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Vielen Dank für die Blumen!

Neues von der Modemarke „MOSCHINO“

Blühende Pracht – die Modenschau „MOSCHINO“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 4. November 2017
Bei der italienischen Marke „MOSCHINO“ setzte man auf Charaktere. Der seit dem Jahre 2013 für die Marke tätige amerikanische Modeschöpfer Jeremy Scott bestückte die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2018 mit burschikosen Ballerinas und menschlichen Blumensträußen. In dem Schauspiele „Der gute Mensch von Sezuan“ des Dramatikers und Lyrikers Eugen Berthold Friedrich Brecht alias Bertolt Brecht aus den Jahren 1938 bis 1940 heißt es endlich: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Bei Jeremy Scotts Spektakel galt erst einmal: „Vorhang auf!“

Den ersten Teil der Kollektion prägte das Thema „Biker-Ballerina“, obgleich er dem amerikanischen Mannequin Kaia Gerber, der Tochter des amerikanischen Mannequins Cindy Crawford, unter dem Titel „Die Geschichte des Lebens Kaia Gerbers“ gewidmet war. Nichtsdestoweniger waren eine schwarze lederne Bikerjacke, ein blau gefiederter Tutu, ein T‑Shirt aus der Sonderkollektion „my LİTTLE PONY“, ein Hut, Netzstrümpfe und knabenhafte Stiefel die Zutaten, womit Kaia Gerber die Modenschau im Hofe der Militärschule Teulié in Mailand am 21. September 2017 eröffnete. Jeremy Scotts Protagonistin war eben eine Tänzerin, wenngleich mit der Attitüde eines „Biker Girls“. Bonbonfarben mußte es zugehen. Ein cremeweißes und mit blaß pfirsichroten Spuren versehenes Ballettkleid aus Seide hatte am Bustier einen Perlenbesatz, welcher des berühmten Ballettensembles namens Ballets Russes erinnerte, und am Rocke ein Nagelbild aus Sicherheitsnadeln. Die Protagonistin war zudem mächtig. Als Kombination traten dekonstruierte lederne Perfectojacken, Tüllröcke, teils mit Schleppe, flott geneigte Bikerkappen und Badass-Stiefel auf. Den Schwanengesang kündigten ein Bodysuit im Bikerstile und ein grauer Hybrid aus Jersey, der Ballettkleid und Kapuzenpullover vereinte, an. Außerdem war die Protagonistin verspielt. Handtaschen in Brotdosenform ergänzten Hemden mit Schleifenärmeln und Tanktops aus der Sonderkollektion.

Jeremy Scott bewahrte sich seine positive Einstellung zum Leben durch Wortwitz. Den saloppen Spruch „Scheiße passiert“ wandelte er zur Erläuterung der Kollektion ab: „Shirt passiert.“ Konsequenterweise standen an dieser Stelle T‑Shirts im Mittelpunkte, von Satinbustiers und Netzstrümpfen in etlichen Variationen umgeben. Tülltutus und schwarze Federn gehörten noch hierher; schwarzes Leder, weiche Seide, Silber, Perlen und auch Falten wiesen schon in eine andere Richtung. Den zweiten Teil der Kollektion bestimmte das Blumenthema, welches sich Jeremy Scott beim Gedanken an den Frühling geradezu aufgedrängt hatte, was ihn keineswegs davon abhielt, das Thema genüßlich auszuschlachten. Es gab immerhin prachtvolle Roben aus Seidenduchesse in Form von Orchideen, Pfingstrosen, Schwertlilien (Iris), Tigerlilien und umgekehrten langstieligen Rosen nebst verklumpten violetten Federn. Eine Robe ähnelte einem Schmetterlingsflügel. Bei einer anderen Robe flatterte sogar ein Schwarm Monarchfalter um den Kopf der Trägerin. Die Mannequins waren nicht mehr burschikos, sondern sie erschienen fortan als zu pflückende Blumen! Als leibhaftiges Bouquet trug das amerikanische Mannequin Jelena Noura Hadid alias Gigi Hadid ein Etuikleid aus weißer Seide, wobei eine rote Schleife ihre Taille umschlang, während ihr Kopf in einem massiven Kragen aus Knospen stak. Dahingegen behandelte das amerikanische Mannequin Anna Cleveland die rosa Tulpenblätter ihres Mieders nach der Devise: „Er liebt mich; er liebt mich nicht.“ Für Jeremy Scott zeigte sich am Übergange von der „Biker-Ballerina“ zur Blumenmaid als Geschöpfe der Anbetung die wahre Metamorphose. Im Grunde wollte er herausfinden, wie weit man gehen und wie hoch man springen konnte.

