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Triumph der Schönheit

Die Mode als modernes Märchen

Streifen, Punkte, Eiskristalle – die Mannequins Monika Rostek, Lucinda Schaefers, Sarah Blakemore und Lis van Velthoven vor der Modenschau „YANINA COUTURE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 3. August 2017
Jeder Mensch hat eine Lieblingsgeschichte. Für die Moskauer Modeschöpferin Yulia Yanina war es das Kunstmärchen „Die Schneekönigin“ des dänischen Dichters und Schriftstellers Hans Christian Andersen. Die Erzählung, in der zwei Welten, nämlich die wirkliche und die magische, nahtlos miteinander verflochten sind, diente Yulia Yanina gleichsam als Drehbuch für neue Kleiderentwürfe.

Es war jedoch nicht das Konzept der Couturekollektion für den Herbst und Winter 2017/2018, die Märchenmaid Gerda zu porträtieren, sondern es sollte eine moderne Gerda, intelligent, romantisch, perfekt ausgebildet und in ihrem Traume lebend, entwickelt werden. Es ging um eine Reisende auf der Suche nach wahrer Liebe und Leidenschaft. Da sich das Märchen im wesentlichen um den Kampf zwischen Gutem und Bösem drehte, spielten Kleider in der Art von Schuluniformen auf die brave Gerda an, wohingegen kalt wirkende und attraktive Kleider der unverfrorenen Schneekönigin zuzuordnen waren. Auf Personen, die Gerda im Märchen begegnen, beispielsweise auf einen kleinen Räuber, ein finnisches Weib oder eine Dame aus Lappland, deuteten Kleider mit „Formen für Heldinnen“ hin. Die Kollektion enthielt überdies Kappen, Hauben und Handschuhe. Als Verzierung fungierten noch Motive in Gestalt verzweigter Rentiergeweihe. Die Natur war ebenfalls eine Inspirationsquelle. Die Kollektion vermittelte die ganze Schönheit der russischen Winter, zumal da Yulia Yanina die Herbst-Winter-Saison sehr schätzte. So wie in den Märchen stets das Gute über das Böse siegte, war es Yulia Yanina wichtig, daß zu guter Letzt zumindest bei ihrer Kollektion, die sie am 3. Juli 2017 im Hotel „THE WESTIN PARIS“, genau gesagt in dessen Salon Impérial, präsentierte, die Schönheit triumphierte.

Die in Paris mit einem Atelier beheimatete Marke „HYUN MI NIELSEN“ hatte die in Korea geborene und in Dänemark aufgewachsene Modeschöpferin Christine Nielsen im Jahre 2016 gegründet, nachdem sie viele Jahre lang für die Marken „ALEXANDER MCQUEEN“, „BALENCIAGA“ und „GIVENCHY“ gearbeitet gehabt hatte. Da nach ihrer Ansicht in der Bekleidungsindustrie der Konsumaspekt zu viel zählte und sich die Modewelt allzu schnell bewegte, setzte sie seither auf Akribie bei ihren Entwürfen wie auch auf die Langlebigkeit der entweder in Frankreich oder in Italien gefertigten Einzelstücke sowie der im eigenen Atelier handgefertigten Sonderstücke. Nach dem Debut am 26. Januar 2017 in einem Appartement nahe dem Triumphbogen zeigte Christine Nielsen am 3. Juli 2017 in der Veranstaltungsstätte „LES SALONS HOCHE PARIS“ ihre neue Kollektion, die unter dem Motto „Summer Solstice“ der Lauf der Geschichte durchzog. Die Welt der Vorstellung und die tatsächliche, praktische Welt vermengend, wollte sie mit den Kleidungsstücken sensibel Geschichten erzählen, um Träger und Betrachter emotional zu bewegen. Es ging im Hinblicke auf die Misere zeitgenössischer Mode um eine weibliche Person am Schnittpunkte der Romantik und der Moderne; sie war von der neuen Welt, fand aber Trost in der alten.

