▌EN

Mode in Berlin – sechster Teil

Die erste Hälfte des Jahres 2011 in der Retrospektive

Elementarteilchen – die Modemesse „5 elements.berlin“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 1. Januar 2017
Die Besucher der Veranstaltungen der Berliner Modewoche vom 16. Januar 2011 bis zum 23. Januar 2011 erlebten einige Überraschungen: Modeschöpfer kehrten auf den Laufsteg zurück, probierten andere Präsentationsformen aus oder wechselten den Sponsor.

Nach der Pleite mit der Icon Fashion Group AG als Investorin wagten die Berliner Modeschöpfer Klaus Unrath und Ivan Strano den Neuanfang und meldeten sich mit einer neuen, gelungenen Kollektion, die sie auf einer Modenschau der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ am 20. Januar 2011 zeigten, in der Berliner Modeszene zurück. Als Ort hatten sie sich das eigens für die Reihe errichtete Zelt neben der Staatsoper Unter den Linden ausgesucht. Eine gute Modenschau macht nicht alleine das Vorzeigen einzelner Kleider in einer bestimmten Reihenfolge aus. Es bedarf einer in sich stimmigen Kollektion, einer geordneten Choreographie, einer dazu passenden Musik, begabter und in ihre Rolle eingewiesener Laufstegmodelle, einer Einbindung der Presse sowie – nicht zuletzt für einen reibungslosen Ablauf – einer hervorragenden Organisation und Gästebetreuung. Die Form ist genauso wichtig wie der Inhalt. Für einen Wirtschaftsstandort sind auch Organisationsbelange ein wichtiger Standortfaktor; ein schlecht organisiertes Unternehmen oder eine schlecht organisierte Veranstaltung weckt bei potentiellen Geschäftspartnern Zweifel an der Zuverlässigkeit des Unternehmers für eine fruchtbare Zusammenarbeit, was ein Unternehmer, der bei allen Härten des Marktes überleben will, nicht außer acht lassen darf. So erweisen sich besonders für Modeschöpfer in Berlin Organisationsmängel als Problemkreis besonderer Art.

Arg traf es diesmal Klaus Unrath und Ivan Strano, denn nahezu alles, was über die Präsentation ihrer Kollektion hinausging, nämlich die Organisation, Gästebetreuung und Pressearbeit, war mangelhaft. Es begann mit einer schleppenden Abfertigung der Gäste vor der Modenschau; das Chaos bei der Durchsicht der Gästelisten und der Aushändigung der Sitzplatzkarten führte zu einer langen Warteschlange, die bis auf den winterlich kalten Bebelplatz reichte. Die rf medien gmbh als PR-Agentur bekam das Problem nicht in den Griff. Eine Besucherin meinte hinterher allgemein zur Abfertigungsprozedur, eine Agentur müsse schon sehr dumm sein, wenn sie Namenslisten in kaum lesbarer Schriftgröße 6 ausdrucke. Das Sicherheitspersonal des Zeltes der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ munkelte schon: „Wir müssen die Gäste jetzt so einlassen. Sonst verreißt uns morgen die Presse.“ In der Tat durften die Gäste nach geraumer Zeit mit bloßer Einladungskarte eintreten, wodurch ein Tumult verhindert wurde. Auch in anderen Bereichen verhielt sich das Zeltpersonal nach der Eingewöhnungsphase in den Anfangsjahren 2007 und 2008 mittlerweile professionell; wer wie die amerikanische IMG-Gruppe als Veranstalterin international agiert, kann auf die Einhaltung internationaler Standards nicht verzichten.

