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Durcheinander in der Liebe

Mode mit Musik von Reichen und Armen

Zwischen Spiegel und Lampe – die Modenschau „ALCOOLIQUE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 2. Mai 2017
Bisweilen entwickelt eine Modepräsentation ihre eigene Dynamik, woraus sich ein Ereignis besonderer Güte ergeben kann. Dies gilt vor allem dann, wenn Mannequins spontan die Initiative ergreifen und die vorgegebene Choreographie mit eigenen Einfällen kongenial erweitern.

So geschah es am am 22. Februar 2017 bei der Präsentation der Kollektion der Marke „ALCOOLIQUE“ für den Herbst und Winter 2017/2018 in Mailand. Der aus Caserta stammende und in Mailand tätige Modeschöpfer Rocco Adriano Galluccio vermochte es seit dem Jahre 2011, Neugier auf neue Ideen und kulturelles Interesse für seine neapolitanischen Wurzeln mit einem starken Gespüre für Mode und Stil sowie mit einer Detailpflege zu verbinden. Eine überaus selbstbewußte Frau, durch elegante Salons schreitend, auf dem Sofa Bücher des französischen Schriftstellers Charles-Pierre Baudelaire lesend und träumend, doch stets bereit für neue Herausforderungen, stellte er sich für die Kollektion „LES FLEURS DU MAL“ vor. Dem entsprach die Umsetzung in Form einer Modeinstallation. In einem Mailänder Appartement saßen ein paar Mannequins auf den Sitzmöbeln im Wohnzimmer oder stolzierten durchs Speisezimmer, während ein weiteres Mannequin, lasziv auf dem Bette im Schlafzimmer liegend, ein Buch las. Doch als plötzlich italienische Pop-Musik der 1980er Jahre erklang, sprangen sie auf und tanzten ausgelassen vor der Musikanlage im Wohnzimmer. Das Lied „Sarà perché ti amo“ der Gruppe „Ricchi e Poveri“ aus dem Jahre 1981 brachte sie sogar zum Mitsingen. So breitete sich eine freudige Stimmung aus, welche auch die Besucher nicht unberührt ließ.

Ausgangspunkt der Kollektion war eine Gefühlsanwallung. Aus einem Aufruhr von Farben, Pailletten, Broschen, Schleiern und Brokatstoffen, die sowohl von verschiedenen künstlerischen Bewegungen als auch von verschiedenen historischen Epochen inspiriert worden waren, ergab sich eine gewisse Opulenz. Mit anmutiger Langsamkeit führte der Weg durch die Jahrhunderte von der barocken Pracht Versailler Art bis zur Mondänität der Belle Époque. Besonders die letzte Epoche machte manche Stücke der Kollektion sehr feminin, und zwar mit verbesserten Formen für die Tages- und Abendkleidung. Mit Rüschen verzierte Samtanzüge kontrastierten mit aufwendigen Abendkleidern, denen gelegentlich ein Hauch sportlicher Freizügigkeit eine gewisse Portion Minimalismus bescherte. Die weibliche Figur umspielten Transparenzen, die kostbare Ton-in-Ton-Stickereien zusehends verstärkten. Brokatjacquard und Seidenkrepp waren Materialien für Kleider, die Schleier, Votivherzen, Schleifen mit Kristallen und Anstecknadeln mit Kristallen schmückten. Auf bedruckten Baumwollshirts angebrachte Perlen und Smaragde waren ebenso Zierde. Alles deutete auf den Glanz eines königlichen Hofes hin. Die Kollektion enthielt überdies weichen ökologischen Pelz aus den 1980er Jahren, der rubinrot, pastellrosa und smaragdgrün gefärbt war. Lurex in Burgunderrot oder Waldgrün sowie mit Pailletten bestickte schwarze Spitze ergänzten die elegante Atmosphäre. Weitere Accessoires wie Samtturbane vervollständigten das natürliche Bild.