Um den skandinavischen Mittsommer, die Volkstrachten, das goldene Zeitalter der Haute Couture, die amerikanische Sängerin Eunice Kathleen Waymon alias Nina Simone in einer Netztracht, die spitzen Brüste der 1950er Jahre und die Punks kreisten Christine Nielsens Gedanken. Ähnlich wie bei der Debutkollektion offenbarte sich die Dichotomie zwischen Unschuld und unwiderstehlicher Erotik in Rüschen, graphischen Tüllteilen und perforierten Gittern. Christine Nielsens nostalgische Begeisterung für die Couture sowie Vorliebe für das Handwerk und Savoir-faire französischer Mode standen einem Übergange der Couture in Bekleidung für jeden Tag nicht entgegen. Ein Trapezkleid mit übergroßen Hammelkeulenärmeln bis zum Boden stellte insofern verkehrte Couture dar. Andersherum stieg Arbeitsbekleidung zu Couture auf, wenn ein die Spuren der Geschichte aufweisender alter Serge de Nîmes in einem angepaßten Top stak. Ein weiter Mantel mit einer Bahn Rüschen auf der Rückseite stellte Funktionsbekleidung mit skulpturalen Überraschungen dar. Gitterartige Glockenhosen wiesen auf Christine Nielsens allgegenwärtiges Interesse an den 1970er Jahren hin. Zeitgemäß und auch sinnlich waren demgegenüber schwarze Lackhosen mit einem breiten weißen Reißverschlusse.

Das Nebeneinander von Arbeits- und Gesellschaftsbekleidung in Schwarz, Elfenbeinweiß, Rot, Gelb und Jeansblau machte die Kleidungsstücke sowohl tragbar als auch außergewöhnlich. Klassische Couturestoffe, bestickte Spitze, Moiré, Tüll und Taft inbegriffen, befanden sich mit schwarzem Lacke, bedrucktem Schlangenleder und Baumwolljacquard im Ausgleiche. Alle Stoffe stammten aus Frankreich. Die Art und Weise der Präsentation ging auf Christine Nielsens skandinavischen Hintergrund zurück. Ein Mittsommermaibaum mit all seinem phallischen Ruhme symbolisierte die Sommersonnenwende, wenn die magischen Elemente am stärksten sind. In der Regel drückte weiße Kleidung eine unnachgiebige Freude aus. Bei Christine Nielsen verwandelte sich das Ritual in einen düsteren Reigen mit einer Bande von Punks. Christine Nielsen arbeitete für das Schuhwerk mit der Schuhmodeschöpferin Zoe Lee und für den Schmuck mit der Schmuckmodeschöpferin Catalina Brenes zusammen.

Mit der Kollektion „L’Utopia“ führte der Pariser Modeschöpfer Ylan Anoufa seine Gäste in der Kunstgalerie „STUDIO 57“ zu einem Orte, wo sich die ungewöhnliche Kindheit und ungewisse Zukunft mischten. In diesem Jahre gab es für ihn keine strikte Trennung in zwei Saisons, weshalb dieser Kollektion für den Herbst und Winter 2017/2018 dieselben Ideen zugrunde lagen wie der Kollektion für den Frühling und Sommer 2017 unter dem Motto „When Art Meets Fashion“. Für Ylan Anoufa war der Teddybär, der für Hoffnung, Selbstlosigkeit und grenzenloses Vertrauen stand, nach wie vor ein Symbol der Kindheit, so daß dieser das Leitmotiv der Kleiderentwürfe blieb. Hinzu kamen Malerei und Bildhauerei als Inspirationsquellen. Schwarz und Weiß als Basis der Kollektion erhielten eine Aufwertung durch Flicken mit Botschaften der Liebe, des Glückes und der Zukunft. Die von Ylan Anoufas eigenen Skulpturen beeinflußten Figuren auf geometrischer Grundlage waren wieder eine Annäherung an den Glam-Rock; luxuriöse, funkelnde Steine, Stickereien, Pop-Art-Zeichnungen und dreidimensionale, technische Tiermotive sowie Comic-Bilder bereicherten die Oberflächen der Stoffe. Ylan Anoufa kombinierte aufs neue Leder mit Seide und Serge de Nîmes. Mit der Textur experimentierte er in einer mutigen Weise, während für die Maße eine moderne Sensibilität galt. Er wollte den Gästen eben die Welt der Schönheit durch seine Augen zeigen.

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