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Die Achse des Schönen: Paris–Moskau

Byzantinismus in der Mode

Hektik infolge Verspätung – ein Mannequin vor der Modenschau „VALENTIN YUDASHKIN“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 24. Mai 2017
Was für ein günstiger Umstand ist es, daß es mehr als eine Modewoche gibt, denn eine wahrlich gute Kollektion läßt sich durchaus mehr als einmal vorführen! Der Moskauer Modeschöpfer Valentin Yudashkin präsentierte seine Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2017/2018 sowohl am 6. März 2017 im Palais de Tokyo in Paris als auch am 21. März 2017 in der Veranstaltungsstätte „Gostinij Dwor“, einer ehemaligen Markthalle, in Moskau. Zwischendurch, genau gesagt am 8. März 2017, erfolgte noch die Präsentation einer Uniformenkollektion im Kremlpalaste.

Hinter dem russischen Modehause lag eine Auffrischung und Neuausrichtung zusammen mit dem italienischen Architekten Roberto Baciocchi. Das neue Konzept beinhaltete die Herstellung von Kleidungsstücken tadelloser Qualität, nicht nur um sich für Galaanlässe zu eignen, sondern auch um alltäglichen Bedürfnissen vor allem junger Frauen zu entsprechen, um dann an der Seite mächtiger Männer unglaublich schön auszusehen. Eine Neuerung war ebenfalls, daß Valentin Yudashkins Tochter Gala Yudashkina, Absolventin der Parsons School of Design in New York im Hauptfache Kunstgeschichte und im Nebenfache Film und Photographie, nunmehr als künstlerische Leiterin des Modehauses die Entwicklung der Kollektion verantwortete. In dieser Eigenschaft stand die neue Kollektion unter dem Einflusse der Evolution und multidimensionalen Natur der Herrenbekleidung des zwanzigsten Jahrhundertes, so daß sich maskuline Formen und feminine Eleganz für ausdrucksvolle und sinnliche Aufmachungen zusammenfanden.

Die wichtigen Kleidungsstücke der Kollektion waren gestrickte einfache Pullover, Kapuzenpullover mit handgemachten Veredelungen aus Wolle, Overalls, Herrenhosen sowie übergroße Mäntel und Jacken mit großen Taschen. Überdies erschienen weite Hosen, hoch taillierte Röcke, Cocktailkleider in A‑Linie sowie gerade und angepaßte Jacken, wobei Ornamente, Borten und handgemachte Vogelmotive einige dieser Stücke schmückten. Seidentüll, mit Sprühfarbe gefärbter Tüll, Seidenorganza und Spitze waren die Stoffe für üppige, lange Roben, welche Drapagen, bauschige Wellen, Pailletten und Stickereien zierten. Eine Folge der Hinwendung zur byzantinischen Kunst waren Stickereien mit altgoldfarbenen und bronzefarbenen Steinen, Perlen und Pailletten in Gestalt alter Ornamente und Muster. Pailletten, Goldfaden- und Wollfadenstickerei sowie Metallgeflechte waren andere Elemente der Ausschmückung. Wolle, und zwar auch gemustert, Leder, perforierter Samt und künstliche, mit Sprühfarbe gefärbte Stoffe, die entweder einzeln oder als Mix Verwendung fanden, kamen auch vor. Die hauptsächlichen Farbtöne wie Schwarz, Graphitgrau, Edelgrau, Bronze und Altsilber waren moderat. Der zurückhaltende Eklektizismus brachte zarte, sinnliche und starke Bilder hervor.

