▌EN

Elisabetta Franchi, Eva Perón und die Massenmobilisierung

Die Mode und die Magie

Glamour vergangener Zeiten – die Modenschau „ELISABETTA FRANCHI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 12. Mai 2017
Ein Modeschöpfer kommt beim Entwerfen und Gestalten nicht ohne ein bestimmtes Frauenbild aus. Die ideale Frau war für die Modeschöpferin Elisabetta Franchi aus Granarolo dell’Emilia nahe Bologna selbstbewußt und emanzipiert, um ihren eigenen Stil mit kostbaren Details zu verfeinern. Für die Kollektion für den Herbst und Winter 2017/2018 schritt in Elisabetta Franchis Vorstellung eine solche Diva am Ende der 1940er Jahre auf schwindelerregend hohen Stilettopumps im Rhythmus eines argentinischen Beats zuversichtlich und entschlossen durch die belebten Pariser Straßen vorbei an verrauchten Kneipen und Bistros, wo sich verschiedene Kulturen und Stile mischten, um exotische und geheimnisvolle Atmosphären zu schaffen. Elisabetta Franchis Inspiration war die argentinische Schauspielerin und Politikerin María Eva Duarte de Perón alias Eva Perón alias Evita, eine Stilikone und ein Symbol der Unabhängigkeit, die mit ihrer Ausstrahlung und erstaunlichen Macht imstande gewesen war, die Massen zu gewinnen.

Eine Mischung maskuliner und superfemininer Linien, welche mit verschiedenen Druckkombinationen spielten, prägte die Kollektion. Eine sehenswerte Kombination, gleich zur Eröffnung der Modenschau am 25. Februar 2017, bildeten ein weißes Hemd mit einer großen, schwarzen Schleife im Dandystile und eine maskuline Hose mit hoher Taille, wofür die Kanadierin Mikhaila Rocha alias Coco Rocha genau das richtige Mannequin war. Die Bleistiftröcke, die bis unters Knie reichten, griffen die besagte Grundform auf. Ein solcher Rock wurde mal mit einer Bluse mit Kristallen, mal mit einem Pullover mit gewellten Rändern kombiniert. Ein transparenter Rock wurde hingegen mit einem zweireihigen Smokingjackette gepaart. Nadelstreifen standen im Mittelpunkte bei den Jacken und Hosen, die einen maskulinen Schnitt hatten, der die Taille definierte und den Stoff mit faszinierenden zeitgenössischen, orientalischen Dekorationen über die Beine fließen ließ. Pailletten ließen die langen Kleider aufleuchten. Andere Kleider wiesen Kunstpelzeinsätze auf. Wahre Hingucker waren die bauchfreien Tops mit charakteristischen Ausschnitten, Schlupfröcke und Röcke mit Schlitzen.

Fließende Blusen mit breiten Ärmeln, Daunenjacken und kimonoartige Kunstpelzmäntel in Maxilänge mit Gürteln komplettierten das Kleidersortiment. Stickereien voller Licht mit Kirschblüten- und Reihermotiven schmückten sowohl Kleidungsstücke als auch Accessoires. Samtene Taillengürtel waren für die Mäntel wichtige Accessoires. Elegante breitkrempige Hüte verdeckten den Blick. Handschuhe und Juwelen entsprachen der „Retro“-Vorgabe. Auffällige Juwelenapplikationen oder Schleifen zierten die Kunstpelzstolen in Pastellfarben. Samt, Wildleder und Satinseide waren die Materialien für die Plateauschuhe. Sehr kleine Handtaschen in hellen Farbtönen sorgten mit ihrem Chic für einen zusätzlichen Charme. Kontraste sowie Kombinationen kräftiger Farben in einer Mischung aus Mustern und Tönen kennzeichneten die Kollektion. Die Palette umfaßte im wesentlichen zartes Hafergelb, Vanillegelb, Antikrosa und Jadegrün, womit sich viel Schwarz und wenig Rauchblau geheimnisvoll und sinnlich mischten. Um auf die Einführung der neuen Modelinie „EF La mia Bambina“ hinzuweisen, erschienen manche Stücke der Hauptlinie zugleich in einer Version geringerer Größe auf dem Laufstege im Hofe der Militärschule Teulié in Mailand, auf daß Mütter und Töchter das gleiche Modell tragen könnten.

