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Durch die Linse

Die Mode und die Wollust

Geradeswegs – die Modenschau „RALPH & RUSSO“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 4. August 2017
Die besondere Fähigkeit, die Persönlichkeit und den Charakter eines Individuums genau zu erfassen und mit einem Werke getreu festzuhalten beziehungsweise wiederzugeben, ist ein Wert, der sowohl für die Photographie als auch für die Couture gilt. Die natürliche Schönheit in den Frauenporträts des amerikanischen Mode- und Porträtphotographen Richard Avedon, des britischen Photographen, Bühnenbildners und Graphikers Sir Cecil Walter Hardy Beaton sowie des britischen Mode- und Porträtphotographen Ronald William Parkinson Smith alias Norman Parkinson fesselte die Londoner Modeschöpfer Tamara Ralph und Michael Russo so, daß neue Kleiderentwürfe unumgänglich waren.

Am 3. Juli 2017 präsentierten Tamara Ralph und Michael Russo im Grand Palais in Paris das, was Tamara Ralph bei ihrer kreativen Federführung durch die „Linse“ wie ein Porträtphotograph erblickt hatte. Als Folge der Begeisterung für Licht und Animation schillerte die Couturekollektion für den Herbst und Winter 2017/2018, was ein eisminzgrüner oder perlmuttartig lavendelblauer Blitz, aquablauer Doppelsatin und Kristallnetze in rosengoldenen Tönen bewirkten. Die Stickerei stellte sich als Kristallisation wie eine bei der Photographie eingefrorene Bewegung dar. Weiße Devoréfedern, metallische Kettenbänder, fließende Drapagen, weite Hosenanzugshosen und über den Boden wischende Schleppen erschienen in einer Bewegungsunschärfe. Obendrein gingen Schuhe und Handtaschen auf eigene Entwürfe zurück. Seidensatin war das Material eines mit Seidenfäden, Kristallen und Glasperlen handverzierten petrolblauen Bustiers, wozu ein blaßrosa Tüllrock mit metallischer Durchbruchstickerei in Blumengestalt paßte. Doppelter Seidensatin stak in zweien Kaftanroben. Das erste Stück mit metallischen Federmotiven war taubengrau und hatte eine drapierte offene Rückseite; das zweite Stück war blaßminzgrün, wies eine Drapage rundherum auf und hatte eine Kruste aus silberner Kette sowie aus graubeige und goldenen Kristallen. Doppelt war der Seidensatin bei einer aquablauen Robe mit dreieckigem Schlüssellochausschnitte und asymmetrisch drapierten Falten. Eine Ballrobe aus doppelter Seidenduchesse, düsterrosa, schulterfrei und seitlich geschlitzt, hatte asymmetrische Falten.

Eine schwarz-weiße Ballrobe mit händig applizierten plissierten Blumen aus Seidenorganza hatte ein mit Kristallen und Glasperlen verziertes Oberteil aus Samte und Seidenduchesse. Aus Seidenorganza bestand ein mit einfarbigen Kristallen, Glasperlen und gewebten Bändern handbesticktes Cocktailkleid mit Falten und Rüschen. Dies galt ebenfalls für eine puderblaue, floral und metallisch handbemalte sowie mit winzigen Pailletten und Glasperlen bestickte Robe mit Rüschen am Ausschnitte. Eislavendelblau waren eine Ballrobe samt kristallenem Kettengeflechte als Oberteile und Rocke mit Blumenblattapplikation sowie eine gemeine Robe mit gefalteten Rüschen, metallischen Glasperlen und Kristallen in geometrischem Dessin. Seidenkrepp gab es in verschiedenen Farbtönen. Weiß waren als Kombination eine strukturierte Kimonojacke und eine Anzugshose, die beide Borten aus seidenen und samtenen Kordeln sowie Handstickereien mit Kristallen und Perlen aufwiesen. Eine Faltenrobe mit goldenen Seidendurchbrüchen in Blumenform, silbernen Pailletten in Blumengestalt und kleinen Kristallwürfeln war weiß. Seidenkrepp kam auch in Mischungen vor. Zusätzlich aus Seidengaze waren zwei blaßminzgrüne Roben mit handgestickten Silberfäden, winzigen Pailletten und Glasperlen, wobei das eine Stück handgemalte Laub- und Blumenmotive in metallischen Pastelltönen als weitere Ausschmückung hatte, wohingegen am anderen Stücke voluminöse Ärmel und eine drapierte Schleppe hingen. Federn und Kristalle an Kettenscheiben waren Gegenstände der händigen Applikationen an einem eislavendelblauen Minikleide aus zusätzlichem Seidenorganza.

