▌EN

Kyrie eleison!

Mode mit christlicher Symbolik

In Gedanken versunken – das Mannequin Daniela Aciu vor der Modenschau „Guo Pei“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 5. Februar 2017
Aufstieg und Beförderung gibt es nicht bloß im öffentlichen Dienste, in der Industrie oder im Handel. Auch in der Welt der Mode ist eine Besserstellung möglich, was beispielsweise auf den Wechsel von der einfachen Couture zur Haute Couture zutrifft. Nach einer Entscheidung der Klassifikationskommission „Couture Création“ des Ministeriums der Industrie der Französischen Republik am 16. Dezember 2016 ernannte die Fédération Française de la Couture, du Prêt‑à‑Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode am 3. Januar 2017 das im Jahre 2009 gegründete Pariser Modehaus „JULIEN FOURNIĒ“ zum Vollmitgliede der Chambre Syndicale de la Haute Couture.

Dies bedeutete, daß das Modehaus nunmehr die Bezeichnung „Maison de Couture“ führen durfte, dessen Couturekollektionen fortan zur gesetzlich geschützten Kategorie „Haute Couture“ gehörten und Julien Fournié selbst Grand Couturier wurde. Für die Vollmitgliedschaft hatte das Modehaus in Paris einen Hauptsitz unterhalten, ein Maßatelier mit mindestens zwanzig Vollzeitangestellten betreiben wie auch in einer Saison mindestens fünfunddreißig verschiedene, vom Modeschöpfer selbst entworfene sowie von Hand gefertigte Kleidungsstücke für Tages- und Abendmode auf einer Modenschau in Paris vorstellen müssen; ob die Voraussetzungen erfüllt sind, wird übrigens für jedes Kalenderjahr aufs neue geprüft. Von der Couturewoche im Januar 2011 an hatte Julien Fournié für sein Modehaus als Gastmitglied in jeder Saison eine im offiziellen Kalender der Chambre Syndicale de la Haute Couture erfaßte Modenschau veranstaltet. Am 24. Januar 2017 präsentierte er dann seine erste Haute-Couture-Kollektion in der Kirche Oratoire du Louvre. Unter dem Motto „Première Cinétique“ verbreitete die Kollektion für den Frühling und Sommer 2017 eine heiße Atmosphäre wie in Miami mit den Tagen an den Stränden sowie den Nächten samt ihren elektrisierenden Momenten in den Clubs und Diskotheken. Alle Kleidungsstücke, von den Tageskleidern bis zu den Abendroben, steckten voller Energie. Ein Blickfang waren die sexy Hotpants. Zum einen waren sie Bestandteil eines Ensembles mit kurzer Jacke, das zum Grunde in rötlichem Orange ein Muster aus rosa und unterschiedlich silbern schimmernden Flicken verschiedener Form aufwies. Zum anderen wurden sie mit einer bauchfreien Bluse kombiniert, wobei nachtblaue Hotpants auf eine weiße, durchsichtige Bluse und Hotpants in Regenbogenfarben quer gestreift auf eine kräftig gelbe Bluse mit tiefem, transparentem V‑Ausschnitte trafen.

Ein Grand Couturier war der Pariser Modeschöpfer Franck Sorbier schon seit längerem. Bei seiner steten Suche nach Kuriositäten war er auf das elsässische Museum der Stoffdrucke in Mülhausen, insbesondere auf den französischen Textilgestalter Georges Zipélius und den französischen Photographen Adolphe Braun, gestoßen. Georges Zipélius, der den Hofmantel der Kaiserin Eugenia mitentworfen hatte, hatte Motive realer und irrealer Pflanzen bevorzugt. Blumen hatten auch Adolphe Braun neben einem Panoramablicke auf Italien und auf die Eröffnung des Suez-Kanals fasziniert; er war überdies der Autor des berühmten Porträts von Castiglione gewesen. Franck Sorbier verstand die Photographie als Unterstützerin der Textilgestaltung. Das Papier als Medium war die Verbindung zwischen Georges Zipélius und Adophe Braun auf der einen Seite und Saburō Murakami auf der anderen Seite. Der japanische Aktionskünstler Saburō Murakami, der Gründer der avantgardistischen Gutai-Bewegung, hatte mit seinen Papierschirmen Werke geschaffen, die sich noch heutzutage für eine Inszenierung eigneten. Angesichts dessen inszenierte Franck Sorbier in der Veranstaltungsstätte „PAVILLON CHAMPS-ELYSÉES“ eine Geschichte mit einzigartigen Kleidungsstücken, um seine dreißigjährige schöpferische Tätigkeit zu feiern. Die Kollektion „Folie douce“ für Damen und Maiden führten am 25. Januar 2017 keine üblichen Mannequins, sondern, von den Kindern abgesehen, künstlerische Koryphäen vor, nämlich Liedtexter, Komponisten, Interpreten, Tänzer und Schauspieler sowie eine Sopranistin und ein Diskjockey.