Um Gesten ging es bei der neuen Kollektion des Mailänder Modeschöpfers Arthur Arbesser aus Wien. Für ihn war ein Kleid keine starre Hülle, sondern ein biegsamer Gegenstand, der zum Leben erweckt werden sollte. Da sich der Körper als etwas Lebendiges bewegt und verändert, legte Arthur Arbesser Wert auf Gestik, die er durch Drapagen und Konstruktionen, die Rüschen, Knitterfalten und Plissees erzeugten, ermöglichte. Die Knoten und Kräuselungen, die ein Kleidungsstück belebten, sprachen von einer äußerst bewußten Weiblichkeit. Das Werk des Wiener Malers und engen Familienfreundes Heinz Stangl, das heißt die gewaltsamen Farben, die Formen aus nervösen Mustern, die Interieurs aus einander kreuzenden Flächen sowie die provozierenden und naiven Protagonistinnen seiner Gemälde, war für Arthur Arbesser eine unerschöpfliche Inspirationsquelle. Allerdings milderte er Heinz Stangls „erotische Qual“ ab, indem er sich andere Figuren vorstellte, beispielsweise Großfürstin Tatjana Nikolajewna Romanowa und ihre Schwestern, die in offiziellen Porträts am allrussischen Hofe als Ikonen eines aristokratischen, melancholisch gefärbten Charmes so erhaben und raffiniert erschienen waren. Die Auswahl der Stoffe, namentlich leichter Baumwolle, weicher Schurwolle, bedruckter Gaze und fließender Viskose, spiegelte die Idee einer heterogenen und inklusiven Weiblichkeit wider. Das Farbspektrum reichte von sanften Lilatönen bis zu satten, beinahe sauren Grün- und Gelbtönen.

Arthur Arbesser übersetzte Heinz Stangls Muster in kaleidoskopische Drucke, akribisch und detailliert; die vertikalen Streifen waren fürderhin eines der Markenzeichen Arthur Arbessers. Die aus einem Gestricke hervorschauenden Hände erinnerten der Gesten und Bewegungen des Malers. Auch für Arthur Arbesser galt es, Kleidung als wichtiges Element der Persönlichkeit zu betrachten. Ideal als musikalische Untermalung der Modenschau in der Militärschule Teulié war das letzte Musikstück aus der Hand des Wiener Komponisten Franz Schubert, nämlich das Stück „Fantasia in f‑Moll für Klavier zu vier Händen“. Es handelte sich um eine Reflexion über eine unmögliche, Melancholie hervorrufende Vernarrtheit und über einen geringfügigen, resignierenden Schmerz im Spannungsfelde zwischen Realität, Erinnerung und Erwartung. Die in Österreich geborene und in den Vereinigten Staaten von Amerika aufgewachsene Pianistin Antoinette Van Zabner, die an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Klavier unterrichtet, setzte sich dafür neben den Pianisten Luca Lavuri aus Mailand, der an der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien sowie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien studiert hatte, an den Konzertflügel. Um das österreichische „Gastspiel“ in Mailand zu vollenden, schickte Arthur Arbesser das Mannequin Viktoria Machajdik aus Innsbruck über den Laufsteg.

Nach dem Studium am Istituto Marangoni in Mailand hatte der Modeschöpfer Delfrance Ribeiro aus Brasilien im Jahre 2002 für die britische Modeschöpferin Vivienne Westwood in London gearbeitet. Mit dem aus Tirol stammenden und in London tätigen Modeschöpfer Andreas Kronthaler war er nach kurzer Zeit als dessen Assistent nach Paris gewechselt. Zurück in Italien hatte er im Jahre 2005 ein dreijähriges Studium am Istituto Secoli in Mailand abgeschlossen. Daran hatte sich ein Studium an der École de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne angeschlossen. Im Jahre 2008 war darauf das Debüt mit seiner ersten Prêt‑à‑porter-Kollektion gefolgt. Nunmehr stellte Delfrance Ribeiro in der Veranstaltungsstätte „Spring UP showroom“ in Mailand unter dem Motto „Tropic Love“ eine neue Kollektion seiner Marke „DELFRΛNCE“ vor. Die zugrundeliegende Geschichte vereinte zwei Welten. Es ging um eine Frau, die ein neues Bewußtsein für die eigene Sinnlichkeit und Reife entwickelte, aber zugleich ihren Wunsch, jung zu bleiben sowie ihren Willen zum Leben und Spielen zu bekräftigen, behielt; voller Zuversicht eingedenk ihrer ungestümen Weiblichkeit, wollte sie nicht unbemerkt bleiben. Für tropische Paradiese standen lebendige und brillante Farben wie Fuchsienrot, Gelb, Orange und Grün. Frische Details reicherten den Blumendruck an. Seidensatin mit Tülleinsätzen in Gestalt von Blütenblättern, Palmen, exotischen Früchten und Herzen kam am häufigsten vor. Zur Ausschmückung dienten überdies Bänder in verwandten Farbtönen und Pailletten. Innovative farbige Details ließen Klassiker wie Blazer, Hosen und Blusen minder formell aussehen. Zu langen Kleidern, die neben Volants und Besätzen unversehens sinnliche, runde Fensterausschnitte an der Rückseite hatten, wurden sportliche Bomberjacken getragen. Unentbehrlich war ein schwarzes, kurzes Kleid aus halbtransparentem Tülle mit Wabenmuster. Delfrance Ribeiro liebte die originelle, spielerische Mischung verschiedener Materialien und Farben. Ihm war es letztlich wichtig, daß jedes Kleidungsstück den provokativen Individualismus seiner Trägerin wiedergab, ohne jemals trivial zu wirken.

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