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Der Modeschöpfer in der Porzellankammer

Mehr Couture aus Italien

Charakterköpfe – die Mannequins Andreea Maria Pancea und Daniela de Jesús Cosío vor der Modenschau „GEORGES CHΛKRΛ Couture“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 4. Februar 2017
Zu einer vollständigen Couturekollektion gehört ohne Frage ein Hochzeitskleid. Eine Mehrung ist es geradezu dann, wenn das Hochzeitsthema die ganze Kollektion erfaßt. Für den Beiruter Modeschöpfer Georges Chakra bestand in dieser Saison ein besonderer Anlaß, nämlich die Hochzeit der eigenen Tochter im kommenden Sommer. So entwarf er mit moderner Verfeinerung und vollkommenem Glamour nicht nur ein Kleid für die Braut, sondern auch Kleider für deren feierliches Gefolge. Die fertige Kollektion für den Frühling und Sommer 2017 präsentierte er am 24. Januar 2017 im Palais de Tokyo in Paris.

Für einen sonnigen Sommertag als schönsten Tag des Lebens eigneten sich am besten Pastelltöne, Töne der Morgendämmerung, Töne des Polarlichtes, Nebeltöne, etliche Rosentöne und blaue Reflexionen, die sich in einem festlichen Kreise auf dem Wege zum „Heiligenscheine des weißen Lichtes“ drehten. Lochstickerei (Broderie Anglaise), Nadelspitze (Guipure) und handgemalte Motive kamen mit leichten Tüllschichten sowie perforierten oder lasergeschnittenen Stoffen zusammen; manche Stoffe waren mit Kristallen und brillanten Steinen bestreut. Äußerst feminine gegürtete Korsettkleider und trägerlose Roben kleideten die Gäste elegant und stilvoll für den atemberaubenden Hochzeitsball. Für sie gab es überdies eine gelbe, lange Etuirobe, ein kurzes Kleid mit Kristallibellen, einen decolletierten Smokinganzug, weite, gestreifte Hosen aus Seidenorganza und Seidensatin, kurze Bolerojacken, mit Bändern und Federn geschmückte Mäntel, lange Krönungsumhänge sowie transparente Kleider so leicht wie der Morgentau. Verführerisch waren die romantischen Dessins. Violett, Glockenblumenblau, Kapuzinerkressengrün, Feldsalatgrün, Rosenrot, Magnolienrot und Maiglöckchenweiß waren die Farbtöne für die Ehrenjungfern. Blühende Blumen und verträumte Schmetterlinge schmückten knöchellänge Ballerinakleider. Wie soeben aus dem Garten Eden gepflückt, waren deren Blüten auf die Kleider in lebendigen Farben gemalt, in Spitze geprägt, in Seide genäht, mit Strass-Steinen hervorgehoben und sogar mit Laser aus lackiertem Holze geschnitten worden. Auf Wolken schweben konnte die Brillanz und Euphorie ausstrahlende Braut in einem trägerlosen Hochzeitskleide aus geistvollem Tülle mit Pailletten und seitlichen Rüschen. Um endlich alle sich wie im „siebten Himmel“ fühlen zu lassen, schien Georges Chakra vor der Vorführung über den Laufsteg hinweg zu rufen: „Laßt die Feier beginnen!“