Die Kollektion, deren Hauptmaterial Seidenvoile war, ließ sich in drei Abteilungen gliedern. In der ersten Abteilung gingen die Dessins der Textildrucke auf Georges Zipélius zurück. Camille de Bellefon und Adèle Borde trugen ein niedrig tailliertes Foulardkleid. Bei Mélissa Sicre und Juliette Hilaire handelte es sich um ein Bustierkleid. Im ersten Falle grenzte das aus glatten und knitterigen Foulards bestehende Rockteil mit Unterröcken ans drapierte, knitterige Bustier; im zweiten Falle schloß sich ans draptierte, gewundene Bustier eine Schürze aus großen, ausgefransten Foulards an. Marion Gautiers Faltenkleid hatte ein in schmale Plisseefalten drapiertes Bustier und einen aufwallenden Schoß am asymmetrischen Unterrocke. Letizia Galloni führte ein einschultriges Kleid vor, dessen Top eine Tuchblume schmückte und dessen hochgekrempeltes, mit aufwallender Bordüre versehenes Rockteil einen aufwallenden Schoß hatte. Bei Claire Tomek lag ein langer Kimono über einem handbemalten Etuikleide aus kompressiertem Seidenpongé. Ein Kleid samt drapiertem, plissiertem Bustier und Foulardrocke sowie mit einem großen Umschlagtuche kleidete Julie Delarme. Der Druck für Yamée Coutures Kleid, mit drapiertem, plissiertem Bustier und Volantrocke, basierte auf einer Skizze; hinzu kam ein Stolaponcho mit kleinen Rückenfalten. Puderrosa und graue Rosen waren das Motiv bei Raquel Camarinhas Schlupfkleide aus ausgefransten Stoffbahnen.

In der zweiten Abteilung beeinflußte Adolphe Braun die Blumenmotive der Drucke und der applizierten Photographien. Nubia Estebans Bustierkleid setzte sich aus einem drapierten, fein plissierten Bustier und einem trapezförmigen Rockteile mit Tournüre zusammen. Ein drapiertes, plissiertes Bustier und ein Godetrock machten Pauline Leprinces Kleid in Midilänge aus. Bei Esmeralda Dumoulards schwarzer und schokoladenbrauner langer Ballrobe war Dupiontaft ein zusätzlicher Stoff. In der dritten Abteilung ging es um Drucke auf dekorativen Bildtafeln, die weder Georges Zipélius noch Adophe Braun zuzuordnen waren. Ein Meisenmotiv mit der Signatur „G. Léonce“ war es bei dem von Caroline Osmont getragenen, am Rücken zugeschnürten Kleide aus Seidenvoile, wohingegen die Vogel- und Pflanzenmotive auf dem von Alix Bénézech getragenen Kleide aus Seidenvoile unbekannter Herkunft waren. Aus Leinen und Seide waren die elfenbeinfarbene Weste und weite Hose, die Jéméry Colin zu einem Hemde aus Tripelorganza im Moirédessin und einem Foulard aus Seidenvoile mit Vogel- und Pflanzenmotiven trug. In der Inszenierung, die im wirklichen Leben und im Traume gleichermaßen amüsant war, steckte für Franck Sorbier ein „Körnchen süßen Wahnsinnes“.