Baumwollkrepp tauchte auch in verschiedenen Farbtönen auf. Ein weißes Schneiderkostüm mit Blumenblattapplikation enthielt einen drapierten Schößchenrock. Eine Leiste mit floralen Juwelenknöpfen befand sich an einem Jumpsuit mit goldenen Navettekristallen, Glasanhängseln und Devoré-Straußenfedern. Eine mit Kristallen, Perlen sowie Borten aus Seide- und Chenillekordeln handbestickte wie auch lagenweise gefaltete Robe hatte Capeärmel. Die Handstickerei an einer drapierten Robe erstreckte sich auf goldene Kristalle, Glasperlen, Pailletten in Laubgestalt und Durchbrüche in Blumenform. Bei einer anderen drapierten Robe, mit Kristallen, winzigen Pailletten und eisengrauen Ketten bestickt, war der Baumwollkrepp hingegen schwarz, während Illusionstüll das tief ausgeschnitte Décolleté bildete. Blaßrosa war er bei einem Jumpsuit nebst geschlitztem Cape, mit rosagoldenen Kristallwürfeln in Handstickerei eingefaßt. Aus Chiffon war eine aprikosengelbe, gefaltete und asymmetrisch drapierte Robe samt konturiertem Oberteile. Puderblau waren eine Chiffonrobe samt kristallenem, an den Kanten mit Kristall- und Perlenstickerei verbrämtem Kettenbustier sowie ein überliegendes Chiffoncape. Ein Kettengeflecht aus silbernen Kristallen diente einer lavendelgrauen Robe aus Chiffon und fließender, metallischer Spitze als Drapage. Bei einer anderen Robe aus Chiffon war das kristallene Kettengeflecht als Drapage champagnerrosa wie die Robe selbst. Ein Kettengeflecht war an weiteren Roben vorhanden. An der weißen und goldenen Robe war es mit Glasperlen verflochten. Die rauchig-malvenrote und kristallene Robe hatte eine schwarze Krause aus Chantilly-Spitze als Auflage. Zur metallisch-nachtblauen und kristallenen Robe mit Glasperlen und Devoré-Straußenfedern kam eine schwarze Illusionstüllauflage hinzu.

