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„Puttin’ on the Ritz“

Mode aus China und Japan in Paris

Egalitarismus nur bei den Haaren – die Modenschau „RALPH & RUSSO“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 3. Februar 2017
Größer kann ein Gegensatz nicht sein, wenn mitten im kalten Winter die Kollektionen für den frischen Frühling und warmen Sommer präsentiert werden wie in der Couturewoche im Januar jedes Jahres. In der Welt der Couture war die Marke „RALPH & RUSSO“ mit ihren edlen, erfrischenden Kreationen nicht mehr wegzudenken. Die Londoner Modeschöpfer Tamara Ralph und Michael Russo zeigten am 23. Januar 2017 im Grand Palais in Paris ihre Couturekollektion für den Frühling und Sommer 2017.

Geometrische Formen, botanische Motive, Metall und eine athletische Einstellung in ihrer alles verstärkenden Essenz gingen buchstäblich nahtlos eine Fusion ein, damit die urbane und die natürliche Sphäre nebeneinander die Weiblichkeit in all ihren Gegensätzen und Widersprüchen zeitgemäß interpretieren konnten. Die Verdichtung gerade an der Schnittstelle natürlicher Schönheit und moderner Architektur führte zu einer Ausschmückung mit Blumenornamenten, Kristallfalten und Folienfransen, um die der Natur innewohnende Symmetrie zeitgemäß zu konfigurieren. Lurex steppte Lochstickerei (broderie anglaise) in Gestalt von Blumenblättern ab, während ein mit metallischer Tinte erzeugtes Muster aus geschlitzten Pinselstrichen („Hypertube“) den frischen Gartentönen wie Immergrün, Puderrosa, Himmelblau und Indigoblau städtische Farbtöne hinzufügte. Die sich wie irdische Längen und Breiten gestaltende Wechselwirkung der geometrischen Linien, der Latexapplikationen, der mühelos abebbenden Rüschen, der Straußenfedern in Degradémusterung und der durchscheinenden Chiffonschleppen war eine Hommage an alle Frauen. Fünfundfünfzig Aufmachungen bildeten die Kollektion.

Weiß war die dominante Farbe. Hier kam Seidenkrepp am häufigsten vor. Ein einschultriges Kaftankleid hatte eine Kruste aus goldfarbenen Kristallen, echten Perlen und Glasperlen. Echte Perlen und Glasperlen zierten neben Kristallen in Topastönen eine trägerlose Robe samt überdeckendem Cape und neben andersfarbigen Kristallen ein Minikleid mit muschelartigen Bordüren. Solche Bordüren wies ebenfalls ein Damenkostüm auf. An einer Robe samt gefaltetem Stufenrockteile waren Saphirkristalle und Pailletten in geometrischer Anordnung vorhanden. Tüll war der Stoff für zwei trägerlose Roben mit quadratischem Korsette; zur Ausschmückung dienten zum einen metallische himmelblaue, rosa und graue Pailletten in geometrischer Anordnung sowie zum anderen sternenförmige und blumige Pailletten, Kristallen und Glasperlen. Für den Ball gab es eine Trägerrobe samt Bustier in „Hypertube“-Färbung und gerafftem Rockteile mit gefalteten Organza- und Tüllblumen. In barocker Manier bedeckten Silberfäden, Glasperlen und Pailletten ein Smokingkleid samt nachtblauem Kragen. Nachtblaue Streifen aus Seidensatin verschönerten eine Tüllrobe samt Cape mit silbernen Ajourstickereien, Glasperlen und Pailletten.

Aus Seidenfaille bestand ein Mantel mit eisengrauen Ketten, gefalteten Organza- und Tüllblumen sowie Juwelenknöpfen. Ein Cocktailkleid aus Seidenorganza in barocker „Hypertube“-Färbung mit Glasperlen und Seidenblumen wurde mit einer kurzen Jacke aus gleichem Stoffe mit Straußenfedern und Glasperlen kombiniert. An einer Godetrobe aus Seidenchiffon mit gefaltetem Bustier befanden sich silberne Ajourstickereien, Glasperlen und schimmernden Pailletten. Ein bauchfreies Top aus Doppelseidensatin mit einem Besatze aus echten Perlen und Glasperlen paarte sich mit einer lässigen Hose. Ein Kleid aus Seidenfaille mit breitem Gurte, das schwarze, gefaltete Organzablumen, Kristalle, Glasperlen und Juwelenknöpfe zierten, war hingegen cremeweiß. Weiße, rosa und lavendelrote Nadelspitze (Guipure) schmückte ebenso wie Kristalle, echte Perlen und Glasperlen ein Kleid und ein Cape in Kombination. Zu einem Cape samt Tüllfaltenausschnitte mit echten Perlen und Glasperlen paßte eine Robe aus Organza in Panamabindung sowie aus weißer und silberfarbener Folie. Perlgrau waren eine trägerlose Robe aus Seidenchiffon mit Glasperlen, die ein mit Glasperlen und Pailletten bestickter Tüllmantel mit Chantilly-Spitze ergänzte, und eine mit metallischen Blumen handbemalte Trägerrobe aus Seidenorganza mit zusätzlichen Ajourstickereien und Kristallapplikationen.

