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Im Garten der Hesperiden

Mode für außerirdische Lebensformen

Augen zu und durch – das Mannequin Sophie Rask vor der Modenschau „FRANCESCO SCOGNAMIGLIO“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 3. Mai 2017
Für die Veranstaltungsreihe „Milano Moda Donna“ kommt die Camera Nazionale della Moda Italiana nicht ohne zentrale Veranstaltungsstätte aus. Hatte es ehedem den Palazzo dei Giureconsulti, ein Gebäude der Camera di Commercio Milano, als Anlaufstelle zur Information und ein Zelt, mal nahe dem Palazzo Serbelloni, mal nahe dem Castello Sforzesco, als Präsentationsstätte gegeben, so war in dieser Saison, wo es um die Prêt‑à‑porter-Kleidung für den Herbst und Winter 2017/2018 ging, der Spazio Cavallerizze des Nationalmuseums der Wissenschaft und Technologie Leonardo da Vinci das modische Zentrum.

Genau da präsentierte der Modeschöpfer Salvatore Piccione aus Sizilien am 23. Februar 2017 die Kollektion „MYSTIC WOOD“. Inspirationsquelle war die klassische Mythologie, insbesondere das Geschehen im Garten der Hesperiden, gewesen. Den Anstoß hatte jedoch eine Begegnung mit dem Werke des britischen Malers John William Waterhouse aus der Richtung der Präraffaeliten und dem Werke des italienischen Renaissancemalers Sandro Botticelli gegeben. Bei den Kleiderentwürfen hatten sich dann die magische präraffaelitische Atmosphäre und das Ikonische in Sandro Botticellis Gemälde „Primavera“ verbunden. Ein mystischer, alles ermöglichender dichter Wald in traumhaften, gedämpften Farben mit plötzlich aus der Dämmerung kommenden schönen, anmutigen Kreaturen, was für verschiedene Arten der Weiblichkeit stand, war für Salvatore Piccione der passende Ort, um die in jeder Frau steckende Göttin wiederzuerwecken. Seine Musen waren Frauen mit geheimem, facettenreichem Charme, agile, großstädtische Nymphen und zeitgenössische Göttinnen mit der Fähigkeit, die Harmonie der Natur leicht, fröhlich und tänzerisch in den Alltag zu übertragen. Insofern sollte die Kollektion mehrere Bedeutungen mit einem starken symbolischen Charakter vermitteln.

Die Kleider in verschiedenen Längen und Paßformen waren die Protagonisten. Kleider im Bon-ton-Stile und weiche, geschmeidige Kleider vermittelten die Fluidität der Bewegung dank edler Stoffe; schwerelose Seide, ätherischen Tüll und feinste Chantilly-Spitze ergänzte Lurex dafür behutsam. Um die Taille gelegte Falten und Spitze-Samt-Einsätze zielten mit ihrer zusätzlichen Bewegung auf eine harmonische und feminine Gesamtwirkung ab. Mit einem Blicke auf die natürliche Welt bevorzugte Salvatore Piccione solide Farben, und zwar Pulverrosa, Nachtblau, Blattgrün, Erdbraun, Perlgrau und Schwarz in nuancierten Tönen, die er hier erstmals in seiner Schaffenszeit einsetzte. Auf Ausschmückungsdetails wie auf Falten, Schnitte und Einsätze in der Spitze wollte er nicht verzichten. Dies galt besonders für die Menge sinnlicher, schwarzer Tüllteile, die winzige, strukturierte Punkte verstärkten, um die Transparenz des Stoffes gegenüber der Haut zu betonen.

Die bei der Marke „pıccıone●pıccıone“ beliebten Drucke erlebten eine Rückkehr, und zwar mit natürlichen Figuren auf Crêpe de Chine, Satinseide und anderen, schillernden Stoffen. Die Detailliebe zeigte sich beispielsweise an den Blusen, bei denen für jedes Teilstück wie Rückenteil sowie Außen- und Innenseite der Manschetten und des Kragens ein eigener Druck entworfen worden war. Die in die Kragen und Oberteile eingenähten transparenten Pailletten, Kristalle und Perlen glichen kostbaren Tautropfen. Samt und Wolle waren mit gemischten Techniken bestickt, was ein Zuammenspiel verschiedener Schichten auf Spitze und Tülle ermöglichte. Das sorgfältige Arrangement der einzelnen Elemente erzeugte eine dreidimensionale Wirkung, die den berauschenden Seerosen, üppigen Blumen, zarten und extravaganten Blütenblättern, bunten Schmetterlingen sowie unaufhörlich summenden Bienen Leben einhauchte, um auf den Miedern und Ärmeln zu blühen oder zu flattern. Für Salvatore Piccione zeigte sich hier die unglaubliche, rigorose Kraft der Natur.