Strotzen vor Inkompetenz
Das Chaos setzte sich auf der sogenannten Aftershowparty im Club „SOHO HOUSE BERLIN“ fort. Der Agentur fiel erst während der Party ein, an der Garderobe einen Tisch für die Abfertigung aufzustellen; das Abstellen von Taschen auf anderen Tischen fürs Umkleiden und das vorübergehende Ablegen der Kleidung wurde untersagt: „Das ist verboten!“. Bei dem Durcheinander warteten die Gäste teilweise bis zu einer halben Stunde auf die Rückgabe der Kleidung. Manche Gäste gingen, da sich das Personal ihrer nicht annahm, sichtlich genervt dazu über, die vielen Kleiderständer selbst nach ihren Mänteln durchzusehen. Beschwerden und Verbesserungsvorschläge nahm das Personal nicht ernst; Gäste wurden einfach stehengelassen. Dienstleistungsbereitschaft, Improvisationsgabe, Konfliktmanagement und gebührender Respekt gegenüber Gästen waren anders als Beratungsresistenz nicht erkennbar. Die ganze Chose war ein weiterer Mosaikstein des Bildes „Dienstleistungswüste Deutschland“. Zur Wüste meinte eine Fachbesucherin nach anderen Modeschauen in Berliner Hotels: „Zumindest das Hotelpersonal ist entsprechend geschult.“ Obendrein verbot der Clubbetreiber das Photographieren in der mit Modellen und Werbetafeln eigens für die Modewoche geschmückten Eingangshalle. Nachträgliche schriftliche Recherchefragen beantwortete die Agentur nicht. Sie schien mit den für eine Modeveranstaltung typischen Anforderungen schlichtweg überfordert zu sein. Die Fehler der Agentur vermittelten den Gästen ein wenig vertrauenswürdiges Bild der Marke „UNRATH & STRANO“ trotz der gelungenen Kollektion. Klaus Unrath und Ivan Strano hatten bei der Auswahl eines neuen Partners für den Neuanfang keine glückliche Hand gehabt.

In einer funktionierenden Wirtschaftsordnung ist für einen Unternehmer die gute Organisation seines Unternehmens zum erfolgreichen Wirtschaften und damit zum Überleben unverzichtbar. Dies gilt entsprechend für kulturelle Einrichtungen. Bei unternehmerisch tätigen Modeschöpfern ist für eine überzeugende Modepräsentation eine gute Organisation der Veranstaltung ebenso wichtig wie eine ansprechende Kollektion, denn für die Rezipienten ist der Gesamteindruck entscheidend. In der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Beteiligten zur konstruktiven Mitarbeit offenbarte sich eine schlechte Arbeitsmoral, der man bei Berliner Modenschauen leider nicht immer entgehen konnte. Die hier offen zutage getretene Beratungsresistenz war von jeher der Ausdruck einer Haltung, in der eigenen Mittelmäßigkeit schon eine Höchstleistung zu erblicken. Einen solchen wie den beschriebenen Zustand hatte der ehemalige Fußballspieler und Fernsehkommentator Günter Netzer im Jahre 2004 in Richtung auf die damalige Fußballnationalmannschaft auf den Punkt gebracht: „Selbst wenn sie wollten, könnten sie es nicht.“ Die Misere bei Klaus Unrath und Ivan Strano war ein abschreckendes Beispiel.

Die Liste der Einzelfälle und Problempunkte wurde zusehends länger. Es ging um den Verbesserungsbedarf bei den Leistungen der Choreographen und Mannequins, um den ausufernden „Promi-Kult“ bei den Gästen sowie um die Kommunikationsprobleme zwischen den Modeschöpfern und PR-Agenturen einerseits und der Presse als Multiplikator fürs Anliegen der Modeschöpfer andererseits. Anfangsschwierigkeiten wie in den Vorjahren lagen in der Natur der Sache, doch für ein Weiterbestehen und eine Fortentwicklung des Modestandortes Berlin durften grundlegende Probleme nicht länger ignoriert werden. Es galt dazuzulernen. Über die Zählebigkeit der hausgemachten Probleme vermochte sogar die gekünstelte Heiterkeit mancher Anwesender nicht hinwegzutäuschen. Schönreden und Schönschreiben half der Sache ebensowenig. Die Regelmäßigkeit gewisser Mängel bei den Veranstaltungen der Berliner Modewochen nährte allmählich Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Zukunftsfähigkeit des Modestandortes Berlin. Um vorerst zumindest einen Zustand geringerer Problemanfälligkeit zu erreichen und damit international ein besseres Bild abzugeben, bedurfte es umgehender Anstrengungen. Eine allgemeine Lebensweisheit galt übrigens auch für die Berliner Modewoche: gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.

