflagen und kräftige frontale Schnitte, mal war sie unstrukturiert und durchbrochen. Auch in Kombination mit einer Zigarettenhose tauchte sie auf. Ein Rock aus Musselin erschien zusammen mit einem Schößchenblazer mit Federn. Bestickte Leggings staken unter einer glitzernden Fransenjacke. Tipi- und Kakteenmotive bedeckten eine krapprote Ballrobe. Sehenswert waren noch ein weißer Strampelanzug mit Fransen und Sioux-Motiven sowie eine Ballrobe aus besticktem Jacquard. Spitze und Makramee nebeneinander ermöglichten ein sinnliches Spiel der Transparenz. Für Opazität gab es demgegenüber Tüll, Seide, Brokat und Jacquard. Die Farbsymbolik entsprach der indianischen Kunst. Weiß stand für Reinheit und Frieden. Schwarz deutete die Nacht an. Rot stellte das Feuer dar. Ockerbraun galt für die nährende Erde. Gold war das Zeichen der Sonne. Schwarz und Gold eigneten sich besonders für Veredelungen. Sogar bei komplexen Mustern war Zuhair Murads Liebe zum Detail erkennbar. Als Kopfputz fungierten vornehmlich Federn. Für Zuhair Murad waren Indianerinnen sehr stark, sehr mächtig und sehr selbstbewußt; genauso sollten die Trägerinnen seiner Kleidungsstücke sein.
Der Tod des französischen Musikers Jean-Philippe Smet alias Johnny Hallyday am 5. Dezember 2017 beschäftigte den Pariser Modeschöpfer Franck Sorbier. Für ihn war Johnny Hallyday zwar nicht mehr da, dessen Einstellung zur Rock’n’Roll-Kultur blieb aber für immer. Die enge Verbindung rührte daher, daß Franck Sorbier den Musiker für dessen „Flash Back“-Tour im Jahre 2006 eingekleidet hatte. Am 24. Januar 2018 hatte Franck Sorbier endlich die Gelegenheit, allen Künstlern, welche die Menschen zum Vibrieren brachten, Anerkennung zu zollen, denn Musik, Tanz und Kostüm waren für ihn universell. Franck Sorbier überlegte sich, daß Johnny Hallyday zu einer anderen Zeit wohl Anhänger des Charleston gewesen wäre. Es war eine Ära des endlosen, ausgelassenen Feierns gewesen. So wurde der Charleston mit seinen Tanzschritten und furiosen Rhythmen neben der afroamerikanischen Tänzerin Joséphine Baker sowie dem kreoloamerikanischen Sopransaxophonisten und Klarinettisten Sidney Bechet das Thema der neuen Kollektion. Bei der Präsentation im Foyer des Hotels „REGINA PARIS“ trat unter dem Motto „The Show must go on“ neben den üblichen Tänzerinnen, namentlich diesmal Eva Assayas, Camille de Bellefon, Adèle Borde, Laure-Adelaïde Boucaud, Sarah Kora Dayanova, Clémentine Faurant, Lucie Fenwick, Teodora Fornari, Emilie Hasboun, Hannah O’Neill, Caroline Osmont, Diane Perreau, Mélissa Sicre, Roxane Stojanov und Alexandra Willemin, der Saxophonist Emmanuel N’Djoké Dibango alias Manu Dibango aus Kamerun zusammen mit seinen Musikern Lucien Dobat, Patrice Galas und Didier Havet auf.
In der Kollektion war die Silhouette frei, denn die Taille der meisten Kleider lag deutlich tiefer als in den 1920er Jahren. Handbemalter Seidenorganza war der häufigste Stoff. Die Handmalerien mit Temperafarben stammten von Isabelle Tartière-Sorbier. Muranoglas, Opalglas, Schwefel, Glaspaste, kubistische bunte Kirchenfenster und alle Glasstücke aus der Zeit der Art Décoratif waren die Vorlage für die Farbpalette, so daß eine Welt des Lichtes und der Transparenz entstand. Bei vielen Modellen war der Saum des Seidenorganzatuches mit der Hand ausgefranst worden. Das Modell „Théâtre des Champs Elysées“ war ein hoch tailliertes Mädchenkleid mit einem Foulard aus bemaltem Seidenorganza. Das Modell „Théâtre des Folies Wagram“ war ein bemaltes Kleid nebst einem tief hängenden, vorn kurzen und hinten langen Foulard. Das Modell „Casino de Paris“ war ein mit bekritzelten Tuchen und mit Fransen aus schwarzen Perlen überarbeitetes, schwarz bemaltes Kleid mit applizierten kleinen Platten aus bemaltem Seidenorganza. Das Modell „Les Folies Bergère“ war ein Kleid ohne tiefe Taille aus opalartig altrosa bemaltem Seidenorganza und aus mit pechschwarzen Perlen bestickter, mosaikartiger Spitze, wozu ein Cape in Form eines Krawattenknotens aus Foulards aus mit der Hand zerknittertem Seidenorganza getragen wurde. Das Modell „Alcazar“ war ein Kleid aus schwarz-weißem Seidenorganza mit verspielten Rüschen, wozu ein von einer Rüsche aus schwarz-weißem Seidenorganza eingefaßter Morgenmantel aus schwarzem Seidenorganza mit Applikationen aus schwefelgelb bemaltem Seidenorganza paßte.
