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Mode in Paris

Das Jahr 2011 in der Retrospektive

Ein Zelt – zentrale Stätte der Veranstaltungsreihe „semaine des créateurs de mode femme printemps éte 2012“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. Januar 2018
Wer in der Modewelt international erfolgreich sein und auf Dauer als Unternehmer mit der selbst geschaffenen Marke bestehen will, kommt an der Modehauptstadt Paris nicht vorbei. Mit den Pariser Modewochen eröffnen sich den Modeschöpfern Wege, sich mit den eigenen kreativen Ideen und Entwürfen einem anspruchsvollen internationalen Fachpublikum bekanntzumachen.

Unter dem Motto „TASTE! BERLIN FASHION“ unterstützte der Senat von Berlin die für zehn ausgewählte Berliner Marken wirkenden Modeschöpfer bei der Herausforderung, ihre Kollektionen neben international bekannten Marken auf den vielen Veranstaltungen der Pariser Modewoche vom 27. September 2011 bis zum 5. Oktober 2011 zu präsentieren. Die Förderung der Berliner Modebranche war als Bestandteil der hauptstädtischen Standortpolitik laut der Informationsschrift kein Zufall: „Die Modeindustrie ist eine der Hauptbrennpunkte der Berliner Wirtschaftspolitik …“ Sie bestand in der Finanzierung zweier Messestände, wobei die beteiligten Modeschöpfer zusätzlich einen Eigenbeitrag aufzubringen hatten. Mit der Organisation war die Berliner Agentur Fashion Patrons GmbH in Kooperation mit der Berlin Partner GmbH betraut. Auf der vom 30. September 2011 bis zum 3. Oktober 2011 unter anderem in den Ausstellungssälen des Begegnungszentrums „LE CARROUSEL du Louvre“ untergebrachten Fachmesse „TRANOÏ FEMME SPRING/SUMMER 2012“ waren die Marken „f.rau“, „ISSEVER BAHRI“, „MIROÏKE“, „THU THU“ „VLADIMIR KARALEEV“ präsent. Die Marken „DSTM DONT SHOOT THE MESSENGERS“, „esther perbandt“, „HIEN LE“, „kımberıt“ und „MALAIKARAISS“ waren vom 1. Oktober 2011 bis zum 3. Oktober 2011 auf der Messe „(capsule) S/S 2012“ in der Veranstaltungsstätte „Garage Turenne“ versammelt.

Die Modeschöpferin Derya Issever zeigte, nachdem sie zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Cimen Bachri im Juli 2011 den zweiten Preis des Berliner Wettbewerbes „Start your Fashion Business 2011“ erhalten hatte, zum dritten Male eine Kollektion in Paris und freute sich über die nach eigenen Angaben bisher große Resonanz der internationalen Einkäufer auf ihre Präsentation. Sie war auch zufrieden über den Verlauf des von der Agentur am 30. September 2011 zum Kennenlernen veranstalteten Cocktailabends wegen der „guten Gelegenheit“, sich mit anderen Modeschöpfern, den Einkäufern und Journalisten auszutauschen. Die hinter der im Jahre 2009 gegründeten Marke „kımberıt“ stehende Modeschöpferin Kim Berit Heppelmann stellte in Paris die neue Kollektion „koMMeNT. 02 on Z‑wie‑Licht | 2½D“ ihrer Prêt‑à‑porter-Modelinie „KOMMENT.“ vor, die sich als eine Kommentierung ihrer eigenen Couturelinie verstand und für die „nonchalante, aber feminine Frau mit einem Schuß anarchistischer Haltung“ gedacht war. Ihre Ballonkleider hatten die Schauspielerin Katharina Schüttler auf der Galaveranstaltung zur Vergabe des Deutschen Filmpreises im Jahre 2010 und eine diesjährige Plakatwerbung des Elektronikgeräteherstellers „NOKIA“ in die Öffentlichkeit gebracht. Ihr angeschlossen hatte sich der aus Los Angeles stammende Architekt und Modeschöpfer Bryan Oknyansky mit einer an moderne architektonische Stahlkonstruktionen erinnernde „High heels and stiletto“-Schuhkollektion.

