▌EN

Der tasmanische Teufel steckt in den Details

Die Mode und die Symbolfiguren

Weiße Kragen – die Mannequins Anastasia Chekry und Sasha Kichigina vor der Modenschau „AQUILANO ● RIMONDI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 11. Mai 2017
Die besondere Aufmerksamkeit der Mailänder Modeschöpfer Tommaso Aquilano und Roberto Rimondi galt schon immer den vielfältigen weiblichen Persönlichkeiten in Vergangenheit und Gegenwart. Um die am 25. Februar 2017 im Palazzo dei Tessuti zu präsentierende Kollektion für den Herbst und Winter 2017/2018 rigoros, zeitgemäß und anspruchsvoll werden zu lassen, bedienten sie sich bei der Herrenbekleidung. Für das „Retro“-Thema hielten sie sich an die 1980er Jahre.

Dank den linearen skulpturalen Schnitten war die Kollektion sehr figurbetont. Ungewöhnlich war der Material- und Volumenmix. Schaf- und Kaschmirwolle bildeten ein schwarz-weißes Karomuster. Feines und grobes Hahnentrittmuster kam in verschiedenen Grauschattierungen vor. „TASMANIAN“-Tuche aus Merinowolle hatten maskuline Nadelstreifen. Der silberne und platine Lurex sowie der gepunktete Tweed, mit transparenten Pailletten handbestickt, strahlten Vergänglichkeit aus. Eleganz stellte sich beim schwarzen Smokinganzuge aus Schaf- und Angorawolle ein. Bei den Stickereien wechselten sich, um die pulsierenden Lichter goldener und blauer Kristalle herum, Stahl und Aluminium ab, was den Kleidern ihre geschmeidige Form nicht nahm. Etwas Glitter durfte andernorts nicht fehlen. Kleider und Glockenröcke hatten eine asymmetrische Silhouette. Das maskulin anmutende Volumen der kurzen Jacken hob die weibliche Taille hervor. Um die Taille ging es auch bei den hoch taillierten Karottenhosen. Unter einem schulterfreien Samtkleide steckte eine gestärkte Button-down-Bluse. Weitere wichtige Stücke neben den T‑Shirts als Markenzeichen waren übergroße Jacken und Mäntel mit betonten Schulterpartien sowie Radfahrershorts. Die Farbpalette umfaßte noch Magentarot, Orange, Smaragdgrün, Pfauenblau und Lila. Weitere Materialien waren Wild-, Krokodil- und Nappaleder. Das Schuhwerk bestand aus Cuissardestiefeln und Stilettopumps für eine ausdrückliche Weiblichkeit.

Bei der neuen Kollektion der Modeschöpfer Piero Cividini und Miriam Cividini aus Gorle nahe Bergamo, die im Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci in Mailand gezeigt wurde, stammte das Frauenbild aus dem Spielfilme „DOCTOR ZHIVAGO“ des britischen Regisseurs Sir David Lean aus dem Jahre 1965. Für Piero Cividini und Miriam Cividini war das bildliche und musikalische Meisterwerk eine heftig sprudelnde Inspirationsquelle. Das raffinierte Erscheinen der Protagonistin Larissa Fjodorowna Antipowa alias Lara und ihrer vermeintlichen Tochter Tanja Komarowska auf der einen Seite sowie das züchtige und grobe Auftreten der bolschewistischen Heldinnen auf der anderen Seite widersprachen sich und kamen doch miteinander aus. Mit ihren Kopftüchern als dem Ausdrucke einer deutlichen Weiblichkeit verkörperten sie, jede Seite für sich, das Erbe des alten Rußlands. Die Ästhetik der russischen Eliten traf auf die Schlichtheit der revolutionären Massen.

Unter dem Motto „DOCTOR ZHIVAGO CALLING“ floß dies durch einen zeitgenössischen Filter in die Kollektion ein. So standen die weichen, luxuriösen Materialien wie bedruckter Samt, weiche Wolle und Seide für die Bourgeoisie, während Leinen, Flanell und einfarbiger Samt aufs Proletariat hindeuteten. Die Farbtöne gingen auf die Zivilkleidung der damaligen Zeit zurück. Schwarz und Grau ergaben eine krasse Kombination. Pelzkleidung, eine Notwendigkeit wegen des dortigen Klimas, aber auch das Markenzeichen der besseren Gesellschaft, erlebte nunmehr ihre moderne Interpretation. Demgegenüber führten die groben, haarigen Stoffe und der Kunstpelz der Arbeiter und Bauern zu haarigen Tuchen aus feinsten Materialien wie Baby-Alpakawolle. Die von den feinen Damen im besagten Spielfilme getragenen Strickstücke waren die Vorlage für die Strickstücke aus Kaschmirwolle, die für die Modemarke typisch sind. Die derben Trikots aus Rohwolle, die unter den Kraftfahrerjacken getragen worden waren, um die jungen Revolutionäre zu wärmen, hatten warme und weiche Stücke aus Bouclé-Baby-Alpakawolle zur Folge.

Der für die Mailänder Marke „AGNONA“ tätige, aus London stammende Modeschöpfer Simon Holloway stellte deren neue Kollektion mit zweien Vorführungen im Verwaltungs- und Veranstaltungsgebäude der Fondazione Giangiacomo Feltrinelli vor. Es ging um die 1970er Jahre. Hochwasser und Schlag formten die Strickstücke. Maskuline Schnitte dominierten in der Kollektion. Pelzstücke waren in verschiedenen Taupegrau- und Braunschattierungen. Eine für die heutige Zeit praktische Kombination setzte sich aus einem Cardigan in Kimonoform, einer Yogahose und Turnschuhen aus Hammelleder zusammen. Weiche Mäntel hatten markante Schulterpartien, während weiche Hosen hoch tailliert waren. Für Simon Holloway war Luxus komfortabel und gemütlich zugleich.

Weitere Bilder