Das Modell „Tabarin“ war ein aus einem Kleide und einer Jacke bestehendes bordiertes Ensemble mit handgemalten Seerosen. Beim Modelle „Luna Park“ setzte sich das Ensemble aus einem Kleide samt Pagodenärmeln und einer Weste aus in der Art des Opalglases bemaltem Seidenorganza sowie aus Klöppel- und Nadelspitze zusammen; der passende Stoff für die Blumenstickerei stammte aus dem Hause „Ets Legeron PARIS“. Beim Modelle „La Rose Rouge“ bildeten ein bemaltes Kleide sowie eine mit korallenroten Ästen und Splittern bestickten Jacke das Ensemble. Zu einigen Modellen steuerte das Pariser Fächermuseums Accessoires als Leihgaben bei. Das Modell „Opéra Garnier“ war ein Körbchenkleid aus purpurn bemaltem Seidenorganza sowie aus Klöppel- und Nadelspitze wie auch aus paillettiertem Tülle mit Stickerei und antikem Makramee; ein Schirm aus Straußenfedern samt einem mit Gagatperlen besetzten Griffe ergänzte dieses Modell. Das Modell „Les Champs-Élysées Music Hall“ war ein Kleid aus bemaltem Seidenorganza und aus Sosltiss-Spitze, die Isabelle Tartière-Sorbier schon im Jahre 1983 entworfen hatte; als Accessoire diente ein Fächer aus schwarzen, krausen Straußenfedern mit schwarzer Galalithfassung. Das Modell „Studio de Paris“ war ein Kleid, dessen Bemalung schwarze, graue und violette Motive auf schwarzem, blauem und grünem Grunde umfaßte; hinzu kam ein Fächer aus schwarzen, glatten Straußenfedern mit Ebenholzfassung.
Zwei Modelle zeichneten sich durch weitere Ausfransungen aus. Das Modell „Le Lorientais“ war ein in der Art des Muranoglases bemaltes Schalenkleid, wo die Ausfransung auch den Halsausschnitt und die Armlöcher betraf. Beim Modelle „Olympia“ hatte ein bemaltes Kleid samt besticktem Oberteile zusätzlich ausgefranste Stoffbahnen. Bei den weiteren Modellen fehlte jegliche Ausfransung. Beim Modelle „Balajo“ bildeten ein Kleid und eine Jacke ein mit kleinen Blättern aus passendem Stoffe aus dem Hause „Ets Legeron PARIS“ gespicktes Ensemble, dessen handgemalte Blumenmotive wie Glaspaste aussahen. Das Modell „Club Saint-Claude“ war ein bemaltes, mit schmiedeeiserner Kompression bordiertes Kleid. Das Modell „Club Saint-Germain“ war ein Kleid ohne tiefe Taille aus Ausbrennersamte mit gewachster und bestickter Tüllapplikation sowie mit Fransen aus schwarzen Perlen und Rüschen aus Point d’esprit zu einem mit einer Rüsche aus schwarzem Seidenorganza bordierten und bemalten Kimono aus Seidenjacquard mit Musselinstreifen und Samtbahnen. Bei den übrigen Modellen fehlte Seidenorganza als Stoff überhaupt. Das Modell „Moulin de la Chanson“ war ein Foulardkleid aus vierkantig ausgefranstem, weißem Wollorganza, wobei schwarz-weiße Instrumente und Noten die Motive der Handmalerei, lediglich von einem Hauche anderer Farben unterbrochen, waren. Das Modell „Gaîté Montparnasse“ war ein Hochzeitskleid aus cremeweißer Lyoner Spitze und Calais-Spitze.
Das Jahrhundert der Aufklärung mit seinen Träumen beeinflußte den Modeschöpfer Dany Atrache aus Beirut. Die am 23. Januar 2018 im Atrium des historischen Hauses der Crédit Lyonnais SA in Paris gezeigte Kollektion „Un Instant Romantique“ bewegte sich sinnlich zwischen der Nostalgie für vergangene Zeiten und der Realitätsnähe für eine verrinnende Gegenwart. Dany Atraches Protagonistin war eine schräge Prinzessin, äußerst schick und feminin, in hauchdünnen Stoffen in pudrigen Tönen und vor allem in sexy Spitze für den Geist der Lingerie inmitten eines Boudoirs. Kaskaden von Perlen auf Spitze und gestickte Blumen verfeinerten die Silhouette von Unterröcken, während Bustiers mit Federn – so leicht wie Abdrücke von Poesie – übersät waren. Kalte oder neutrale Töne wie Puderblau oder makellos Weiß bildeten einen Kontrast zu warmen Tönen wie Purpurrot in verschiedenen erregenden Schattierungen, was sich an kurzen Jacken, worauf Rosen- und Laubmotive aus Perlen und Pailletten gesteppt waren, zeigte.
Die Londoner Modeschöpferin Gyunel Rustamova aus Baku bezog die Inspiration zu ihrer am 24. Januar 2018 im Hotel „Ritz PARIS“ vorgestellten Kollektion aus dem Märchen „Die wilden Schwäne“ des dänischen Dichters und Schriftstellers Hans Christian Andersen aus dem Jahre 1838, aus der Tradition des russischen Ballettes sowie aus der Formensprache der Art Décoratif. Unter dem Motto „Cygnus Nihili“ trafen in einem surrealistischen Kontexte geometrische Stoffbahnen auf Federstickerei und federartig aufgeschlitztes Leder. Gemalte Wasserspeier standen für den durch die „Linse des Nihilismus“ betrachteten symbolischen Schwan. Die Diamantenschnittsilhouette fehlte keineswegs. Die Farbpalette umfaßte Schwarz, Rot, Minzgrün und Rotgold in Kombination mit schattierten Pinselstrichen.
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