Tweed war der Stoff für zwei Schneiderkostüme mit Juwelenknöpfen. Das erste Stück war schwarz und weiß und hatte einen asymmetrischen, schulterfreien Kragen; das zweite Stück hatte weiße und goldene Pailletten. Weiß, amethystblau und silbern war die Zibeline einer kurvig drapierten sowie mittels kunstvollen Blumendruckes und plissierter Blumen aus Seidenorganza verzierten Robe mit Glockenärmeln. Tüll war ein häufig vorkommendes Material. Schwarz waren erstens ein Minikleid mit Rüschen, silbernen aufgebügelten Pailletten, Silberfäden, Kristallen und Glasperlen, zweitens eine Robe mit Rüschen, silbernen aufgebügelten Pailletten und von Kristallen bedeckten, floralen Broschen sowie drittens eine Ballrobe samt mit rosagoldenen Bouillons, Kristallen und Perlen handbesticktem Oberteile und Rocke mit gefalteter, floraler Applikation. Weiß war der Tüll bei einer Robe mit kaskadierenden Seidenfransen, Silberkette, metallischer Durchbruchstickerei sowie graubeige und goldenen Kristallen. Straußenfedern in mehreren Lagen bedeckten ein eisblaues Kleid samt Oberteile mit goldenen Kristallen im Sternenstaubdessin. Schattiertes Lavendelblau war der Ton einer plissierten Ballrobe samt kristallenem Kettengeflechte als Oberteile und voluminösem Stufenrocke. Ein eisengraues Cocktailkleid, mit Pailletten, Kristallen und Glasperlen handbestickt, hatte noch Kammuscheln aus Metallorganza und dreieckige Aufbügelmotive als Applikation. Zu einer blaßrosa Robe gehörte ein schulterfreies Cape, mit Silberfäden und Kristallen handbestickt sowie mit Devoré-Straußenfedern bereichert. Bei einer weiteren blaßrosa Kombination aus Robe und Cape mit Kristallen und Silberkette fand Illusionstüll eine Verwendung.

Rosagoldene, fließende metallische Spitze war das Material eines Cocktailkleides mit Folienfransen und Devoréfedern und eines Minikleides mit Bahnen kristallener Kettengeflechte. Ein mit Kunstperlen und Fransen besetztes goldenes Minikleid aus Spitze hatte zugeschnittene Vinylmotive und Glasperlen als Anhängsel. Ein Fischschwanzrock prägte eine mit Kristallen, Perlen und blaßgoldenen Bouillons versehene, blaßfleischfarbene Robe aus geometrischer Spitze. Chantilly-Spitze erschien mehrmals, und zwar unter anderem dreimal in Platintönung. Lagen aus minzgrünen Fransen, perlmuttartigen Kunstperlen und Blumenpailletten kennzeichneten eine Robe. Ein goldenes, kristallenes Kettengeflecht bildete das Bustier für eine mit Straußenfedern bestückte Robe samt Schulterpartie in Pompomform. Zu einem Cape gehörte ein mit graubeige Kristallen, Glasperlen und kleinen Blumenpailletten handbesticktes Godetkleid mit minzgrünen Chiffonrüschen. Reiherfedern, silberne Ketten, rosa Opale und goldene Kristalle zierten eine rosenrote Robe mit metallischer Durchbruchstickerei. Straußenfedern, Glasperlen und gestickte Blumenblätter aus Seidensatin schmückten eine zusätzlich aus Seidenorganza bestehende Robe, die metallisch-saphirblau war. Das mit silbernen und goldenen Bouillons, blumigen Seidendurchbrüchen, Pailletten sowie kleinen perlmuttartigen Perlen handbestickte, champagnergelbe Hochzeitskleid bestand gleichfalls aus Chantilly-Spitze und hatte einen Überrock aus doppelter Seidenduchesse; der tüllene Kopfputz war kunstvoll bestickt.

Der Beiruter Modeschöpfer Tony Ward zeigte seine Kollektion „GÉOMÉTRIE D’UNE FLEUR“ in der Kirche Oratoire du Louvre. Da sowohl die Geometrie – um die Menschen herum in der Natur – als auch die Welt der Blumen seit jeher für ihn Inspirationsquellen waren, beruhten seine Entwürfe diesmal auf einer Mischung aus beiden Bereichen. An den einzigartigen, komplex erdachten, aufwendig gestalteten und zart handgefertigten geometrischen Blumenmuster zeigte sich Tony Wards ganze Faszination von der Präzision der Blumenformen mit ihren komplizierten Umrissen. Ätherische Seiden brachten organische Volumen hervor. Lebendige Farbtöne wie Burgunderrot und Jadegrün kamen ebenso vor wie Rosa und Silber in weichen Schattierungen; zeitlos waren daneben Schwarz und Weiß.