Der portugiesische Modeschöpfer Carlos Gil stellte seine Kollektion „MAGIC TALE“ im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci vor. In dieser Saison mit echten Kombinationen und sauberen Schnitten befand man sich in einer magischen Erzählung, die einen träumen und mit Mode spielen lassen wollte. In der zauberhaften Welt mit naiven Wesenszügen und „Retro“-Einflüssen tauchten Drucke mit Kindermotiven und Acrylapplikationen, die sich mit geometrischen Mustern in verschiedenen Größen verbanden, auf. Die Ton‑in‑Ton-Strukturen setzten Proportion und Bewegung in ein neues Bild. Strukturen, Transparenzen und Farbtöne überlappten sich; Auflagen erschienen Lage für Lage. Einfache und spontane Kombinationen bewirkten ein perfektes Erscheinungsbild, indem sportliche Details einen luxuriösen urbanen Stil ergaben. Die Freizeitkleidung hatte aufs neue eine bedeutende Rolle. Der Trainingsanzug sollte in dieser Saison das wichtigste Stück sein. Weit geschnittene Hosen und lässige Kleider aus edlen Materialien kamen hinzu. Für eine lässige, schicke Stimmung hatten die übergroßen Mäntel mit großen praktischen Taschen in matten Farben einen Taillengürtel. Die Farbpalette beinhaltete Korallenrot, Pulverrosa, verbranntes Orange, Katzenaugengelb, Seegrün, Dämmerungsblau und Schwarz. Brokat, Samt, zarter Tüll, weiche Kaschmirwolle, dichter Pelz und weitere, glänzende Stoffe waren die Materialien. Die Kollektion für eine starke Haltung war jugendlich und frisch.

Die Inspiration für seine neue Kollektion erhielt der Mailänder Modeschöpfer Daniele Calcaterra vom amerikanischen Bildhauer Richard Serra. Dessen ausdrucksvolles, materielles Werk – solide geometrische Strukturen, verrostetes Metall auf nicht zusammenhängenden Monolithen, inmitten neuer Horizonte und räumlicher Perspektiven verstreute Öffnungen – zog sich unter dem Motto „NEW SCULPTURE“ wie ein roter Faden durch die Kollektion. In einer Abfolge unkonventioneller konkaver und konvexer Flächen, gerader und geschwungener Linien zerlegten die Schnitte und Materialien die Silhouette. Bei den übergroßen Herrenmänteln waren die langen Stoffbahnen und Martingale die geometrischen Elemente für eine rhythmische Struktur aus kontrastierenden Ebenen und geschwungenen Linien. Wie für Richard Serra war auch für Daniele Calcaterra das Material Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung. Zweischichtiger Stoff erhielt geometrische Oberflächen. Schwerer Krepp wurde fließend. Japanische Verbundstoffe gaben kühler Wolle einen modernen Anstrich in sinnlichen, strukturierten Ausmaßen.

Innovative Ausschmückungen und Details aus Angora- und Mohairwolle bedeckten schwere, rohe Mikadoseide, um neue Proportionen inmitten der Formen und Materialien hervorzubringen. Richard Serras strenge, minimalistische geometrische Formen, und zwar durch abwechselnd gekrümmte und gerade Linien, spiegelten sich bei der Kollektion in den sich unentwegt bewegenden Horizonten der Volumen wider. Wie ein langes, durch den Raum laufendes Band waren die Herrenjacken mal sehr weit fallend, mal eng anliegend. Die weiten Hosenbeine betonten im Gegensatze zur schmalen, hohen Taille die Fülle. Die einfach gehaltene Farbpalette war bar jeglicher Feierlichkeit. Blau war fast so dunkel wie Schwarz, während Burgunderrot so streng wie der Stahl im bildhauerischen Werke „Wände“ war. Strenge und Minimalismus, Ironie und makellose Form kamen in einer stilistischen Reise zusammen, um den Betrachter zu verwirren. Daniele Calcaterra brachte die persönlichen und intimen stilistischen Kennzeichen seiner im Jahre 2012 gegründeten Marke „CALCATERRA“ in einen kontinuierlichen Dialog zwischen Form und Umgebung ein. Zu sehen war die neue Kollektion am 26. Februar 2017 im Palazzo Reale, und zwar erstmals in einer Laufstegschau.

Weitere Bilder