Salvatore Piccione setzte vermehrt auf strukturierte Stoffe. Der grüne Jacquardstoff in Dégradé-Optik bei den Mänteln ließ an Bäume denken. In Verbindung mit Organzafäden und Lurex-Fäden sorgte der Jacquardstoff bei einigen Kleidern für entscheidende Linien. Innovativer Serge de Nîmes in Jacquardart war das unverwechselbare Element einer Bomberjacke, die ein Hauch „Casual Chic“ umgab. Die zweireihig geknöpften Mäntel waren reich an Charakter dank runder, goldener Knöpfe in rigoroser Manier. Die Tops waren mit wichtigen Trikotagenoten verziert; Kabel, Rippen und Fransen bewirkten reichlich Volumen, welches die Stickerei, die sich vom marineblauen, toffeebraunen, perlgrauen und weißen Untergrunde abhob, noch hervorhob. Die Kollektion beinhaltete auch eine Reihe Handtaschen und Umhängetaschen sowie eine kleine Eimertasche und einen Rucksack, welche die Themen der Kleiderkollektion aufgriffen und die Farbpalette der Kleider mit Varianten wie einfarbig gefärbtem Leder oder wie mit kleinen Metallbolzen beleuchteten Drucken erweiterten. Besonderes Merkmal waren die Klappen, die mit den gleichen Drucken wie bei den Kleidern angepaßt werden konnten; daneben kam das metallische Zubehör bei allen Modellen vor.

Nachdem die aus einer Familie von Schneidern stammende chinesische Modeschöpferin Anna Yang ihre Marke „ANNAKIKI“, dem Wesen nach unabhängig, rebellisch, lustig, zeitgemäß und antitraditionell, im Jahre 2012 gegründet hatte, zeigte sie am 22. Februar 2017 im Teatro Alcione beziehungsweise Teatro Versace ihre neue Kollektion, die eine „Ode an die Welt der Außerirdischen, an das unbekannte Universum“ mit seinen Geheimnissen war. Das Inspirationsspektrum reichte von der Oberflächenstruktur der Himmelskörper bis zu den stereotypen Elementen futuristischer Spielfilme. Ein Dokumentarfilm über die Entdeckung einiger Fetzen Aluminiumfolie, die man für Stücke der Haut Außerirdischer gehalten gehabt hatte, hatte Anna Yangs Phantasie beflügelt. Das Ergebnis entsprach dem Wesen der Modemarke; es war genau der richtige Stil für eine starke, wagemutige Rebellin ohne Scheu und Individualistin in Abgrenzung zur Masse.

Übergrößen und metallischer Einschlag prägten die Kollektion. Trotz den glänzenden und schimmernden Farben bewiesen die Kleidungsstücke ihre Alltagstauglichkeit. Gewöhnliche Pelze in neutralen Farbtönen verwandelte Anna Yang in kräftig gefärbte, umweltfreundliche, vollflächige, aufwendige Stücke. Minitops aus Leder und auffällig glänzende Röcke aus Leder ergaben eine ansehnliche Kombination. Lackleder, Schafwolle, Kaschmirwolle, Samt und andere, reflektierende Stoffe trugen zu einem modernen und extravaganten Aussehen bei. Anna Yang brachte neue Arten der Gewebebindung und markante Farbtöne zusammen. Metallbeschichtung, 3D-Sticktechnik und eine übertriebene Schultersilhouette trafen auf Typographien mit chinesischen Schriftzeichen. Nichts davon stand einer Tauglichkeit der Kleidungsstücke für jeden Anlaß entgegen. Die Farben waren „scharf und fleischig“. Glitzerndes Silber stand Rosa zur Seite, um das Bild des unbekannten Universums zu vergegenwärtigen und eine einzigartige Bindung zu ihm zu schaffen. Militärgrün, Mandarine, Bordeauxrot und Schwarz wechselten sich ab und ließen an die typischen Elemente der futuristischen Bildsprache denken. Die Kollektion behandelte das immergrüne spannende Thema der Außerirdischen und verkörperte die Darstellung des von der Modeschöpferin vorgestellten Weltraumes, um die faszinierenden, doch ungelösten Weltraummysterien zu entdecken.

Mit der Kollektion „GRAPHIC TALES“ machte die aus Mailand stammende und in Genf tätige Modeschöpferin Alessandra Vicedomini im Mailänder Schauraume der Marke „VICEDOMINI“ deutlich, was sie sich unter den Begriffen „Ladylike“, „Urban chic“ und „Multitasking“ vorstellte. Bei den Cocktailkleidern und Roben für den Roten Teppich gewährleistete die Silhouette nahe am Körper eine anspruchsvolle und verführerische Erscheinung. Bei den Westen als Kernstücke der Modemarke fanden Kaschmirwolle und Pelz für einen Rundumeffekt Verwendung. Äußerst weiche, aber haltbare Garne aus Kaschmir- und Alpakawolle alternierten mit Stretchviskose als Seele des Gestrickes. An der Spitze der innovativen Forschung verarbeitete Fäden trafen auf Stickerei und sublimen Pelz. Schwarze und braune Pailletten mit etwas Lurex verbanden Dezenz und Eklektizismus zu einer beachtlichen Weiblichkeit. Der Triumph der Jacquardtechnik äußerte sich bei der Mischung der Materialien in geometrischen Formen, namentlich in Rauten und Wecken, nach der Devise „Made in Italy“. Azurblau, Pulverrot und Fleischfarbe in Pastelltönen standen Grau in verschiedenen Schattierungen mit einem Hauche Schokoladenbraunes auf schwarzer Basis oder Elfenbeinbasis gegenüber.

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