Gute Organisation ist für den Modestandort Berlin unverzichtbar
Dieses Phänomen war für die Berliner Modeszene nicht neu. Beispielsweise hatte die Agentur der Berliner Modeschöpferin Leyla Piedayesh für deren Modenschau am 2. Juli 2009 deutlich mehr Einladungskarten ausgegeben, als Sitz- und Stehplätze zur Verfügung gestanden hatten, woraufhin mehr als fünfzig geladene Gäste vor verschlossenen Türen hatten stehenbleiben müssen. Eher eine Spaßveranstaltung, denn eine ernsthafte Präsentation gegenüber den Medien und Einkäufern schien nunmehr am 20. Januar 2011 die Modenschau der Marke „mongrels in common“ zu sein. Auf Akkreditierungsanfragen reagierte die PR-Agentur PRESS FACTORY GMBH mit einem standardisierten Rundschreiben: „Die Location bietet nur begrenzte Plätze und der Schwerpunkt liegt auf den Einkäufern und der Modepresse.“ Derweil wurden über ein „Online“-Portal Eintrittskarten für die gleiche Modenschau an jedermann verlost. Womöglich hing das bei fast allen Veranstaltungen festzustellende Fernbleiben vieler ausländischer Medien und Einkäufer mit der ungünstigen Terminierung der Berliner Modewoche zusammen, denn gleichzeitig veranstalteten die Pariser Modeschöpfer ihre Haute-Couture-Schauen, die in der Regel eine größere Anziehungskraft haben. Ein Unterschied zwischen Berlin und den etablierten Modemetropolen der Welt bestand nach wie vor in den Ausmaßen der Modewoche. Beispielsweise wies das Veranstaltungszelt in New York 1.800 Sitzplätze auf; das Berliner Pendant hatte nur 700 Sitzplätze, die überdies bei international kaum bekannten Modeschöpfern schwierig mit Fachpublikum zu füllen waren.

Der Modestandort Berlin hat auch in anderer Hinsicht ein gravierendes infrastrukturelles Defizit. In Paris gibt es die Fédération Française de la Couture, du Prêt-à-Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode; dazu gehören die Chambre syndicale de la haute couture, die Chambre syndicale de la mode masculine und die Chambre syndicale du prêt-à-porter des couturiers et des créateurs de mode. In London existiert das British Fashion Council (BFC), in Mailand die Camera Nazionale della Moda Italiana (CNMI), in New York das Council of Fashion Designers of America (CFDA). In Berlin hingegen sucht man eine entsprechende Interessenvertretung der Modeschaffenden als zentrale nationale Einrichtung vergebens. In den Pausen und auf den Fahrten zwischen Veranstaltungsorten in Berlin kristallisierte sich bei Gesprächen eine negative Kritik heraus. Sie reichte von Organisationsmängeln über Langeweile bei den Kollektionen bis zur allgemein gedrückten Stimmung. Zur Kollektion der Marke „kaviar gauche“ fiel einer Fachbesucherin bloß ein, sie habe nichts Neues gesehen, denn alle gezeigten Teile wie unter anderem Schlaghosen weise ihr Kleiderschrank schon auf; das Sortiment erinnerte sie vielmehr einer Kaufhausmodenschau, wo die zu zeigenden Teile flugs aus den Regalen und Lagern hervorgekramt worden seien. Dr. Gundula Wolter, die sich über den netzwerk mode textil Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und Modeforschung e. V. für den Modestandort Berlin engagiert und für eine anspruchsvolle Modeberichterstattung einsetzt, fehlten „wichtige Namen“ auf den Laufstegen; mehr internationale Präsenz in Berlin würde das Niveau heben.