Rot waren eine voluminöse Stufenrobe aus Seidenorganza in barocker „Hypertube“-Färbung für den Ball und eine Robe aus Seidenchiffon mit händig gerafftem Bustier und drapierter schenkelhoher Aufteilung. Schwarzer Tüll war die Grundlage für eine Robe in Chevronmusterung mit Spitzen-, Pailletten- und ausgebrannten Straußenfederapplikationen, für eine schulterfreie, zusätzlich mit Seidenorganza verschönerte Ballrobe mit Kristallen, Glasperlen, Pailletten und Seidenblumen sowie für ein Cocktailkleid mit Glasperlen-, seidigen Blumenblatt- und ausgebrannten Straußenfederapplikationen. Schwarzer Seidenorganza fand Verwendung bei einer mit Kristallen, Glasperlen und gefaltetem Chiffon bestickten Robe mit hauchdünnem Tüllbustier sowie bei einer Robe mit Stufenrockteile, muschelartigen Bordüren und handgemalten Blumenmotiven aus metallischer Tinte. Schamrot war der Tüll, und zwar für eine Robe mit rotgoldfarbenen Pailletten, rauchig-malvenroten Kristallen und ausgebrannten Straußenfedern, eine hauchdünne Robe mit Rennfahrerausschnitte und Überrocke samt Pailletten und Glasperlen sowie eine Robe mit Stufenbustier, hauchdünnem Faltenausschnitte, Pailletten und Glasperlen. Dreidimensional gefaltete Blumen aus Seidenorganza und Tülle schmückten eine lavendelrote Ballrobe. Puderrosa waren eine Robe aus Seidenchiffon mit Faltenbustier sowie Corsage aus Tülle und Seidenorganza wie auch eine schulterfreie Robe aus Seidenkrepp mit gefaltetem Stufenrockteile und Applikationen wie Straußenfedern, Kristallknöpfen und rotgoldfarbenen Strass-Steinen. Rotgold war auch der Ton einer Robe aus Organza in Panamabindung mit Glasperlen zu einem Cape und einer Schärpe aus Seidenchiffon sowie eines Trenchcoats aus Seidensatin samt metallischen Kettfäden mit Kristallen und Glasperlen als Blumenmuster.

Ein mit silberfarbenen Strass-Steinen und Fransen verziertes Damenkostüm aus Tweed, dessen Bleistiftrock gestuft war, war hingegen metallisch rosa und grau. Himmelblau waren eine Robe aus Seidenchiffon mit gefalteten Blumen und kaskadenartig fallenden Krausen, eine Satin- und Tüllrobe mit Glasperlen, Pailletten, Saphirkristallen und Seidenblumen, eine Ballrobe aus Seidenorganza mit quadratischem Korsette samt Metallpailletten und Rockteile samt geometrischen Krausen, eine Tüllrobe mit großen Blumenmotiven aus metallischen Goldfäden und kleinen Blumenmotiven aus Seidensatin und Leder. Ein barockes Dessin hatten die Ajourstickereien aus Seide, Kristalle und Glasperlen einer himmelblauen Robe aus Seidenorganza. Helles Cyanblau war der Ton für zwei Roben aus Chantilly-Spitze; im ersten Falle hatten Bustier und Rockteil Tüllkrausen und ein schraffiertes Dessin bei goldenen Pailletten, Kristallen und Glasperlen, wohingegen im letzten Falle Straußenfedernbesatz, seidene Ajourstickereien in Chevronmusterung und metallische Glasperlen hinzukamen. Den gleichen Farbton hatten ein Minikleid aus Seidenfaille und ein Tüllbodysuit mit gefalteten Organzablumen, Kristallen, Glasperlen und Juwelenknöpfen. Ein Tüllkaftan mit floralen, metallischen Ajourstickereien und Glasperlen in barocker Manier war petrolblau. Eine Robe aus Seidenorganza mit muschelartigen Bordüren, metallischen Ajourstickereien und floralen Lochstickereien war amethystblau. Lavendelblau war eine Robe samt Cape aus Seidenchiffon und Chantilly-Spitze mit kaskadenartig fallenden Krausen. Ein blumiges Dessin ergaben seidene Ajourstickereien, Kristalle und Glasperlen auf einer eisblauen Schwalbenschwanzrobe aus Doppelseidensatin mit asymmetrischem Ausschnitte.