Unter dem Motto „PREMIER ORACLE“ dankte der Pariser Modeschöpfer Julien Fournié in der Kirche Oratoire du Louvre denjenigen Damen, die seine Kundinnen geworden waren. Fernab kurzlebiger Trends und „vulgärer“ Aufmachungen für die Roten Teppiche dieser Welt stellten sie berechtigterweise echte Modeikonen dar. Julien Fourniés Entwürfe sollten dazu beitragen, die Wirbelsäule seiner Musen aufzurichten, um die Eleganz zeitloser Haute Couture in zeitgemäßer Art und Weise zu definieren, und zwar mit einigen zarten gotischen Akzenten. Die Weiblichkeit trat überall hervor. Die Silhouette erreichte die Spitze bei den körpernahen Schnitten. Kimonoärmel, welche die Büste formten, gaben die Geste der Verwandlung sinnlich wieder. Rüschen und Umfang von der Hüftlinie abwärts bis zum unteren Ende der Kleidungsstücke sorgten für den richtigen Schritt in der Bewegung. Das gleiche Bewegungsmuster kam bei Mänteln und Trenchcoats vor. Schimmernde, bestickte Stoffe waren oft Unterkleidern vorbehalten, welche nur durch den Filter der hauchdünnen „Negligés“, die sie bedeckten, erkennbar waren. Wenn die dreiviertellangen Ärmel die nackte Haut manchmal nicht freigelegt hätten, hätte bloß eine Schicht nackten Tülles, lediglich mit schwarzen Pailletten an „strategischen“ Stellen bestickt oder mit schwarzer Spitze in geometrisch abfallenden V‑Ausschnitten geschmückt, den ganzen Körper verschleiert. Goldene Jacquardstoffe wiesen geometrische Lotusmotive auf oder auf den Tachismus der 1940er Jahre hin, beispielsweise an dem großen, schwarzen, mit Goldpailletten bestickten Taftkleide. In Goldtönen erschienen im Stile des britisch-amerikanischen Modeschöpfers Charles Wilson Brega James Sicherheitsnadeln am Oberteile eines fleischfarbenen Kleides aus Seidenfaille.

Julien Fournié bevorzugte bedeckte Schultern, geknüpfte Drapagen und Neuinterpretationen antiker Juwelen, deren Materialien Markasit, Onyx und massives Silber waren. Bei den bodenlangen Kleidern schwebte der Saum immer ein paar Finger breit über dem Boden, um der Wollust einen flüchtigen Blick auf die weiblichen Glieder zu gewähren, als ob Julien Fournié die Verse des französischen Dichters Alfred Louis Charles de Musset-Pathay alias Alfred de Musset in die Tat umgesetzt hätte: „Und wenn man einen Blick auf den Fuß bekommt, kann man sich das Bein vorstellen. Und jeder weiß, daß sie einen bezaubernden Fuß hat.“ Sandaletten mit T‑Riemchen und diskreter Sohle waren die Regel. Meistens tauchten sie in verschiedenen Schattierungen der Fleischfarbe auf; oft leuchtete die gesamte Oberfläche der weißgoldenen, ledernen Absätze in der für Julien Fournié typischen Form auf. Kurze Haare betonten die Augen genau wie die auf den Augenlidern placierten Federn. Hier und da verdeckte eine Federkrone das Gesicht, einem Bleistiftstriche des Couturiers nicht unähnlich, um sich dessen geheimnisvolle Modezeichnungen an den Modellen widerspiegeln zu lassen. Für die Braut gab es einen weiten, reichhaltigen Hofmantel in Fleischfarbe zu einem elfenbeinweißen Etuikleide aus Spitze mit geometrischen Einlagen, um die Körperkurven zu aufzuwerten. Die Federkrone, welche die Augen maskierte, sollte die Braut nur abnehmen, um den Mann an ihrer Seite, mit dem sie ihr Schicksal teilen wollte, herzlich zu umarmen. Seidenfaille, Mohairwolle, Jersey und Spitze waren übrigens erstmals in der Materialauswahl.

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