An der Bekanntgabe der Termine der einzelnen Modenschauen gegenüber den bei der IMG GmbH akkreditierten Medien auf dem „letzten Drücker“ am 11. Januar 2011 war obendrein zu erkennen, wie kurzfristig das Programm zusammengestellt worden war. Die Marke „JOOP“ war nicht mehr beteiligt, womit ein Zugpferd als spätabendlicher Höhepunkt wegfiel. Der Freitag verlief sogar ohne eine 20 Uhr-Modenschau; das Zelt vereinsamte so schon gegen 19 Uhr. Der Samstag jeder Modewoche ist bekanntlich ein lauer Kehraustag. Gleichwohl wunderten sich zwei erstmals anwesende Photographen aus Hannover nach der letzten Modenschau über das zügige Hinausbitten ohne offizielle feierliche Verabschiedung. Zwei andere Fachbesucherinnen resümierten enttäuscht: „Die Fashion Week Berlin ist gescheitert.“ Ob das Konzept der Berliner Modewoche wirklich gescheitert war, sollte in Zukunft zeigen, wie der Modestandort Berlin auf die Herausforderungen reagierte.

Nichts ist so beständig wie der Wandel
Immerhin sorgten ein paar Modeschöpfer mit ihren Modenschauen für einen Lichtblick. Die Mainzer Modeschöpferin Anja Gockel nutzte die Modewoche als Gelegenheit, das fünfzehnjährige Bestehen ihrer Marke zu feiern, und schickte dazu am 21. Januar 2011 das international bekannte Mannequin Lily Cole über den Laufsteg. Andere Modeschöpfer beschritten mit der Modeinstallation als Alternative zur Laufstegschau neue Wege der Modepräsentation. So standen am 20. Januar 2011 die Mannequins in den Kleidern der von der bunten Stadt New York inspirierten Kollektion der Berliner Modeschöpferin Frida Weyer wie Schaufensterpuppen nebeneinander auf einer Tribüne im Hotel „REGENT“ und konnten in Ruhe von den Besuchern begutachtet werden. Der geregelte Ablauf der Veranstaltung schuf eine entspannte Atmosphäre. Die Münchener Modeschöpferin Claudia [von] Schacky arrangierte am 21. Januar 2011 im Hotel „HOTEL DE ROME“ eine exquisite Damenrunde in hochwertiger Stretchleder- und Pelzkleidung; auch angesichts der ausgewählten Mannequins wähnte man sich inmitten einer Zusammenkunft moderner allrussischer Großfürstinnen. Der Berliner Modeschöpfer Michael Sontag positionierte am 21. Januar 2011 in der Veranstaltungsstätte „Römischer Hof“ die Mannequins wie Exponate einer anthropologischen Ausstellung; seine Kleider umhüllten zart die filigranen weiblichen Körper.

Viele Modeschöpfer setzten auf transparente Oberteile; ansonsten trat Schwarz als Trendfarbe der Saison hervor. Trotz innovativer Ansätze ist die Wirkung des Modestandortes Berlin begrenzt. Für die Modeschöpfer kommt es letztlich auf die Einkäufer an, denn sie wollen ihre Kleider verkaufen und davon leben, was, für sich genommen, nichts Verwerfliches ist; auch Theaterleute, Schriftsteller, bildende Künstler und Musiker wollen von ihrer Kunst leben. Bei den diesjährigen Modenschauen waren wohl zu wenig Einkäufer anwesend. Neben den Modejournalisten und „Prominenten“ fanden sich auf den vorderen Sitzplätzen des Veranstaltungszeltes nach Auskunft der Organisatoren vorwiegend Modeblogger wieder. Auf den hinteren Plätzen tummelten sich Leute, die an die Berliner Spaßgesellschaft denken ließen, und zwar nach der Regel: je „aufgebrezelter“ das äußere Erscheinungsbild, desto geringer die soziale Bedeutung. Der Modeschöpfer Gregor Clemens hatte einmal seinen Wegzug aus Berlin nach London mit dem mangelnden Interesse an seinen Kollektionen erklärt; in Berlin habe man lediglich auf seine Kosten feiern wollen.