Die neuen Kollektionen der Münchener Marke „ESCADA“ mit ihrem kreativen Kopfe Daniel Wingate waren am 6. März 2017 und 7. März 2017 in dem gleichen Pariser Appartement wie in der letzten Saison zu sehen. Die Kollektion der Hauptlinie ging auf die legendären Frauenfiguren des britischen Regisseurs Alfred Hitchcock zurück. Ein Mantel und ein Cape aus Kaschmirwolle, ein Hosenanzug sowie eine rote Smokingjacke waren die wichtigen Stücke der Kollektion. Moderne Drucke und Pelzdetails hatten eine wichtige Rolle bei den Kleidungsstücken für den Tag, wohingegen kleine Federdetails und zarte Silberbordüren die Kleidungsstücke für den Abend zierten. Im Zentrum stand allerdings der Strick; weitere Materialien waren Seide und Lammfell. Die Stoffe waren meliert oder hatten ein Fensterrahmenmuster. Die Farbtöne waren mal kräftig, mal natürlich, mal pastellig. Eine grundlegende weiche A‑Linie, mit engen oder voluminösen Kleidungsstücken variiert, prägte die Silhouette. Die Kollektion der Linie „ESCADA SPORT“ in ihrer ungezwungenen, lässigen, sportlichen Art paßte zu vielen Anlässen. Sie beinhaltete vor allem leichte Daunenjacken, luxuriöse Lammfellmäntel, bequeme Stricktops und Flanellhosen. Strick bildete auch hier den Schwerpunkt. Verschiedene Jeansstoffe, Spitze auf Seidensatin und schimmernde Pailletten vervollständigten das Bild. Durch die ganze Kollektion zogen sich feminine Streifendetails. Die Schlangendrucke in gedeckten Farbtönen waren minimalistisch. Schwarz und Weiß bestimmten das Farbenspiel. Kräftiges Gelb, blasses Rosa und helles Blau traten hinzu. Schuhe gab es sowohl mit flachen als auch mit hohen Absätzen.

Die Schweizer Modeschöpferinnen Cosima Gadient und Christa Bosch zeigten am 6. März 2017 erstmals in Paris, und zwar im Palais de Tokyo, eine neue Kollektion ihrer Marke „Ottolinger“. Unter dem Motto „RECAP“ suchten sie nach der Identität hinter der Dichotomie von Kraft und Zartheit, Sinnlichkeit und Klugheit, um den „dystopischen Transmetropoliten“ zu entkommen. Ihr besonderer Sinn für Humor zeigte sich in Experimenten, die zu einer Komplexität bei Materialien und Mustern führten. Ausbrennertechnik und Schnurbatik war Kleidern, Pullovern und Shirts anzusehen. Handgefertigte Filzmäntel und Filzröcke hatten Fransen. Das Schottenkaromuster war an Damenkostümen und Röcken vorhanden. Jeansjacken und Jeanshosen in japanischer Art kamen hinzu. Lehm war das Material für handgemachte Handtaschen. Kettige Armbänder und Kolliers sowie Anhänger waren weitere Accessoires.

Die neue Kollektion ihrer Marke „JATUAL“, welche die ukrainischen Modeschöpferinnen Julia Lauta und Ksenia Kireeva im Jahre 2015 in Paris gegründet hatten, stellten sie in der Kunstgalerie „Galerie Résidences“ vor; offen war dieser Schauraum vom 2. März 2017 bis zum 7. März 2017. Bei ihrer Vorliebe für Leder und ihrer Aufmerksamkeit für Details lautete das Credo: Stil ist mehr als Mode. Inspirationsquellen waren die Schönen Künste und die Natur mit der ihr eigenen Schönheit. Es ging um einzigartige, vielseitige, frei kombinierbare und handwerklich sehr gut gemachte Kleidungsstücke für eine Draufgängerin, die, gleichviel ob sie sich in Kiew oder New York aufhielt, überall spirituell zu Hause war und mühelos den Sprung vom Badezimmer auf die Tanzfläche schaffte. Um schick auszusehen, ohne bourgeois zu sein, steckte unter einem aufwendigen Trenchcoat aus Leder ein bequemer Pullover, während sich eine kecke Jeanshose mit einer züchtigen Rüschenbluse paarte. Der rebellische Geist einer Garçonne offenbarte sich an kessen Accessoires; zur Auswahl standen ein Barett, ein Beutel aus Pythonleder am Bandolier und die berühmte Trikolorenrosette als Kokarde. Weitere Materialien für eine leichte, elegante und feminine Silhouette waren Baumwolle, Schaffell und Seide. Die Farbpalette umfaßte Lippenstiftrot, Schottergrau und Schlammschwarz sowie selbstverständlich Jeansblau.

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