Nach der Pleite mit der Icon Fashion Group AG als Investorin wagten die Berliner Modeschöpfer Klaus Unrath und Ivan Strano den Neuanfang und meldeten sich mit einer neuen, gelungenen Kollektion, die sie auf einer Modenschau der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ am 20. Januar 2011 zeigten, in der Berliner Modeszene zurück. Als Ort hatten sie sich das eigens für die Reihe errichtete Zelt neben der Staatsoper Unter den Linden ausgesucht. Eine gute Modenschau macht nicht alleine das Vorzeigen einzelner Kleider in einer bestimmten Reihenfolge aus. Es bedarf einer in sich stimmigen Kollektion, einer geordneten Choreographie, einer dazu passenden Musik, begabter und in ihre Rolle eingewiesener Laufstegmodelle, einer Einbindung der Presse sowie – nicht zuletzt für einen reibungslosen Ablauf – einer hervorragenden Organisation und Gästebetreuung. Die Form ist genauso wichtig wie der Inhalt. Für einen Wirtschaftsstandort sind auch Organisationsbelange ein wichtiger Standortfaktor; ein schlecht organisiertes Unternehmen oder eine schlecht organisierte Veranstaltung weckt bei potentiellen Geschäftspartnern Zweifel an der Zuverlässigkeit des Unternehmers für eine fruchtbare Zusammenarbeit, was ein Unternehmer, der bei allen Härten des Marktes überleben will, nicht außer acht lassen darf. So erweisen sich besonders für Modeschöpfer in Berlin Organisationsmängel als Problemkreis besonderer Art.
Arg traf es diesmal Klaus Unrath und Ivan Strano, denn nahezu alles, was über die Präsentation ihrer Kollektion hinausging, nämlich die Organisation, Gästebetreuung und Pressearbeit, war mangelhaft. Es begann mit einer schleppenden Abfertigung der Gäste vor der Modenschau; das Chaos bei der Durchsicht der Gästelisten und der Aushändigung der Sitzplatzkarten führte zu einer langen Warteschlange, die bis auf den winterlich kalten Bebelplatz reichte. Die rf medien gmbh als PR-Agentur bekam das Problem nicht in den Griff. Eine Besucherin meinte hinterher allgemein zur Abfertigungsprozedur, eine Agentur müsse schon sehr dumm sein, wenn sie Namenslisten in kaum lesbarer Schriftgröße 6 ausdrucke. Das Sicherheitspersonal des Zeltes der Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ munkelte schon: „Wir müssen die Gäste jetzt so einlassen. Sonst verreißt uns morgen die Presse.“ In der Tat durften die Gäste nach geraumer Zeit mit bloßer Einladungskarte eintreten, wodurch ein Tumult verhindert wurde. Auch in anderen Bereichen verhielt sich das Zeltpersonal nach der Eingewöhnungsphase in den Anfangsjahren 2007 und 2008 mittlerweile professionell; wer wie die amerikanische IMG-Gruppe als Veranstalterin international agiert, kann auf die Einhaltung internationaler Standards nicht verzichten.
In einer funktionierenden Wirtschaftsordnung ist für einen Unternehmer die gute Organisation seines Unternehmens zum erfolgreichen Wirtschaften und damit zum Überleben unverzichtbar. Dies gilt entsprechend für kulturelle Einrichtungen. Bei unternehmerisch tätigen Modeschöpfern ist für eine überzeugende Modepräsentation eine gute Organisation der Veranstaltung ebenso wichtig wie eine ansprechende Kollektion, denn für die Rezipienten ist der Gesamteindruck entscheidend. In der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Beteiligten zur konstruktiven Mitarbeit offenbarte sich eine schlechte Arbeitsmoral, der man bei Berliner Modenschauen leider nicht immer entgehen konnte. Die hier offen zutage getretene Beratungsresistenz war von jeher der Ausdruck einer Haltung, in der eigenen Mittelmäßigkeit schon eine Höchstleistung zu erblicken. Einen solchen wie den beschriebenen Zustand hatte der ehemalige Fußballspieler und Fernsehkommentator Günter Netzer im Jahre 2004 in Richtung auf die damalige Fußballnationalmannschaft auf den Punkt gebracht: „Selbst wenn sie wollten, könnten sie es nicht.“ Die Misere bei Klaus Unrath und Ivan Strano war ein abschreckendes Beispiel.
