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Der Untergang des romantischen Reiches

Die Mode und der Stoizismus

Ums Wasserbecken herum – die Modenschau „Rick Owens“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 17. November 2017
Angesichts der Umweltkatastrophen, der drohenden atomaren Vernichtung und der gesellschaftlichen Mißstände pflegt der aus Porterville in Kalifornien stammende und in Paris tätige Modeschöpfer Rick Owens, den Untergang zu romantisieren, denn er sorgt sich um den Zustand der Welt. Diesmal galt jedoch frei nach dem deutschen Philosophen Ernst Bloch das Prinzip Hoffnung. Zur Abwendung des Unheiles sollte die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2018 ein Hoffnungsträger sein. Dafür setzte Rick Owens auf Stoizismus, denn in der Ruhe und Gelassenheit lag die Kraft.

Das Ergebnis war eine stoische Kollektion. Unter dem Motto „Dirt“ erschienen einfarbige, amorphe Kleider und Tops, die wie Togas aussahen. Sie waren reinweiß, schwarz, zementgrau oder grasgrün. Die umwickelte Taille bei einem lebendig grünen, asymmetrisch drapierten Kleide ließ an einen beutelartigen Hautsack denken. Es kamen auch lange Säulenkleider und weit fallende Jacken vor. Zu zart drapierten Röcken aus Jersey wurden weiche Tops mit feinem, gitterartigem Besatze aus riesigen Hornperlen auf den Stoffschichten getragen, was auf die Spielfilme des amerikanischen Regisseurs Cecil Blount DeMille mit biblischen Themen zurückging. Bescheiden aussehende T‑Shirts zogen sich stramm über die Schultern. Der dehnbare Stoff führte zu körperbetonten Formen wie Beulen und Klumpen. Das Schuhwerk bildeten klobige Sandalen mit besonders langen Riemen. Die großen Beutel in Bauchhöhe unter den Kleidungsstücken waren insgeheim ein Fruchtbarkeitssymbol, das für Wiedergeburt und Optimismus stand. Die Modelle wirkten wie sich bewegende Skulpturen, was zu den Statuen am Rande des Fontänenbeckens im Hofe des Palais de Tokyo paßte; doch Rick Owens dachte bei seinen Entwürfen eher an Süßigkeiten wie Baiser. Statt Musik begleitete ein permanentes Kichern die Modenschau am 28. September 2017; es handelte sich um Rick Owens Gattin Michèle Lamy. War denn alles nur ein Witz?

Der Beiruter Modeschöpfer Zuhair Murad befaßte sich damit, seine Couturevision in Prêt‑à‑porter-Kleidung umzusetzen. Etwas Geheimnisvolles und Unberührbares bei Frauen, empfand er als sehr elegant. Die Suche nach Inspiration in der griechischen Antike brachte zwei Arten göttlicher Wesen zutage, nämlich die energische Amazone und die romantische Nymphe. Die Kriegerfürstin sah dank Nietenjacken, Gürtelkleider sowie eng anliegendem, schwarzem, weißem oder goldenem Leder stark und sinnlich aus. Sanftheit ging hingegen von etwas Makramee, gefiederten Stickereien und Pastelltönen aus. Schwarz, Weiß und Karmesinrot beherrschten die Kollektion. Zur Ausschmückung dienten Goldnieten, Kristalle, Perlen oder üppige Stickereien. Gestricke kamen beispielsweise an Kleidern samt Faltenröcken und mit Kristallen in eng miteinander verwandten Farbtönen vor. In Anlehnung an seine Couturekollektion verschönerte Zuhair Murad einige lange oder kurze Kleider mit dem Unterwassermotive als Stickerei oder Stoffdrucke. Ein mit einem Muster aus gestickten Federn versehenes Kleid aus schwarzem Seidentülle samt hautfarbenem Seidenfutter berührte behutsam den Boden; es war oberhalb der langen Ärmel schulterfrei, während es unter schwarzen Seidenfransen rückenfrei war. In den Fransen stak sozusagen Musik. War die Tätowierung ein Kennzeichen anderer Menschen, so verwies Zuhair Murad auf die Transparenzwirkung für den Körper, was für eine mit Spitze verzierte Robe galt. Jumpsuits aus Wolljacquard mit Besatze aus ausgeätzten Ketten waren ein weiterer Blickfang. Die am 29. September 2017 im eigenen Atelier gezeigte Kollektion war weder klassisch noch futuristisch, sondern ganz in der Art Zuhair Murads.