Für die Marke „DSTM DONT SHOOT THE MESSENGERS“, die mit einer Kollektion aus vornehmlich schwarzen Kleidern, Röcken und kurzen Jacken vertreten war, erklärte die schwedische Standbetreuerin Jeanette Rogosic, die Präsenz in Paris sei unverzichtbar, um als Marke international wahrgenommen zu werden. Um die Kleider bei Gesprächen mit Einkäufern vorzuführen, hatte sie gleich aus Berlin das aktuelle Kampagnenmodell Merle Winter mitgebracht. Simon Heeger, der Geschäftsmann an der Seite der Modeschöpferin Esther Perbandt, ergänzte, der Erfolg einer Marke hänge auch davon ab, wie weit ein Modeschöpfer von kaufmännischen und organisatorischen Dingen entlastet werde, um sich völlig auf den kreativen Bereich konzentrieren zu können. Auch ohne Förderung zog es Berliner Modeschöpfer nach Paris. So stand auf der Messe „TRANOÏ“ unter anderem Livia Ximénez-Carrillo für die gemeinsam mit Christine Pluess geschaffene Marke „mongrels in common“ den Einkäufern und Journalisten als Ansprechpartnerin zur Verfügung.

Berliner Mode an der Seine
Berlin ist nicht Paris. Einem Besucher fielen die Unterschiede zwischen beiden Standorten rasche auf. In Paris ist gegenüber Berlin, wo mit der systematischen Modepräsentation erst im Jahre 2007 mit der Einrichtung der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ begonnen worden war, mehr Erfahrung und Routine vorhanden. Die international größere Bedeutung des Standortes Paris ist daneben an der großen Anzahl und starken Dislozierung der Veranstaltungen unschwer zu erkennen. In Paris gibt es zweimal jährlich eine Couturewoche, eine Prêt‑à‑porter-Woche und eine Herrenmodewoche, also sechs Modewochen je Kalenderjahr. Demgegenüber hat Berlin nur zwei Modewochen. Die Pariser Prêt‑à‑porter-Woche dauerte neun Tage. Der Terminplan der Chambre Syndicale du Prêt à Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode, einer Untergliederung der Fédération Française de la Couture, du Prêt à Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode, die als eine Art Industrie-, Handels- und Handwerkskammer der französischen Modebranche fungiert, wies zweiundneunzig stündliche und fünfzehn weitere Laufstegschauen (défilés), mithin einhundertundsieben Laufstegschauen insgesamt, aus. Die letzte Berliner Modewoche im Juli 2011 hatte sich dagegen über sechs Tage erstreckt. Dabei hatte sowohl für die dreiundvierzig Laufstegschauen der viertägigen Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ als auch für die zwölf Laufstegschauen der dreitägigen Veranstaltungsreihe „lavera SHOWFLOOR BERLIN“ ein Anderthalb-Stunden-Takt gegolten. Anders als in Berlin mit der hohen Fluktuation bei den Modemessen – die Messen „5 elements.berlin“ und „thekey.to“ waren kurz vorher abgesagt worden – bildeten die elf Modemessen in Paris eine Konstante.

Alleine von der Place de la Concorde über den Jardin des Tuileries bis zum Palais du Louvre standen sechs Veranstaltungszelte, und zwar unter anderem das Presse- und Informationszentrum der Modekammer, zwei Ausstellungszelte der Fachmesse „PREMIERE CLASSE“, ein solches Zelt der Messe „PARIS SUR MODE ATELIER“ und ein Zelt der Messe „ATMOSPHÈRE’S THE PLACE TO LIVE FASHION“; für die Messe „ZIPZONE PARIS FASHION TRADE SHOW“ standen einige Räume des Museums zur Verfügung. Auf den Bürgersteigen und Plätzen sowie in den Gärten in der Umgebung verteilten Hostessen in schwarzen Kostümen oder Hosenanzügen Modemagazine und Informationsbroschüren an Fachbesucher, Touristen und sonstige Passanten. Angesichts dessen befand sich die Pariser Innenstadt fest in der Hand der Modeszene. Allerorten tat sich das Informations-, Empfangs- und Sicherheitspersonal durch einen vorbildlich höflichen, freundlichen und zuvorkommenden Umgang mit den Gästen hervor. Im Presse- und Informationszentrum wurden Stadt- und Fahrpläne ausgedruckt sowie Reiserouten berechnet. Es macht den besonderen Charme der Modemetropole Paris aus, als Gast mit den Worten „Bonjour, Madame“ oder „Bonjour, Monsieur“ zuerst begrüßt zu werden und nicht bloß erwartungsvolle angeguckt zu werden. Das Flair verdankt die Seinestadt überdies der noch reichlich vorhandenen historischen Bausubstanz. Gotik, Renaissance, Barock, Klassizismus, Historismus, Jugendstil, Moderne; in Paris ist alles zu finden. Dort kommt nicht einmal in räumlicher Hinsicht bei der Inszenierung einer Modepräsentation Langeweile auf.