Die Liste der Einzelfälle und Problempunkte wurde zusehends länger. Es ging um den Verbesserungsbedarf bei den Leistungen der Choreographen und Mannequins, um den ausufernden „Promi-Kult“ bei den Gästen sowie um die Kommunikationsprobleme zwischen den Modeschöpfern und PR-Agenturen einerseits und der Presse als Multiplikator fürs Anliegen der Modeschöpfer andererseits. Anfangsschwierigkeiten wie in den Vorjahren lagen in der Natur der Sache, doch für ein Weiterbestehen und eine Fortentwicklung des Modestandortes Berlin durften grundlegende Probleme nicht länger ignoriert werden. Es galt dazuzulernen. Über die Zählebigkeit der hausgemachten Probleme vermochte sogar die gekünstelte Heiterkeit mancher Anwesender nicht hinwegzutäuschen. Schönreden und Schönschreiben half der Sache ebensowenig. Die Regelmäßigkeit gewisser Mängel bei den Veranstaltungen der Berliner Modewochen nährte allmählich Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Zukunftsfähigkeit des Modestandortes Berlin. Um vorerst zumindest einen Zustand geringerer Problemanfälligkeit zu erreichen und damit international ein besseres Bild abzugeben, bedurfte es umgehender Anstrengungen. Eine allgemeine Lebensweisheit galt übrigens auch für die Berliner Modewoche: gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht.
Der Modestandort Berlin hat auch in anderer Hinsicht ein gravierendes infrastrukturelles Defizit. In Paris gibt es die Fédération Française de la Couture, du Prêt-à-Porter des Couturiers et des Créateurs de Mode; dazu gehören die Chambre syndicale de la haute couture, die Chambre syndicale de la mode masculine und die Chambre syndicale du prêt-à-porter des couturiers et des créateurs de mode. In London existiert das British Fashion Council (BFC), in Mailand die Camera Nazionale della Moda Italiana (CNMI), in New York das Council of Fashion Designers of America (CFDA). In Berlin hingegen sucht man eine entsprechende Interessenvertretung der Modeschaffenden als zentrale nationale Einrichtung vergebens. In den Pausen und auf den Fahrten zwischen Veranstaltungsorten in Berlin kristallisierte sich bei Gesprächen eine negative Kritik heraus. Sie reichte von Organisationsmängeln über Langeweile bei den Kollektionen bis zur allgemein gedrückten Stimmung. Zur Kollektion der Marke „kaviar gauche“ fiel einer Fachbesucherin bloß ein, sie habe nichts Neues gesehen, denn alle gezeigten Teile wie unter anderem Schlaghosen weise ihr Kleiderschrank schon auf; das Sortiment erinnerte sie vielmehr einer Kaufhausmodenschau, wo die zu zeigenden Teile flugs aus den Regalen und Lagern hervorgekramt worden seien. Dr. Gundula Wolter, die sich über den netzwerk mode textil Interessenvertretung der kulturwissenschaftlichen Textil-, Kleider- und Modeforschung e. V. für den Modestandort Berlin engagiert und für eine anspruchsvolle Modeberichterstattung einsetzt, fehlten „wichtige Namen“ auf den Laufstegen; mehr internationale Präsenz in Berlin würde das Niveau heben.
An der Bekanntgabe der Termine der einzelnen Modenschauen gegenüber den bei der IMG GmbH akkreditierten Medien auf dem „letzten Drücker“ am 11. Januar 2011 war obendrein zu erkennen, wie kurzfristig das Programm zusammengestellt worden war. Die Marke „JOOP“ war nicht mehr beteiligt, womit ein Zugpferd als spätabendlicher Höhepunkt wegfiel. Der Freitag verlief sogar ohne eine 20 Uhr-Modenschau; das Zelt vereinsamte so schon gegen 19 Uhr. Der Samstag jeder Modewoche ist bekanntlich ein lauer Kehraustag. Gleichwohl wunderten sich zwei erstmals anwesende Photographen aus Hannover nach der letzten Modenschau über das zügige Hinausbitten ohne offizielle feierliche Verabschiedung. Zwei andere Fachbesucherinnen resümierten enttäuscht: „Die Fashion Week Berlin ist gescheitert.“ Ob das Konzept der Berliner Modewoche wirklich gescheitert war, sollte in Zukunft zeigen, wie der Modestandort Berlin auf die Herausforderungen reagierte.