Grün kam nur einmal vor, nämlich als waldgrüner Ton bei einer Robe aus Doppelseidensatin mit asymmetrischem Bustier und Halsbande. Dies galt ebenso für die Fleischfarbe der Robe aus Doppelseidensatin mit kreuzweise gestalteter Faltendrapage. Aus einfarbiger Seidenzibeline waren sowohl eine Robe samt Wickelüberrocke und Bustier mit Pailletten, echten Perlen und Glasperlen als auch ein Damenkostüm mit schulterfreien Revers und breitem Gurte. Geraffte Ärmel aus Seidenorganza hingen an einem Minikleide aus Tweed in monochromer Schachbrettmusterung mit Pailletten, Miniaturperlen und beflockten Perlen. Fransen und Federn aus Silberfolie hingen an einem Kleide samt Tülltop mit gefalteten Tüllblumen, Kristallen und Juwelenknöpfen. Hauchdünner Tüll war das richtige Material für den Ausschnitt eines mit Kristall- und Glasperlennieten bestickten Kleides mit zusätzlichen Fransen aus Silberfolie. Zu guter Letzt erschien das Hochzeitskleid, dessen weißer Tüll und perlgrauer Seidenorganza mit Kristallen, handgemachten Glasperlenstickereien und winzigen metallischen Blumenapplikationen versehen war, zu einem Cape aus Seidenorganza mit Straußenfedern. Übrigens gingen auch alle Schuhe und Handtaschen auf Tamara Ralphs und Michael Russos Entwürfe zurück.

Mit dem Garten befaßte sich ebenfalls der Modeschöpfer Dany Atrache aus Beirut, indem er den „geheimen Garten der Frauen“ erforschte. In den frühlingshaften Sonnenstrahlen konnte seine Muse romantisch meditieren und ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Geschickte Stoffe mit greifbarer Sanftheit und in munteren Pastelltönen für ein unbeschwertes Leben waren die Folge. Feenhaft, fließend und luftig sollten die Kleidungsstücke sein. In der im Festsaale der Bürgermeisterei des vierten Arrondissements von Paris gezeigten Kollektion „JARDINS SECRETS“ trafen Musselin auf Organza, Klöppelspitze auf Nadelspitze (Guipure) und Seidensatin auf Blumenstickerei; daneben tauchte in der Art und Weise vergangener Zeiten gefertigter Seidenkrepp auf. Eine Ode an das Licht bildeten Malvenrot, Gelb, Seegrün, Aquablau, Weiß und Silber. Im Hotel „Ritz PARIS“ stellte der aus China stammende und in Paris tätige Modeschöpfer Liu Chao, ein Absolvent des Studio Berçot in Paris, seine erste Kollektion vor. Die Kollektion drehte sich ums Meer und die darin befindlichen Lebewesen. Die Stickereien gaben die Meeresbewohner wieder. Eine solche Stickerei breitete sich auf der Rückseite einer kurz geschnittenen Bomberjacke aus doppelseitiger Seide aus. Ein durchsichtiger blauer Overall hatte bestickte Schulterpartien. Stickereien aus französischem Tweed auf den Schulterpartien eines übergroßen Wollmantels machten Kristalle, Perlen und Pailletten entbehrlich. Das einzige Stück aus chinesischen Materialien war ein langer Faltenrock aus papierartiger Seide, wobei die Dauerhaftigkeit der Falten daher rührte, daß das Gewebe für drei Monate in Bambus gerollt worden war.

