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Die zwei Seiten von Modeschöpfern

Kleider und Schuhe ohne Ende in Mailand

Interesse in den Augen – die Mannequins Marfa Manakh und Tasya Vorobeva vor der Modenschau „ERIKA CAVALLINI“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 4. Mai 2017
Die Mailänder Modewoche ist eine Gelegenheit, die neuesten Modetrends nicht nur bei Kleidern, sondern auch bei Schuhen zu erfahren. Einer der wichtigen Schauräume in dieser Hinsicht ist der Gemeinschaftsschauraum „C Divertiamo“ unter Federführung der in Fiesso d’Artico Barbariga nahe Venedig ansässigen CDivertiamo srl. Unter der Devise „Wir haben Spaß“ will die CDivertiamo srl neue Marken in der Welt der Luxusschuhe entwickeln, und zwar durch Förderung von Nachwuchskräften in den Bereichen des Entwurfes, der Produktion und des Vertriebes, wobei die Schuhe gänzlich in Italien gefertigt werden sollen, um die Authentizität italienischer Handwerkskunst aufrechtzuerhalten.

Für den Herbst und Winter 2017/2018 kamen am 23. Februar 2017 aufs neue einige Modeschöpfer in dem Schauraume im Zentrum Mailands zusammen. Für die Kollektion „ELECTRO-SHOES“ schöpfte der Pariser Modeschöpfer Alain Tondowski seine Inspiration aus den 1950er, späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Eine gehörige Portion Eklektizismus sollte Schuhwerk hervorbringen, um tagsüber den Asphalt beschreiten und nachts Funken auf der Tanzfläche erzeugen zu können, und zwar stets mit einer unerwarteten Drehung. Lamelliertes Leder und Lammfell umarmten den Körper. Bedrucktes Leder, das wie kostbare und exotische Haut auf architektonischen, aerodynamischen Strukturen aussah, traf zum einen auf kontrastierende silbermetallische Effekte mit Rosa und Limonengrün sowie zum anderen auf ein glänzendes Schwarz für Elektro-Pop-Effekte. Die Farben sollten wie die laute Musik einer Diskothek „ohrenbetäubend“ sein. Der Glamourfaktor der Kollektion bestand vornehmlich im schwarzen, in der Art einer Discokugel geritzten Lackleder, in den Chromabsätzen mit verspiegeltem Ende, was ein Spiel mit Lichte und Transparenzen ermöglichte, und in den Applikationen aus schwarzem, rauchgrauem oder grünem undurchsichtigem Plexiglase in reinen graphischen Formen. In der Kollektion waren zwei neue Strukturen vorhanden, die Tribute an die beiden zeitlosen Musen des Modeschöpfers waren, nämlich den amerikanischen Partymenschen Jerry Hall aus den 1970er Jahren und den japanischen Modeschöpfer Tokio Kumagaï aus den 1980er Jahren.

Die neue Abendsandale „JERRY“ hatte einen 11 cm hohen Hybridabsatz, der Keil- und Pfennigform vereinte. Neben der schwarzen oder braunen Keilpartie wirkte das Chromband der Pfennigpartie in schwarzer, limonengrüner, kupferroter oder goldener Färbung wie ein herausragender Nagel. Gleichviel ob dick oder dünn, zog der Knöchelriemen das Scheinwerferlicht an, was an den luxuriösen Materialien lag. Dem Glanze der New Yorker Diskothek „STUDIO 54“ oder eines Nachtclubs der späten 1970er Jahre entsprachen Satinseide, Lackleder, Kalbsleder in Krokodiloptik mit neuartigen Schuppen und Natternleder, mal schwarz in Lackausführung, mal mit kinetischen, metallischen Drucken. Als Hommage an Tokio Kumagaï erschienen für „Asphaltmädel“ mit einer selbstbewußten Haltung und für Mädel auf der Suche nach einem alltäglichen „Glam-Rock-Look“ unter der Bezeichnung „PAT“ Pumps, einfache Stiefeletten und Sockenstiefeletten, die wie eine zweite Haut paßten. Nach einer Wiederkehr in der Art des Neo-Punks der 1980er Jahre mit einem Ska-Ansatze oder einem pseudokünstlerischen Ansatze erfuhr der klassische Pfennigabsatz der 1950er Jahre nunmehr seine Wiederbelebung. Der Absatz mit einer Höhe von 9 cm war an der oberen Hälfte mit lamelliertem Leder überzogen und an der unteren Hälfte mit einem Reflexionen bewirkenden quaderförmigen Metalltubus ummantelt. Ein solcher Absatz hing beispielsweise an einer Stiefelette aus bunt bedrucktem Krokodilleder. Ein schwarzer, flacher Plexiglaszylinder schmückte das Vorderteil cremeweißer Pumps mit ebensolchen Absätzen.

Eine andere Schuhkollektion war das Resultat einer Zusammenarbeit des italienischen Modeschöpfers Ernesto Esposito und der russischen Fernsehmoderatorin Zhanna Badoeva, die auf Zhanna Badoevas Liebe zu schönen Schuhen zurückgegangen war. Die Schuhe der Marke „ZHANNA BADOEVA“ kamen aus einer Fabrik in Venedig, wo hochwertige Schuhe für die weltweit führenden Marken hergestellt werden. Seide, Leder und Pelz mit verschiedenen Strukturen prägten gerade in ihrer Verbindung untereinander die Kollektion. Die Farbpalette umfaßte Schwarz sowie Rot und Grün in hellen, gesättigten Schattierungen. Zeichnungen und Drucke kamen hinzu.

Es gab am 23. Februar 2017 auch Kleider zu sehen. Die Modeschöpferin Erika Cavallini aus Crevalcore nahe Bologna präsentierte ihre neue Kollektion in der Veranstaltungsstätte „SPAZIOBERGOGNONE26“. In Anspielung auf die Kraftmeierei bei den Kleidungsstücken in den 1980er Jahren setzte sie auf überdimensionale Stücke, Dekonstruktion und gewagte Farbkombinationen. Asymmetrische, gekräuselte Röcke aus recycelten Trenchcoatstoffen paarte sie mit „Patchwork“-Pullovern. Ein Regenmantel bestand aus zwei zusammengeklebten Hälften. Übergroße Herrenjacken mit zuweilen abgerissenen Ärmeln fielen über Kleider mit Pastellpailletten. Sehr dunkles Blau war der kraftvolle Farbton für die ledernen Baggypants mit sehr hoher Taille, den Farbblockpullover und die Nadelstreifenjacke mit hoch geschobenen Ärmeln, die als Kombination getragen wurden. Einerseits offenbarte Erika Cavallini ihre weiche Seite bei gerafften Blumendruckkleidern in zarten Farbtönen; andererseits zeigte sie Härte und Strenge bei den zu sexy, körpernahen Jacken verringerten Herrenblazern in Kombination mit Bleistiftröcken sowie bei den unbarmherzig zerreißenden Säumen. Mit dieser Kollektion setzte Erika Cavallini ihren eigenen Weg fort, wenngleich ein gewisser Einfluß des belgischen Modeschöpfers Martin Margiela, eines Meisters der Dekonstruktion, bei dem sie am Ende der 1990er Jahre gearbeitet hatte, kaum zu übersehen war.

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