Viele Modeschöpfer setzten auf transparente Oberteile; ansonsten trat Schwarz als Trendfarbe der Saison hervor. Trotz innovativer Ansätze ist die Wirkung des Modestandortes Berlin begrenzt. Für die Modeschöpfer kommt es letztlich auf die Einkäufer an, denn sie wollen ihre Kleider verkaufen und davon leben, was, für sich genommen, nichts Verwerfliches ist; auch Theaterleute, Schriftsteller, bildende Künstler und Musiker wollen von ihrer Kunst leben. Bei den diesjährigen Modenschauen waren wohl zu wenig Einkäufer anwesend. Neben den Modejournalisten und „Prominenten“ fanden sich auf den vorderen Sitzplätzen des Veranstaltungszeltes nach Auskunft der Organisatoren vorwiegend Modeblogger wieder. Auf den hinteren Plätzen tummelten sich Leute, die an die Berliner Spaßgesellschaft denken ließen, und zwar nach der Regel: je „aufgebrezelter“ das äußere Erscheinungsbild, desto geringer die soziale Bedeutung. Der Modeschöpfer Gregor Clemens hatte einmal seinen Wegzug aus Berlin nach London mit dem mangelnden Interesse an seinen Kollektionen erklärt; in Berlin habe man lediglich auf seine Kosten feiern wollen.
Die Veranstaltungsreihe „Mercedes-Benz FASHIONWEEK BERLIN autumn/winter 2011“ war das größte und bedeutendste Ereignis der Berliner Modewoche, aber beileibe nicht das einzige. Der Münchener Modeschöpfer Guido Maria Kretschmer hatte sich von dieser Reihe gelöst und arbeitete nun mit der BMW AG als Sponsorin zusammen. Mit seiner neuen Kollektion, die er am 19. Januar 2011 in der Veranstaltungsstätte „e-werk“ unter dem Motto „BOULEVARD D’HIVER“ vorstellte, insbesondere mit seinen extravaganten Abendkleidern, konnte er die Zuschauer von den Stühlen reißen und damit die an ihn gerichteten Erwartungen aufs Neue erfüllen. Danach ließ er es sich nicht nehmen, selbst einen neuen Wagen der Sponsorin auf den Laufsteg zu fahren. Ohne an der Veranstaltungsreihe beteiligt zu sein, nutzten die Berliner Modeschöpferinnen Juliane Binroth und Alicia Losekandt mit ihrer Marke „JULICE EN RÊVE“ zusammen mit den Machern der Marke „PAPPBRILLE“ die Gunst der Stunde und organisierten am 19. Januar 2011 vor den Türen des Zeltes einen „Flashmob“ – eine „online“ initiierte, spontane Zusammenkunft – als Modenschau. Ein Wagen hielt an, die Tür ging auf, ein roter Teppich entrollte sich, die Mannequins stiegen aus und die Schau ging los. So war eine gewisse Aufmerksamkeit bei den Besuchern der fremden Modenschauen und bei Passanten für die Präsentation ihrer aktuellen Kollektionen garantiert. Eigene Wege gingen ebenfalls die Veranstalter der Modenschau „SHOW1811“ am 18. Januar 2011 und der Veranstaltung „FASHION Rock Night 2011“ am 20. Januar 2011. Die Modenschau „SHOW1811“ erhielt nicht den erhofften Zuspruch, weil in der Kunsthalle „tacheles“ die erste Reihe mit den für geladene Gäste reservierten Sitzplätzen leer blieb, bis diese freien Plätze ersatzweise an Photographen vergeben wurden. Über die Veranstaltung „FASHION Rock Night 2011“ am 20. Januar 2011 in der Veranstaltungshalle „KESSELHAUS“ urteilte ein Gast, sie habe an Ausbeutung gegrenzt, da die zahlenden Besucher mit ihren 35 Euro-Eintrittskarten oder 150 Euro-VIP-Karten das Amusement der geladenen „Promis“ auf der abgeschirmten Galerie zu finanzieren gehabt hätten; die Mode sei nebensächlich gewesen.