Die Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ war das größte und bedeutendste Ereignis der Berliner Modewoche, aber beileibe nicht das einzige. Der Münchener Modeschöpfer Guido Maria Kretschmer hatte sich von dieser Reihe gelöst und arbeitete nun mit der BMW AG als Sponsorin zusammen. Mit seiner neuen Kollektion, die er am 19. Januar 2011 in der Veranstaltungsstätte „e-werk“ unter dem Motto „BOULEVARD D’HIVER“ vorstellte, insbesondere mit seinen extravaganten Abendkleidern, konnte er die Zuschauer von den Stühlen reißen und damit die an ihn gerichteten Erwartungen aufs Neue erfüllen. Danach ließ er es sich nicht nehmen, selbst einen neuen Wagen der Sponsorin auf den Laufsteg zu fahren. Ohne an der Veranstaltungsreihe beteiligt zu sein, nutzten die Berliner Modeschöpferinnen Juliane Binroth und Alicia Losekandt mit ihrer Marke „JULICE EN RÊVE“ zusammen mit den Machern der Marke „PAPPBRILLE“ die Gunst der Stunde und organisierten am 19. Januar 2011 vor den Türen des Zeltes einen „Flashmob“ – eine „online“ initiierte, spontane Zusammenkunft – als Modenschau. Ein Wagen hielt an, die Tür ging auf, ein roter Teppich entrollte sich, die Mannequins stiegen aus und die Schau ging los. So war eine gewisse Aufmerksamkeit bei den Besuchern der fremden Modenschauen und bei Passanten für die Präsentation ihrer aktuellen Kollektionen garantiert. Eigene Wege gingen ebenfalls die Veranstalter der Modenschau „SHOW1811“ am 18. Januar 2011 und der Veranstaltung „FASHION Rock Night 2011“ am 20. Januar 2011. Die Modenschau „SHOW1811“ erhielt nicht den erhofften Zuspruch, weil in der Kunsthalle „tacheles“ die erste Reihe mit den für geladene Gäste reservierten Sitzplätzen leer blieb, bis diese freien Plätze ersatzweise an Photographen vergeben wurden. Über die Veranstaltung „FASHION Rock Night 2011“ am 20. Januar 2011 in der Veranstaltungshalle „KESSELHAUS“ urteilte ein Gast, sie habe an Ausbeutung gegrenzt, da die zahlenden Besucher mit ihren 35 Euro-Eintrittskarten oder 150 Euro-VIP-Karten das Amusement der geladenen „Promis“ auf der abgeschirmten Galerie zu finanzieren gehabt hätten; die Mode sei nebensächlich gewesen.