Das Hochzeitskleid in der zweiten Couturekollektion, welche der Mailänder Modeschöpfer Francesco Scognamiglio seiner unvergeßlichen Muse Diana, Fürstin von Wales, widmete, bestand aus Seidengaze und wies Porzellanapplikationen auf. Zu dessen Vorführung im Salon Roland Bonaparte des Hotels „Shangri‑La“ am 23. Januar 2017 war die Stimme dieser Vertreterin zeitloser Eleganz zu hören. Die Inspiration zur Kollektion für heutige „Prinzessinnen“ stammte hingegen von anderswo. Das luxuriöse Porzellankabinett der Königin von Neapel-Sizilien Maria Amalia aus dem Hause Sachsen als einzigartiges Kunstwerk im Nationalmuseum von Capodimonte in Neapel verbreitete eine Stille, die in Francesco Scognamiglio exotische Bilder entstehen ließ. Altchinesische Landschaften, Figuren aus dem Tierreiche und Reihen dorniger Rosen verbanden sich zu einer ästhetischen Erzählung. Die neapolitanisch anmutenden Couturekleider als Erzeugnisse vorzüglicher Handwerkskunst verkörperten die perfekte Mischung aus Erotik, Avantgarde und Romantik. Winzige Porzellanrosen aus den Händen neapolitanischer Handwerker verschönerten sowohl den sehr leichten Seidenorganza der Kleider als auch das Leder der Miniröcke. Die mit Nieten, Silberfäden und Stickereien mit eisweißen Kristallen verzierte Bomberjacke verwandelte sich in ein langes Kleid mit geschickten Schnitten, welche der weiblichen Figur schmeichelten. Hier offenbarte sich ein Luxus mit einem subtilen Schleier aus Erotik und großer Sinnlichkeit. Reines Weiß löste sich in ein antikes, staubiges Rosa auf. Handgewebte Jacquardmuster erinnerten der luxuriösen Ornamente der Vergangenheit wie bei dem mit übergroßen Stickereien versehenen silberfarbenen Mantel. Ein barockes Filigranmuster überzog ein silberfarbenes, hautenges Schlupfkleid; indes hatte das knappe Oberteil einer hauchdünnen, schimmernden Robe einen auffällig skulpturierten Ausschnitt. Darüber hinaus kamen digitale Blumendrucke vor. Der fetischistische Latex der Strümpfe gewährte Halt und Schutz, während der fragile, bestickte Seidenvoile den Körper sanft bedeckte.

Die griechische Mythologie war die Inspirationsquelle der griechisch-zypriotischen Modeschöpferin Maria Aristidou. Das von Daedalus und Ikarus für Minos, König von Kreta, ersonnene und in Knossos gebaute Labyrinth mit seiner aufwendigen Struktur zur Einsperrung Minotaurus’ wurde sozusagen Maria Aristidous Spielplatz. Die Idee für den richtigen Weg durchs Labyrinth war der Schlüssel zum Verständnisse ihrer Demicouturekollektion. Labyrinthmuster, komplexe Stickereien, Metallgarne, glatte Schnitte, unerwartete freie Rücken und Faltendetails prägten die Kollektion, die am 23. Januar 2017 im Hotel „NORMANDY“ vorgestellt wurde. Ebenda zeigte die georgisch-amerikanische Modeschöpferin Patuna Bushyhead die neue Kollektion ihrer Marke „PATUNA“. Die Inspiration der ehemaligen promovierten Zahnmedizinerin ließ sich mit einem Worte beziehungsweise einem Namen beschreiben: Eva. Bei der Eva aus der Bibel handelte es sich nach Patuna Bushyheads Ansicht um eine Frau der Macht und dann um eine Frau in Bewegung, und zwar heraus aus ihrem aktionslosen Zustande hinaus in die ereignisreiche Welt. Unter dem Motto „ALL ABOUT EVE!“ gelangte die biblische Schlange als Motiv auf fast jedes Kleidungsstück, mal ums Décolleté drapiert, mal um die Hüften geschwungen, mal am Saume verborgen. Materialien und Farben gingen auf einen Besuch des Schlosses Versailles zurück. Seidensatin und Seidensamt spiegelten buchstäblich die Herrlichkeit des Spiegelsaales wider, während die Farbtöne die Gartenanlagen in ihrer ganzen Pracht wiedergaben. Übrigens war für Patuna Bushyhead jeder einzelne neue Faden der Gewebe ein Verbindungsstück mehr, das den gedanklichen Abstand zwischen Paris und Tiflis weiter verringerte.

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