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Ein kalifornischer Sommernachtstraum

Mode als Kulthandlung und Naturerlebnis

Zweireiher – die Modenschau „PAUL & JOE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 22. November 2017
Etwas über die verlorene Unschuld wollte die Pariser Modeschöpferin Sophie Mechaly erzählen. Dabei dachte sie an die Geschichte einer Maid aus einer puritanischen Familie von der Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika und eines bösen Jungen als ihren Geliebten auf dem gemeinsamen Wege über Palm Springs mit unzähligen Streichen nach Las Vegas für eine schöne Hochzeit. Daher sollte es bei der Prêt‑à‑porter-Kollektion der Marke „PAUL & JOE“ für den Frühling und Sommer 2018 „kathartisch“ zugehen.

Inspirationsquelle waren die 1990er Jahre. Ein paar kultige Spielfilme amerikanischer Regisseure, nämlich Robert Altmans „3 Women“ aus dem Jahre 1977, David Lynchs „Wild at Heart“ aus dem Jahre 1990, Oliver Stones „NATURAL BORN KILLERS“ aus dem Jahre 1994 und Sofia Coppolas „THE VIRGIN SUICIDES“ aus dem Jahre 1999, ließen Sophie Mechaly nicht los. Alles floß ein in eine frische, sehr romantische Kollektion ein. Die am 3. Oktober 2017 in der Höheren Schule der Schönen Künste gezeigte Kollektion bewegte sich zwischen dem Glamour der 1970er Jahre und dem Minimalismus der 1990er Jahre munter hin und her; als Idealfigur wechselten Maid und reife Frau einander ab. Die Tageskleidung beinhaltete Schlupfkleider, mittellange Röcke mit Druckknöpfen an den Seiten, bauchfreie Strickstücke, Anzugshosen in sommerlichen Farbtönen, die Hüfte umspielende und sich an den Knöcheln abspreizende Jeanshosen, Shorts mit Volants sowie Shorts mit einer Rüsche am Oberschenkel, die wie ein Schößchen aussah.

Blickfang waren eine Motorradjacke samt skulpturalen Ärmeln aus rotem Twille, eine Motorradjacke mit floraler Zier und ein zweireihiger Anzug aus hellem, vergoldetem Jacquard. Einiges erschien mehr nonchalant denn damenhaft, beispielsweise die blaue Lochstickerei (Broderie anglaise) an Overalls, das an alte Tapeten angelehnte Aussehen von Pyjamastücken und der Brokat in Pastelltönung. Überdies zeigte sich ein männlicher Einschlag bei Seidenblusen und breiten Revers. Das für die Modemarke allererste Hochzeitskleid war ein asymmetrisches und unstrukturiertes Nachthemd aus Calais-Spitze, das ein floraler Stoffdruck und Rüschen zierten. Das Gegenstück war ein weißes Kleid mit einer bescheidenen, fast minimalistischen Silhouette. Die Farbpalette umfaßte noch Gelb, Blau und glühendes Orange. Die zu Slippern tendierenden Mary-Jane-Schuhe aus Samte und Polsterstoffen fügten sich harmonisch in das Gesamtbild ein. Die Kollektion war letztlich ein Gruß an den amerikanischen Schauspieler Nicolas Cage, in den Sophie Mechaly verliebt gewesen war.

Aus Bewunderung für den Wechsel der Jahreszeiten verankerte die japanische Modeschöpferin Junko Shimada ihren rebellischen Geist und ihren andersartigen Chic in einer Ode an die Natur. Ein naiv gezeichneter magischer Baum, in der Hand eines Kindes skizziert, durchzog als sozusagen grüner Faden die Kollektion, und zwar als Stickerei oder Stoffdruck. In einer Welt von Elfen und geheimnisvollen Geistern vertraute Junko Shimada auf die Kraft von Blättern. Unter einer riesigen Blätterkrone auf den Köpfen drehten sich die Klassiker weg, „jazzten“ die Basisstücke, tanzten die Kleider freudig und kicherten die Blusen. Schwarze, rote oder hautfarbene Spitze gab den Overalls von Mechanikern und Jacken von Gärtnern aus strohgelbem oder turteltaubengrauem Kreppe eine freche Note. Gleichviel ob für eine „Stadtmaus“ oder ein „Landküken“, schmückten Stickereien und optisch erhabener Flachstich marineblaue, scharlachrote oder beige Kleidungsstücke mit Vichykaros; die zugehörigen apfelgrünen, kanariengelben oder orange Netze waren flauschig und luftig. Für Junko Shimada war es im Palais de Tokyo ein sprießender Tagtraum, mithin ein Sommernachtstraum.

Die französisch-chilenische Modeschöpferin Isabel Felmer, in Berlin geboren und heutzutage in Paris tätig, hatte erste praktische Erfahrungen als Kostümassistentin an der Nationaloper von Chile „El Municipal de Santiago“ in Santiago gesammelt. Nach dem Siege beim Wettbewerbe „XIII Encuentro de Moda Independiente en Chile“ hatte sie im Jahre 2009 die Marke „Ifel“ gegründet und dann ihre erste Prêt‑à‑porter-Kollektion in der Santiagoer Modewoche präsentiert. Im Januar 2016 hatte die Absolventin des Studio Bercot in Paris die Kostüme für die Aufführung des Theaterstückes „Pobre Inés Sentada Ahí“ des chilenischen Dramatikers Alejandro Sieveking in Chile gestaltet. Am 6. Oktober 2016 und 7. Oktober 2016 war die Ausstellung „A New Romantic Princess living in a Cult Film“ mit Photographien einer weiteren Kollektion ihr Debüt in Paris gewesen.

Am 3. Oktober 2017 stellte Isabel Felmer eine Sonderkollektion ihrer Marke „Isabel Felmer“ in der Residenz des Botschafters der Republik Chile in Paris vor. Der Geist des japanischen Mannequins Sayoko Yamaguchi aus den 1980er Jahren prägte die farbenfrohen Stoffdrucke und Silhouetten. Die Drucke enthielten futuristische Bilder mit Isabel Felmers Dessins. Ein solches Bild, das eine völlig transformierte Isabel Felmer zeigte, ging auf ihre Videoperformanz „Kokeshi & Yukio“ im Jahre 2010 zurück. Ein anderes Bild stammte aus ihrer Serie „Future Century 0009“, wo sie Kleidung entworfen hatte. Derart bedruckte Kimonos eigneten sich für eine moderne Geischa. Kostüme und Kleider im Stile der 1860er Jahre standen im Gegensatze zu Kleidungsstücken mit der futuristischen Silhouette der 1980er Jahre. Futuristischer Reiz traf hier auf „Retro“-Charme. Die Farbpalette umfaßte Rosa, Gelb, Blau und Lila bei den Drucken sowie Weiß und Schwarz bei den Kleidungsstücken selbst. An der Modeinstallation mit menschlichen Mannequins beteiligten sich noch Schaufensterpuppen der niederländischen Marke „HANS BOODT. MANNEQUINS“.

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