Luxus und Umwelt sind keine Gegensätze
Die „Ökomode“ beziehungsweise „grüne Mode“ ist mittlerweile ein fester Bestandteil des Konzeptes der Berliner Modewoche. Bei dieser Art Mode geht es im wesentlichen um umweltfreundlich hergestellte und verarbeitete Textilien; daneben bilden zuweilen Naturfasern wie Hanf und Bambus den Schwerpunkt. Überdies gewinnt der faire Handel an Bedeutung. Dafür war innerhalb der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ die Veranstaltung „GREEN showroom“ vom 19. Januar 2011 bis zum 21. Januar 2011 im Hotel „ADLON“ vorgesehen. Dazu erklärten die Gründerinnen Jana Keller und Magdalena Schaffrin: „Luxus bedeutet für uns wahre Güte – Labels mit Inhalt, Produkte, die eine Geschichte zu erzählen haben, Arbeitsweisen mit Rücksicht auf die Natur und in erster Linie durch das Design bestechend.“ In einigen Hotelzimmern stellten sich Modeschöpfer mit ihren Konzepten und Entwürfen vor. Präsent waren dreißig internationale Marken. Höhepunkt der Veranstaltung war die Salonmodenschau am 21. Januar 2011 mit den Marken „braintree“ aus London, „CHRISTINA KRÄMER collection“ aus Zürich, „ica watermelon“ aus Berlin, „lana natural wear“ aus Aachen, „MIKENKE“ aus Berlin, „MÜHLMANN“ aus Außervillgraten in Österreich, „RoyalBLUSH“ aus Birsfelden in der Schweiz und „STUDIO ECOCENTRIC“ aus Berlin.

Die Fachmesse „thekey.to“ vom 20. Januar 2011 bis zum 22. Januar 2011 in der Konzerthalle „columbiahalle“ war auch der „Ökomode“ beziehungsweise „grünen Mode“ gewidmet. Die Modenschau am 20. Januar 2011 verlief jedoch weitestgehend im Dunkeln; die Kleider waren bei dem dürftigen, auf die Mannequins gerichteten „Spotlight“ schlecht zu sehen. Nach der Modenschau war eine weitere Recherche über die unter der Schirmherrschaft der Politikerin Renate Künast stehenden Veranstaltung unmöglich, denn auf die Bitte, einen Ansprechpartner genannt zu bekommen, hieß es von einem Mitarbeiter: „Raus hier! Sofort raus!“. Ebenfalls für umweltfreundliche Mode stand die Veranstaltungsreihe „lavera SHOWFLOOR BERLIN“ vom 19. Januar 2011 bis zum 21. Januar 2011 mit mehreren Modenschauen in der Veranstaltungsstätte „UMSPANNWERK KREUZBERG“. Hier agierte der Hersteller der Naturkosmetika „lavera“ als Unterstützer. Eine Fachbesucherin schilderte gegen Ende der Modewoche ihren Eindruck, wonach die Berliner Modeszene lieber unter sich bleiben wolle und demzufolge an der Herstellung von Öffentlichkeit kaum interessiert sei.

Der Modestandort Berlin ist Vorreiter bei der „Ökomode“
Obendrein sollen Beteiligte nicht unbeachtet bleiben, ohne die eine klassische Modenschau nicht auskommt: die gelegentlich als „Kleiderständer“ titulierten Mannequins. Bei ihnen waren erneut beachtliche Qualitätsunterschiede erkennbar. Der wahre Wert der Fernsehsendung „GERMANY’S NEXT topmodel by Heidi Klum“ offenbarte sich beim genauen Betrachten der wenigen Auftritte der Kandidatinnen. Über die frühere Siegerin Barbara Meier sagte ein weiblicher Gast: „Die ist gelaufen wie eine Magd.“ In der Tat war deren Laufart kein anmutiges Schreiten, sondern ein Trampeln. Demgegenüber fiel das russische Mannequin Regina Murtazina mit einer starken Präsenz – quantitativ und qualitativ – positiv auf. Sie war bei den meisten Modenschauen zu sehen und überzeugte das Publikum durch Routine, eine gute Körperbeherrschung und einen souveränen Gesichtsausdruck. Das erfahrene Berliner Mannequin Oumy Sakho hingegen, das auf der Modenschau des Modeschöpfers Guido Maria Kretschmer zu lange am Ende des Laufsteges posierte, hatte sich deswegen ein harsches „Go!“ von den Photographen anzuhören. Überhaupt taten sich vornehmlich ausländische Mannequins mit internationaler Erfahrung durch ihr professionelles Auftreten hervor. Das „offizielle Gesicht“ der eingangs erwähnten Veranstaltungsreihe, das tschechische Mannequin Karolína Kurková, bestach durch ihren selbstsicheren und selbstbewußten Umgang mit Journalisten, Photographen und Gästen. Beispielsweise nahm sie sich für jeden Photographen Zeit, um ihm Gelegenheit für gute Aufnahmen zu geben. Als sie einmal von ihren Begleitern zum Weitergehen gedrängt wurde, entgegnete sie ihnen: „It’s my turn!“ So einfach war es klarzustellen, wer der eigentliche Star war.