Die neue Kollektion der Marke „N°21“ zeigte der Mailänder Modeschöpfer Alessandro Dell’Acqua im Palazzo del Senato beziehungsweise Staatsarchive. Unter dem Motto „FROM NEOREALISM TO THE AMERICAN DREAM“ begegneten sich Neorealismus im Sinne der italienischen Schauspielerin Anna Magnani samt ihrer üppigen Weiblichkeit und der Traum vom amerikanischen Collegecampus. Glamour traf auf Körperlichkeit, um mit mutiger und innovativer Ästhetik eine Geschichte über eine starke, entschlossene, sinnliche und leidenschaftliche Persönlichkeit, die der Modeschöpfer heutzutage vermißte, zu erzählen. Neben Anna Magnanis Bildnissen bezog er seine Inspiration aus Daniel Manns Spielfilme „THE ROSE TATTOO“ aus dem Jahre 1955, wo Anna Magnani in Richtung auf die Geschlechtergleichheit einen neuartigen Frauentyp verkörpert hatte. Eine glamouröse Haltung auf der Grundlage einer Mischung von Männlichem und Weiblichem sah Alessandro Dell’Acqua als sehr modern an. Der neue Typus drückte sich nach seiner Ansicht am besten aus in Kleidern aus rotem oder fleischfarbenem Crêpe de Chine mit Kristallkrusten und sonstigen Verzierungen als einem Gegensatze zur offenen Rückseite ebenso wie in kleinen Chiffonshirts.

An den Mänteln aus Herrenstoffen befanden sich Kristallstickereien und kleine Perlmuttknöpfe. Bei den Schlauchröcken verhielt es sich so, daß die Röcke aus Herrenstoffen mit Blusen aus Crêpe de Chine, aber die Damaströcke mit locker fallenden Pullovern und Anoraks aus künstlichem Schaffelle kombiniert wurden. Als Paarung erschienen ebenfalls Chiffonkleider und Mikrocardigans. Die Hosenanzüge aus Herrenstoffen beinhalteten Jacken mit gerafften Schulterpartien. Ein Blumendruck oder Campusschriftzug befand sich auf den Bomberjacken, zu denen sehr kurze Pullovertwinsets paßten. Andere Pullover hatten ein kalifornisches Stranddessin mit Pailletten, wozu Jacquardstrickröcke getragen wurden. Mäntel aus Stoffen mit Kreuzköperbindung hatten einen langen, dicken Kunstpelzbesatz. Alle Stücke wiesen eine Silhouette auf, die einen sicheren sinnlichen Schritt und Tritt gewährleistete. Eine geheimnisvolle Erscheinung unterstützten ferner die hochhackigen Sandalen mit sportlich geknoteten Satinschleifen. Umhängetaschen aus sehr weichem Leder in markanten Schattierungen sowie Ohrringe und Haarklammern mit Kristallen waren die Accessoires zur Vervollständigung.

Der Modeschöpfer Cristiano Burani aus Carpi bei Modena stellte seine Kollektion „NEW folk REMIX“ im Palazzo Reale vor. Ethnische Einflüsse mischten sich mit Technik und Innovation. Im Zeichen der Kontraste standen Vergangenheit und Gegenwart, Tradition und Experiment, Luxus und Lässigkeit für ein zeitgenössisches und urbanes Bild gegenüber. Verweise auf die Sportbekleidung gingen einher mit kostbaren Materialien, um eine neue Eleganz und mehr Weiblichkeit zu bestimmen. Mäntel und Strickstücke aus Alpakawolle waren mit ihren 3D-Effekten die Protagonisten. Abseits männlicher Nadelstreifen waren Kaschmirvelours, Valenciennes-Spitze, Serge de Nîmes, Taft, Breitcord, bedruckte Seide und Jacquard-Fil-coupé-Stoff allesamt gepaart, beschichtet, plissiert und handgerollt für einen Knistereffekt, was den Kleidungsstücken architektonische Formen und nicht minder ein untergrundartiges Aussehen gab. Schamrot, Erdbraun und Schwarz in natürlichen Schattierungen kam hingegen beim Leder vor. Geschichtetes Polyurethan befand sich in den großen Sohlen der Creeper und Stiefel, die mit mehrfarbigen Schnürsenkeln an Trekkinghaken zu schließen waren. So geriet das Gleichgewicht zwischen „Streetwear“ und „Grunge-Look“ ins Wanken. Fransige Accessoires mit sportlich-folkloristischen Flecken durften dabei nicht fehlen. Die Farbpalette umfaßte noch Kamelbraun, Lila und dunkles Rot, von fuchsienroten und gelben Blitzen aufgehellt; den laminierten Oberflächen vorbehalten waren Bronze, Silber und Eisengrau.

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