Die neue Kollektion der italienischen Marke „Redemption“ stellte der Modeschöpfer Gabriele Moratti alias Bebe Moratti im Hotel „Shangri-La“ in Paris vor. Aufs neue bildeten Kontraste, Zusammenstöße, unausgewogene Harmonie und italienisches Savoir-faire das kreative Grundgerüst. Inspirationsquelle waren diesmal die frühen 1990er Jahre als Zeit des Aufruhres und der Rebellion, als Grunge-Rock-Bands im Mittelpunkte gestanden hatten, während opulente neobarocke Visionen die Seiten der illustrierten Zeitschriften gefüllt hatten. Aristokratische Extravaganz und abgenutzer Schmuddel (Grungestil) rieben einander so, daß ein Widerstreit aus lässigen Roben, schräg geschnittenen Kleidern, Kleidern samt winziger, skulpturierter Krinoline, taillierten Blazern, bestickten Jeanshosen, übergroßen, karierten Blusen und sinnlichen Miedern entstand. Verschönerung und Spontaneität, Maskulines und Feminines, Kostbarkeit und Rohheit mischten sich überdies in unerwarteter Weise. Gabriele Morattis Protagonistin war eine Regeln brechende Persönlichkeit mit ausgeprägtem Körperbewußtseine. Als von sich selbst überzeugtes Individuum behandelte sie ohne Scheu und nonchalant sogar Kleider aus luxuriösem Seidenmikado oder Blusen aus Fil-Coupé-Stoffe so, als wären sie aus zweiter Hand gewesen. Der Drang zu rebellieren verließ dennoch nie den Rahmen der Schönheit, Eleganz und Raffinesse. Für Gabriele Moratti war alles eine bloße Haltungsfrage.

Romantik und Halt waren das Leitmotiv der neuen Kollektion der Marke „CYCLAS“. Im Hause des Automobilclubs von Frankreich wollte die japanische Modeschöpferin Keiko Onose den Konflikten und der Angst in der heutigen Zeit etwas entgegensetzen. Angenehm zu berührende, leichte Materialien prägten die Kollektion. Kompakter Jersey mit seidiger Glätte stand knackigem Viskosetwille und transparentem Seidenorganza harmonisch gegenüber. Die verschiedenen Texturen hatten eine skulpturale Wirkung. Ein Kleid aus hauchdünner Viskose, kunstvoll drapiert und gerafft, spielte auf die klassische Linie der Robe Persephones an. Haubenärmel verstärkten die Schulterpartien; Falten ermöglichten kraftvolle Bewegungen. Neben Muster und Farbe wiesen fließende Silhouetten aufs mehrdimensionale Innenleben der modernen Frau hin. Romantisch zarte Pastelltöne wie Himmelblau, Rosa und Hautbeige bildeten einen Kontrast zu stimmungsvoll leuchtenden Tönen wie Mohnrot, Karmesinrot, Kaisergelb, Olivgrün und Purpurblau. Zusammen mit der Transluzenz des Seidenorganzas vervollständigten Stoffdrucke, die ein Tanzen auf der Wasseroberfläche andeuteten, das Bild. Zeitlos sollte der Luxus für eine verfeinerte Weiblichkeit mit einfacher Eleganz sein. Dies betraf auch die von der Pariser Taschenmodeschöpferin Myriam Schaefer stammenden Handtaschen.

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