▌EN

Beinhart wie ein Chopper

Mode mit Premierenfieber

Faszinierendes Spielzeug – die Mannequins Angel Rutledge, Naki Depass und Tami Williams vor der Modenschau „Redemption“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 20. Mai 2017
Aus einer Freizeitbeschäftigung kann eine Berufung werden. So war es im Jahre 2013 den Italienern Gabriele Moratti, Vanni Laghi und Daniele Sirtori mit ihrer Leidenschaft für Motorräder der Bauart Chopper ergangen, als sie gemeinsam die Marke „Redemption Chopper“ gegründet hatten. Die Marke stand seither nicht bloß für Bekleidung, sondern vielmehr für einen Lebensstil, der Mode, Motorradliebhaberei und menschenfreundliches Engagement vereinen sollte. Rock’n’Roll und Edelpunk prägten den Kleidungsstil. Mit einem solchen „Biker chic“ sollte man flirten, um aus Kultstücken wie der ledernen Perfectojacke mit Persönlichkeit und Sinnlichkeit ein eigenes Ding zu machen.

Von der Prêt‑à‑porter-Linie der Marke mit dem derzeitigen Namen „Redemption“ gab es bisher jährlich zwei Kollektionen. Die neue Couturelinie erlebte ihre Premiere auf einer Modenschau am 23. Januar 2017 in Paris. Daneben beinhaltete die Accessoireslinie Schuhe, Gürtel, Schals, Handtaschen und Brillen, die in Zusammenarbeit mit der in Padua beheimateten Brillenmarke „JPLUS“ entworfen und gefertigt worden waren. Überhaupt wurden alle Kleidungsstücke nur in Italien hergestellt. Nunmehr war Gabriele Moratti alias Bebe Moratti, nebenbei der künstlerische Leiter und Photograph der Werbekampagnen, der kreative Leiter. Am 3. März 2017 präsentierte er im Hotel „Shangri-La“ in Paris die Prêt‑à‑porter-Kollektion für den Herbst und Winter 2017/2018. Leder war das Hauptmaterial, das an Kleidern, Jacken und Hosen zu finden war. Weitere Materialien waren schimmernder Brokat und andere schillernde Stoffe. Röcke hatten hingegen Spitzen- und Tüllpetticoats. Hautenge Hosenanzüge und lange, sinnlich geschnittene Kleider waren ein Hingucker. Ein Blickfang war das sublim funkelnde, rote Kleid mit einem Rückenausschnitte, der die zahlreichen Tätowierungen des australischen Mannequins Catherine McNeil freilegte.

Für die Marke „INGIE PARIS“ war es eine Premiere, als die Pariser Modeschöpferin Ingie Chalhoub erstmals eine Prêt‑à‑porter-Kollektion auf einem Laufstege, und zwar im Hôtel d’Evreux, vorführen ließ. Paris, die Stadt des Lichtes, in der Nacht war das Thema. Der Kontrast zwischen der künstlichen Beleuchtung und den unzähligen Schattierungen der Nacht zog sich durch die Kollektion. Düstere und dennoch sinnliche Farbtöne wie Schwarz in verschiednen Nuancen, Tintenblau, Amaranthrot, Zinkgrau und Bronze erhielten ebenso wie Crèmeweiß glänzende metallische Akzente. Zu hängenden Capes und bodenlangen Röcken aus Seidenkrepp sowie zu mit Pailletten bestickten Tüllkleidern mit ihren romantischen, großzügigen Silhouetten wie in den 1970er Jahren bildeten Zigarettenhosen im rockigen Minimalismus der frühen 1980er Jahre einen weiteren starken Kontrast. Ein Trenchcoat und ein langer Rock waren aus glänzender Pekingstreifenseide. Blumige Jacquardmuster mit metallischer Note in Gold- und Mandarinentönen strahlten Wärme aus und belebten sinnliche Röcke. Hosen und Blusen aus Seidenlamé und -krepp glitten am Körper entlang, wobei sich der nachtblaue französische Lamé wie eine zweite Haut anfühlte. Auf minimalistischen Mänteln und Hosen glänzte metallischer Tweed. Die Leichtigkeit der Seide zeigte sich am besten am Crêpe-Envers-Satin. Lack bei den Details spielte auch mit dem Lichte. Alle Stoffe waren fließend und luftig, manche sogar auch durchsichtig. Schaubenzüge betonten bei Jumpsuits und Blusen die Taille, während sie an einem Brokatparka die Rückseite ausrichtete. Brillante Fliegen und Libellen entstiegen bestickten Broschen, wohingegen übergroße Perlen als Markenzeichen geknöpfte Ärmel und langkettige Halsketten bedeckten. Eine mit übergroßen Perlen bestückte Anhäufung von Kristallen aus blaßgelben und weißgoldenen, echten mineralischen „Wüstenrosen“-Formationen war ein weiteres Juwel der Kollektion. Perlen und asymmetrische Rüschen schmückten überdies Schuhe aus Seide und Jacquardstoffen.

Nach der Gründung ihrer gemeinsamen Marke „SIRLOIN“ in Schanghai stellten die japanische Modeschöpferin Mao Usami und die schwedische Modeschöpferin Alve Lagercrantz in Paris ihre erste Kollektion vor. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie waren sie um die halbe Welt gereist für die Premiere in einem öffentlichen Toilettenraume, wenngleich es sich um ein gut eingerichtetes und gepflegtes Etablissement aus den 1930er Jahren neben der Pfarrkirche St. Maria Magdalena („La Madeleine“), das nach sechsen Jahren endlich wieder zugänglich war, handelte. Mit gleicher Ironie merkten sie noch an: „Gleichviel ob es ein Tag ist, im Bette zu bleiben oder auf die Erde zu wichsen, ermutigen wir alle, ihre eigenen verdrehten Gedanken und seltsamen Gewohnheiten zu akzeptieren. Je schlechter, desto besser!“ Um die „intellektuellen“ Fragen, die sich jedes „SIRLOIN“-Mädel in den knappen Momenten im Toilettenraume, einem Ideen freisetzenden Orte, stellte – trivial und albern, aber brillant –, drehte sich die Kollektion. In Alve Lagercrantz’ und Mao Usamis Vision verschmolzen Prêt‑à‑porter-Bekleidung und Lingerie für einen vollständigen Kleiderschrank, um alle Bedürfnisse abzudecken. Die Kleidung sollte sozusagen von innen nach außen gekehrt werden. So hübschten Unterwäschedetails die als Lieblingsaufmachung geschätzten Kleidungsstücke für draußen auf, was für Alve Lagercrantz und Mao Usami der wahre Luxus war. Stoffe und Dessins paßten zur Vorliebe für die Klamotten alter Männer. Karierter „Vintage“-Cord, Kaschmirwolle und mit Sande gewaschene Seide aus China waren die Basis für haarige Tuche, beispielsweise für Pullover, samtige Netze und Tuche mit Toilettenpapiermustern. Da für die Marke Faulheit und dumme Eleganz überaus bedeutsam waren, verlangte die Kollektion den potentiellen Trägerinnen ein besonderes Vertrauen ins ironische Konzept ab.

Weitere Bilder