Die einheimischen „Möchtegern-Modelle“ mit ihren vermeintlichen Starallüren zickten derweil herum und befolgten unterwürfig die Direktiven ihrer Agenten. So erging es einem Berliner Lokalsender mit der damaligen Sängerin Marie Nasemann, deren Agentin anordnete: „Keine Interviews!“. Desungeachtet waren die ehemaligen Kandidatinnen der Fernsehsendung eher als „Celebrities“ in den Zuschauerreihen und Lobbies sowie an den Tanzflächen, denn als wirkliche Mannequins auf den Laufstegen zu sehen. Die Sendung hatte weniger taugliche Mannequins, sondern mehr „Prominente“ für den Einsatz auf „Events“ hervorgebracht. Eingedenk dessen machte unter den Besuchern ein Witz die Runde: das deutsche Alphabet hat nicht genug Buchstaben, um solche Leute nach den A- bis Z-Prominenten noch klassifizieren zu können. Wenn in Paris die berühmte Schauspielerin Catherine Deneuve beim Modeschöpfer Yves Saint Laurent in der ersten Reihe gesessen hatte, dann hatte dies mit ihrer persönlichen Beziehung zueinander eine andere Qualität gehabt; sie war seine inspirierende Muse gewesen. In Berlin stellte sich unweigerlich die Frage, ob es der Konzeption der Berliner Modewoche zuträglich ist, wenn der inszenierte „Promi-Kult“ die Mode, um die es eigentlich gehen soll, immer mehr in den Hintergrund drängt und die Modenschau dann bloß eine Kulisse zur Selbstdarstellung scheinbarer Prominenter, abgehalfteter Stars und gewerbsmäßiger „Celebrities“ abgibt.

Abseits der Berliner Modewoche machte der kreative Nachwuchs auf sich aufmerksam. Am 26. Februar 2011 stellte sich die AMD Akademie Mode & Design GmbH (AMD) dem interessierten Publikum mit der Modenschau „DIVERSITY WORK IN PROGRESS + FINAL WORK“ in der Villa Elisabeth vor. Die Modenschau „ON STAGE“ der ESMOD Via Thea GmbH im Revuetheater „FRIEDRICHSTADTPALAST“ folgte am 8. Juni 2011. Beispielhaft für den beruflichen Werdegang von „ESMOD“-Absolventen war der Weg der Berliner Modeschöpferin Lana Mueller. Nach dem Verlassen der Modeschule im Jahre 2008 hatte sie erste Erfahrungen bei dem New Yorker Modeschöpfer Zac Posen gesammelt und sich im Jahre 2010 mit ihrer eigenen Marke selbständig gemacht. Am 11. Februar 2011 zeigte sie auf der Modenschau „VIP Fashion Show“ in einem Berliner Laden für Brautmoden ihre neue Kollektion; im Zentrum ihres Schaffens standen glamouröse Abendroben. Zu guter Letzt veranstaltete das Berufsausbildungszentrum Lette-Verein Stiftung des öffentlichen Rechtes am 26. Juni 2011 im Schöneberger Gasometer die Modenschau „360°“.


Weitere Bilder



█ INHALTSVERZEICHNIS █ ARCHIV █ KALENDER █ IMPRESSUM