Die japanische Modeschöpferin Yumi Katsura, die im Jahre 1960 an der École de la Chambre Syndicale de la Couture Parisienne studiert und im Jahre 1964 ihre Marke gleichen Namens gegründet hatte, setzte sich im Streben nach Perfektion und Absolutem schon immer für den Austausch zwischen der westlichen und der östlichen Kultur ein. So hatte sie japanische Tradition und Kunst mit den Techniken der Pariser Couture verbunden. Sie hatte Lust aufs Tragen des Kimonos gemacht, indem sie das traditionelle Kleidungsstück durchs Verlassen überlieferter Regeln, aber unter Weiterverwendung originaler Stoffe und Beibehaltung der alten japanischen Seidefärbetechnik namens Yuzen modernisiert hatte. Den sogenannten Washistil hatte sie geschaffen mit dem berühmten Washikleide, das seither im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt wird; Japanpapier (Washi), zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörend, ist handgeschöpftes, durchscheinendes Papier aus Gampi-, Mitsumata-, Bambus-, Hanf-, Reis- oder Weizenfasern. Als Präsidentin der Alljapanischen Hochzeitsvereinigung hatte sie mit der Gründung der Föderation der asiatischen Hochzeitsvereinigungen im Jahre 1997 obendrein die Brautmode in Asien heimisch gemacht.

Nunmehr wandte sich Yumi Katsura voller Energie und mit vielen Inspirationen – unter anderem stellte sie sich eine Schwalbe vor, die aus ihrem Neste entkam und den Frühling ankündigte – wieder der westlichen Mode zu. Sie durchsuchte sozusagen die Schubladen eines Pariser Ankleideraumes, um neue Anregungen für den Entwurf einer japanischen Kollektion zu finden. Das Ergebnis war dann unter dem Motto „La vie des toiles“ im Hotel „InterContinental LE GRAND HOTEL“ zu sehen. Kimono bedeutet das Ding zum Anziehen (kiru mono). Aus diesem Dinge, das man buchstäblich auf sich selbst trägt, wollte Yumi Katsura mehr machen. Der Tradition gerader Linien fügte sie ihren Sinn für Volumen hinzu, um dem Kimono eine neue Identität zu geben, auf daß er das Tageskleid mit einer orientalischen Note in Würdigung des französischen Modeschöpfers Paul Poiret werde. Er fiel nicht mehr wie der Kokon der Steinbrechfelsennelke auf die Füße oder Knöchel in der Weise der 1970er Jahre, sondern hatte die richtige Länge, um Frauen in der heutigen Zeit zu kleiden. Ein Kennzeichen waren die absichtlich gestreckten Ärmel als Tribut an junge Frauen, Furisode genannt. Als Schutzhülle schloß die linke Seite auf der rechten Seite, was ursprünglich nötig gewesen war, um das Kampfmesser namens Tantō zu verbergen. Die einzige Waffe war für Yumi Katsura allerdings die Verführung, und zwar durch eine freie und starke Frau im Rampenlichte. Yumi Katsura formte noch Rechtecke gefalteter und genähter Stoffe um und gab ihnen eine neue Bestimmung, ohne sie zu zerschneiden. Überdies entwickelte sie eine neue Form des breiten Gürtels namens Obi.

Bei aller Vorliebe für Kimonos wurden andere Kleidungsstücke nicht vernachlässigt. Mit der Yuzen-Technik gefärbte Stoffe eigneten sich sowohl für ein Abendkleid mit atmendem, anschwellendem Rockteile als auch für ein goldenes Etuikleid samt erstaunlicher Schleppe mit Stickerei und Pfauenfeder in Anspielung auf den Quetzal oder Feuervogel. Die Ausschnitte waren nicht zu tief und die Transparenzen hielten sich zurück, um einen schicken und stilvollen Status beizubehalten. Bei den mit Zigarettenhosen und Jacken kombinierten Shirts oder Seidenliquetten waren von der Natur Japans beeinflußte Drucke allgegenwärtig; von Motiven wie Kirschblüten und Kiefern ging eine melancholische Brise aus, während sich Bambus- und Blumenmotive ruhig verhielten. Auch die Kalligraphie hatte einen Einfluß auf die Textilgestaltung. Seide, Jacquardstoff, Spitze, kalte Wollgabardine und sonnige Falten wurden Leinwände, um der Meisterwerke des japanischen Malers Itō Jakuchū zu erinnern. Die Trompe‑l’œil-Stickerei ging unter die Haut. Die Abendkleider wurden lebendige Bilder und erzählten ein Märchen, das die Augen zum Funkeln brachte. Die impressionistische Farbpalette umfaßte vor allem gewaschenes Blau, Seerosenrot, Lippenstiftrot und flüssiges Gold. Anders als Turbane und sonstige Kopfbedeckungen verdeckten säurefarbene Brillen typischerweise die Augen. Derart gekleidet, wünschte Yumi Katsura den Trägerinnen Samurais eines urbanen Dschungels als neoromantische Liebhaber an die Seite.

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