Beispielsweise grenzen die Ausstellungssäle unter dem Palais du Louvre an freigelegte Reste der mittelalterlichen Stadtmauer. Die aus Lüttich stammende und nun in Paris arbeitende Modeschöpferin Véronique Leroy präsentierte ihre neue Kollektion unter anderem mit pastellfarbenen Röcken aus Chiffonseide sowie gestrickten Kleidern, Röcken und bauchfreien Pullovern in verschiedenen Grautönen im Rahmen der Veranstaltungsreihe „semaine des créateurs de mode femme printemps éte 2012“ am 1. Oktober 2011; Ort ihrer Laufstegschau war die hölzerne Uferterrasse des modernen Zweckbaues der Cité de la Mode et du Design, was zusammen mit den auf der Seine vorbeifahrenden Ausflugsbooten ein sommerliches Ambiente ergab. Auf der Modenschau des Mailänder Modeschöpfers Ennio Capasa mit seiner Marke „CoSTUME NATIONAL“ am 2. Oktober 2011 liefen die Mannequins in raffiniert geschlitzten Kleidern und Röcken um einen riesigen Kubus herum, der inmitten der mit der gußeisernen Kuppel des Ingenieurs Gustave Eiffel überdachten Halle des ehemaligen Zentralgebäudes „Le Centorial“ der Bank „CREDIT LYONNAIS“ aufgestellt worden war; bei dieser Kollektion dominierten die Farben Rosa und Himmelblau. Stets beliebt als Veranstaltungsstätte ist das Grand Palais, eine Weltausstellungshalle aus der Belle Époque; der Pariser Modeschöpfer Karl Lagerfeld griff für die Präsentation der neuen „CHANEL“-Kollektion wieder auf das bewährte Objekt zurück.

Es gab eine weitere Pariser Besonderheit. Wenn eine Modenschau anstand, bildete sich vor dem Atelier des betreffenden Pariser Modeschöpfers oder vor einer anderen Veranstaltungsstätte, je nachdem wo die Kollektion gezeigt werden sollte, eine Menschentraube unterschiedlicher Zusammensetzung. Während drinnen den geladenen Gästen und ausgewählten Presseleuten die Kollektion vorgeführt wurde, kamen draußen weitere Pressephotographen, Hobbyphotographen, „Modeblogger“, „Fashion Victims“ und Schaulustige zusammen, um die Mode und ihre Akteure regelrecht zu feiern. Die Zusammenkunft hatte noch einen anderen Grund. In der Regel verließen nach der Modenschau nicht nur die prominenten Gäste, sondern auch die Mannequins die Stätte über den Haupteingang, um sich den wartenden Photographen zu stellen und von ihnen ablichten zu lassen. Die Ausnahme bildeten ein paar müde oder genervte Mannequins, die es vorzogen, sich der Prozedur durch sofortige Flucht mittels eines bereitgestellten Wagens oder hergebrachten Motorrollers oder mit eigener Füße Arbeit zu entziehen, was dann die hartgesottenen Paparazzi zur Jagd rief. Wer die höfliche Anfrage eines Photographen ignorierte, wurde manchmal gnadenlos „abgeschossen“ – andere Länder, andere Sitten.

Berliner Modeschöpfer knüpfen in der Pariser Modewoche internationale Kontakte
So spielte es sich am 1. Oktober 2011 vor dem Ateliergebäude des Pariser Modeschöpfers Jean Paul Gaultier ab. Schon mehr als eine Stunde vor der abendlichen Modenschau kam es zu einer Ansammlung auf den Bürgersteigen und der Straße. Zeitweise brachte die Menschenmenge, die keine Rücksicht auf die Gefahren des Straßenverkehres nahm, diesen zum Erliegen; Mutige kletterten für eine gute Sicht auf die Fensterbank eines gegenüberliegenden Gebäudes. Sogar die international bekannte Journalistin und Modekritikerin Suzy Menkes hatte sich mühsam ihren Weg durch die Menschenmenge zu bahnen. Unterdessen befragten und photographierten „Modeblogger“ die mal schick, mal schrill gekleideten „Fashion Victims“. Am Rande des Geschehens verteilte die sich beruflich nach Paris orientierende kanadische Modeschöpferin Sigourney Burrell, die einen selbst entworfenen Federschmuck nach Art eines Indianerhäuptlings trug, Bildkarten an die Anwesenden zur Information über ihre Marke „RF RUBY FEATHERS“ und gab nebenher ein Bildmotiv ab für diejenigen Photographen und „Blogger“, die einmal nicht mit den Prominenten, Mannequins und „Fashion Victims“ beschäftigt waren. Drei ältere bundesdeutsche Touristinnen, die sich auf eine schmale Verkehrsinsel zwischen bedrohlich nahe vorbeifahrenden Wagen zurückgezogen hatten, konnten den ganzen Trubel um die Mode gar nicht verstehen. Erst rund eine Stunde nach dem Ende der Modenschau löste sich die Festversammlung allmählich auf.

