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Nichts ist so, wie es scheint

Die Mode und das Fernweh

Nur noch einen Augenblick – die Mannequins Sarah Boursin und Bruna Lüdtke vor der Modenschau „ΛTSUSHI NΛKΛSHIMΛ“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. November 2017
Es wächst zusammen, was zusammengehört. Infolge des Falles der Berliner Mauer hatte Willy Brandt, vormals Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, am 10. November 1989 im Hinblicke auf die nationale Frage geäußert: „Jetzt sind wir in einer Situation, in der wieder zusammenwächst, was zusammengehört.“ Ums Zusammenwachsen ging es auch in der Mailänder Modewoche, und zwar beim japanischen Modeschöpfer Atsushi Nakashima unter dem Motto „COALESCENCE“.

Für seine Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Frühling und Sommer 2018 löste Atsushi Nakashima verschiedene Gegenstände auf und verschmolz sie zu einer Sache. So beschnitt er klassische Kleidungsstücke wie Trenchcoat, Mods-Mantel, Jeansjacke und Hoodie am Körperteile und paßte sie mit besonderen Verschlüssen frei an. Das gesamte Körperteil wurde geometrisch aufgelöst und rekonstruiert, indem Farben, Muster und verschiedene Materialien zu einem Motive zusammengestellt wurden. Eigens für die Modenschau am 20. September 2017 im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci mixte der japanische Sänger, Komponist und Schauspieler Tsuyoshi Domoto eigene Musikstücke. Eine besondere gesangliche Einlage fügte Rosalba Pippa alias Arisa, eine italienische Sängerin, Schauspielerin und Schriftstellerin, die mit ihrem Liede „Controvento“ den Musikwettbewerb in San Remo im Jahre 2014 gewonnen hatte, hinzu.

Im Palazzo Reale unternahm der Modeschöpfer Cristiano Burani aus Carpi bei Modena unter dem Motto „Electro Hawaii“ eine emotionale Reise auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen von Weiblichkeit und Nüchternheit. Was wie Pelz aussah, war Baumwollstoff der Herrenbekleidung oder steingewaschene, marmorierte Serge de Nîmes. Für den pelzigen, fransigen Effekt war die Stofftextur durch Einklemmen von Nadeln gebrochen worden. Karierte und gestreifte Baumwollstoffe in Vitamintönen gingen mit entspannten Silhouetten einher. Was wie ein Netz aussah, war handgestricktes Leder. In Regenbogenfarben erschienen sowohl Gestricke aus Kaschmirwolle und Leder als auch lederne Fadenwerke mit geometrischen Stickereien und Fransen. Neonfarben gaben Blumendrucken in überlappenden Schichten plissierten Netzes Kraft. Einen Knister- und „Memory“-Effekt gab es beim mit Aluminiummembran verbundenen, leichten Leder. Was wie Papier aussah, war Seidenorganza oder Nylonorganza in plissierter Gestalt. Obendrein kamen durch unregelmäßige Falten gekräuselter Tüll wie auch Lackleder mit applizierten Polyuräthanflicken vor. Cowboystiefel samt Gummisohle, Creeper samt farbigen Einsätzen mit Kunststoffbeschichtung sowie Satinpumps samt Polyuräthanabsätzen bildeten das eigens von der JOSEPHINE srl angefertigte Schuhwerk. Große Handtaschen aus „Memory“-Leder hatten wasserdichte Reißverschlüsse und vielfarbige Fransen. Weitere Accessoires waren kaffeebraune Sonnenbrillen mit Gold- und Silberdetails in futuristischen Linien, die eigens von der Marke „Ozona“ stammten.

Wie die exotische Inselkette Hawaii Cristiano Burani elektrisierte, so erschienen Rocco Adriano Galluccio Lagunen als kleines Paradies. Der aus Caserta stammende und in Mailand tätige Modeschöpfer zeigte im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci mit der Kollektion „PARADISE LAGUNA“ seiner Marke „ALCOOLIQUE“ eine zauberhafte Welt aus Korallen und Meerjungfrauen. Die Geschichte dieser magischen Welt, wo Erde und Wasser ihre jeweiligen Besonderheiten bei einer anmutigen Insel vereinten, spielte sich auf zweien verschiedenen Ebenen. Auf der einen Seite trieben Meerjungfrauen in mit Muscheln und Blumen angereicherten, plissierten Kleidern, die an sich verflüchtigende Flossen denken ließen, im Wasser. Bei Anzügen kamen femininer Stoff wie der Jacquardstoff in Muschelmusterung und maskuliner Schnitt zusammen. Auf der anderen Seite hatten mit Korallen bestickte Kleider und Blusen mit einem auffälligen unregelmäßigen, rot-weißen Vichy-Muster eine gewisse Erdung. Pailletten waren die Stars beziehungsweise Sterne, wenn sie sich auf weißer Spitze befanden, was sich bei gestreiftem Doppelstricke nicht anders verhielt. Große Schleifen verstärkten ein kleines Kleid, während die Spitze auf Baumwolle und Seidenorganza eine Gelbtönung annahm. Pastelltöne wie Rosa, Aquamarinblau und Himmelblau waren ebenso wie optisches Weiß ideal zur Ausmalung einer paradiesischen Lagune. Abendkleider und Hosen mit seitlichen Rüschen betonten die natürliche weibliche Form. Wie in jedem guten Märchen trugen die wunderschönen, verträumten Heldinnen handgefertigte kronenförmige Kopfbedeckungen.

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