Die Mailänder Modeschöpferin Donatella Versace hatte zwar eine neue Kollektion ihrer Couturelinie „ATELIER VERSACE“ entworfen, diese wurde aber nicht mehr wie in der Vergangenheit auf einer Modenschau, sondern im Schauraume der eigenen Boutique in Paris vorgestellt. Dort erklärte ihr Mitarbeiter Ezio Donnarumma am 24. Januar 2017 auf Nachfrage, der Grund für den Verzicht bestehe darin, daß es letztlich zu viele schlechte Erfahrungen mit Gästen, die mehr am Vergnügen denn an den Kollektionen interessiert gewesen seien, gegeben habe. Der Kollektion „metamorphosis“, welche die Schönheit der Verwandlung zum Thema hatte, lagen vier Aspekte zugrunde. Erstens entwickelten sich Knoten um die Silhouette, um den Körper zu umschließen und zugleich freizugeben. Mit der Hand verknotete handgewebte Schnüre aus „SWAROVSKI“-Kristallen ließen ein Minikleid mit Flügelärmeln, für das wiederum perlgrauer Seidenchiffon auf einer Tüllbasis geknotet war, wie ein Juwel erscheinen. Ein fleischfarbenes, bodenlanges Abendkleid aus Seidenchiffon war so übersät mit Trompe‑l’œil-Knotenstickereien, als wäre es provokativ gestrickt; die Trompe‑l’œil-Nähte hielten es auf den Hüften, damit nichts halbfertig unter den hauchdünnen Rockteile durchhänge.

Zweitens sorgten Falten für außergewöhnliche Silhouetten. Ein Ballkleid beruhte auf einer knochigen Konstruktion, die mit 110 Metern Metallgewebe bestickt war, während dramatische Falten aus Degradétülle den Körper konturierten und den darunter befindlichen Käfig enthüllten. Ein Faltenkleid in Minilänge bedeckte lässig den Körper, wobei eine Kreuzung aus gefaltetem doppeltem Seidenorganza und Kristallstickereien den Körper zusätzlich umwickelte und freilegte. Drittens war Metall bedeutsam, indem sich Spiegelfransen, mit denen ein Minikleid mit langen Ärmeln und tiefem V‑Décolleté völlig bestickt war, in opulente rotgoldene Metallfransen verwandelten. Ein altrosa Metallnetz formte anmutig den Körper in einem ärmellosen Etuikleide; nach unten hin ging dessen asymmetrischer Fluß in ein asymmetrisches Netz von Kristallen über. Viertens wurde es unter dem Stichworte „Chimäre“ tierisch. Stickereien aus lichtgrauen „SWAROVSKI“-Kristallen an einem kurvigen, schulterfreien Abendkleide sahen wie Schuppen eines Pythons aus, bis sie sich unter den Knien in lindgrüne Federn veränderten. Stickereien mit „SWAROVSKI“-Kristallen, Organzaknoten und Blütenblättern an einem Abendkleide aus Reptilienspitze mit asymmetrischem Décolleté wirkten wie Schlangen, die sich um den Körper wanden. Insgesamt sollten gedämpfte Hauttöne und Grautöne wie unter anderem Eisengrau die Trägerinnen und Betrachter nicht von der handwerklichen Leistung ablenken. Dem Wesen der Metamorphose nach konnte mit einem Kleidungsstücke aus dieser Kollektion jede Raupe ein Schmetterling werden …

Der aus Morelia in Mexiko stammende und in Montréal tätige Modeschöpfer Antonio Ortega zeigte seine Kollektion „Hybrids, The martyr of beauty“ am 25. Januar 2017 in der Stätte der Architektur und des Kulturerbes (Cité de l’Architecture et du Patrimoine). Für ihn beleidigte die nackte Eleganz der 1930er Jahre die bildliche Ästhetik des gekreuzigten Jesu Christi. Das Martyrium der Schönheit stand der Schönheit des Martyriums gegenüber. Der „klerikale Zirkus“ verhieß Schmerz und Leid. Doch durch die Morbidität und das Grauen eines geschundenen, blutigen Körpers blickte der Voyeur auf einen bunten und strukturierten Aufruhr. Es war ein leuchtender, dynamischer Tanz, an dem sich Seidenkrepp, Baumwolle, Canvas, Chiffon, Shantung-Seide und Taft sowie Lochstickerei, sonstige Stickerei und fleckige Glasperlen beteiligten. Muster, Schnitte und fließende Linien ließen entweder an geplante und sorgfältig durchdachte oder an spontane und unerwartete Peitschenhiebe denken. Antonio Ortega wandelte sozusagen auf den Spuren eines frenetischen Schöpfungaktes. Mit der christlichen Symbolik befaßte sich ebenfalls die chinesische Modeschöpferin Guo Pei, deren neue Kollektion in der Conciergerie zu sehen war. Zum Kyrie eleison erschienen goldene Kleider in frühchristlich-byzantinischer Pracht mit Edelsteinen, Kreuzen und Kronen.

Weitere Bilder