Die noch eher geringe internationale Bedeutung bundesdeutschen Modeschaffens zeigte sich auch an den Sprachkenntnissen der Akteure. Selbstverständlich parlierte man in der Ortssprache Französisch. Zur Verständigung mit und unter den internationalen Gästen half ein Rückgriff auf die englische Sprache. Bisweilen war auch Italienisch zu hören. Obwohl der deutschsprachige Raum ein bedeutsamer Markt in Europa ist, spielte die deutsche Sprache hingegen keine Rolle. Übrigens weiß auch die Londoner Modeschöpferin Dame Vivienne Westwood die Vorzüge der Modemetropole Paris zu schätzen, denn seit der Beendigung ihrer Lehrtätigkeit an der Universität der Künste Berlin veranstaltete sie lieber in Paris auswärtige Modenschauen. Zu den Veranstaltungen der Berliner Modewoche im Januar 2011 hatte damals in Berlin die Modehistorikerin und Publizistin Dr. Gundula Wolter, Mitgründerin und Erste Vorsitzende des netzwerk mode textil, Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider und Modeforschung e. V., angemerkt: „Bei den Berliner Modeschauen fehlen für mich wichtige Namen, wodurch … das Niveau und die internationale Bedeutung der Schauen gehoben würden.“

Immerhin zeigte sich anderswo die Stärke der bundesdeutschen Automobilindustrie, was zu den wenigen Gemeinsamkeiten führt. Die Daimler AG als Titelsponsorin in Berlin und als „offizieller Partner“ in Paris versorgte an beiden Orten den Fahrdienst mit ihren „Mercedes-Benz“-Limousinen. Während in Berlin zumindest für die Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz Fashion Week BERLIN“ die IMG GmbH als nationale Tochtergesellschaft der IMG Worldwide, Inc., die Termine der einzelnen Modenschauen aufeinander abstimmte und den Terminplan zusammenstellte, liefen in Paris bei der zuständigen Modekammer die Fäden zusammen.

Maßgeblich für einen dauerhaften Erfolg sind Visionen, klare Ziele, strukturiertes Vorgehen und eine selbstsichere Haltung. In Frankreich ist Mode ein nationales Kulturgut. Das Fortkommen der französischen Modebranche ist insofern ein nationales Anliegen, infolgedessen sie sich breiter staatlicher Unterstützung und Förderung erfreut. Um talentierten jungen Modeschöpfern den Berufseinstieg vorwiegend mit Preisgeldern zu erleichtern, war im Jahre 1989 auf Initiative des Ministeriums der Kultur und Kommunikation und des im Jahre 1984 gebildeten Comité de Développement et de Promotion du Textile et de l’Habillement hin die Association Nationale pour le Développement des Arts de la Mode (ANDAM) gegründet worden. Das gegenwärtige Comité de Développement et de Promotion de l’Habillement (DEFI) war wiederum im Jahre 2000 als Nachfolgeinstitution zur Förderung der Bekleidungsindustrie aufgrund eines Dekretes des Ministeriums der Wirtschaft, Finanzen und Industrie geschaffen worden. Beachtenswert war obendrein das nationale Selbstbewußtsein der französischen Modebranche, was sich in der eigenen Zielsetzung der Pariser Modeföderation ausdrückte; sie hatte nämlich die Aufgabe, die „Position Paris’ als Welthauptstadt der Modegestaltung zu bewahren“. Dies ist Grandeur! Hier konnte Berlin noch vieles von Paris lernen, wenn es den Blick über den eigenen Tellerrand hinaus riskierte. Nichtsdestoweniger vermochte die nunmehrige Förderung der einheimischen Modebranche den Abstand zu Paris zu verringern helfen – ein Schritt in die richtige Richtung.

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