Die Fachmesse „thekey.to“ vom 20. Januar 2011 bis zum 22. Januar 2011 in der Konzerthalle „columbiahalle“ war auch der „Ökomode“ beziehungsweise „grünen Mode“ gewidmet. Die Modenschau am 20. Januar 2011 verlief jedoch weitestgehend im Dunkeln; die Kleider waren bei dem dürftigen, auf die Mannequins gerichteten „Spotlight“ schlecht zu sehen. Nach der Modenschau war eine weitere Recherche über die unter der Schirmherrschaft der Politikerin Renate Künast stehenden Veranstaltung unmöglich, denn auf die Bitte, einen Ansprechpartner genannt zu bekommen, hieß es von einem Mitarbeiter: „Raus hier! Sofort raus!“. Ebenfalls für umweltfreundliche Mode stand die Veranstaltungsreihe „lavera SHOWFLOOR BERLIN“ vom 19. Januar 2011 bis zum 21. Januar 2011 mit mehreren Modenschauen in der Veranstaltungsstätte „UMSPANNWERK KREUZBERG“. Hier agierte der Hersteller der Naturkosmetika „lavera“ als Unterstützer. Eine Fachbesucherin schilderte gegen Ende der Modewoche ihren Eindruck, wonach die Berliner Modeszene lieber unter sich bleiben wolle und demzufolge an der Herstellung von Öffentlichkeit kaum interessiert sei.
Die einheimischen „Möchtegern-Modelle“ mit ihren vermeintlichen Starallüren zickten derweil herum und befolgten unterwürfig die Direktiven ihrer Agenten. So erging es einem Berliner Lokalsender mit der damaligen Sängerin Marie Nasemann, deren Agentin anordnete: „Keine Interviews!“. Desungeachtet waren die ehemaligen Kandidatinnen der Fernsehsendung eher als „Celebrities“ in den Zuschauerreihen und Lobbies sowie an den Tanzflächen, denn als wirkliche Mannequins auf den Laufstegen zu sehen. Die Sendung hatte weniger taugliche Mannequins, sondern mehr „Prominente“ für den Einsatz auf „Events“ hervorgebracht. Eingedenk dessen machte unter den Besuchern ein Witz die Runde: das deutsche Alphabet hat nicht genug Buchstaben, um solche Leute nach den A- bis Z-Prominenten noch klassifizieren zu können. Wenn in Paris die berühmte Schauspielerin Catherine Deneuve beim Modeschöpfer Yves Saint Laurent in der ersten Reihe gesessen hatte, dann hatte dies mit ihrer persönlichen Beziehung zueinander eine andere Qualität gehabt; sie war seine inspirierende Muse gewesen. In Berlin stellte sich unweigerlich die Frage, ob es der Konzeption der Berliner Modewoche zuträglich ist, wenn der inszenierte „Promi-Kult“ die Mode, um die es eigentlich gehen soll, immer mehr in den Hintergrund drängt und die Modenschau dann bloß eine Kulisse zur Selbstdarstellung scheinbarer Prominenter, abgehalfteter Stars und gewerbsmäßiger „Celebrities“ abgibt.
Abseits der Berliner Modewoche machte der kreative Nachwuchs auf sich aufmerksam. Am 26. Februar 2011 stellte sich die AMD Akademie Mode & Design GmbH (AMD) dem interessierten Publikum mit der Modenschau „DIVERSITY WORK IN PROGRESS + FINAL WORK“ in der Villa Elisabeth vor. Die Modenschau „ON STAGE“ der ESMOD Via Thea GmbH im Revuetheater „FRIEDRICHSTADTPALAST“ folgte am 8. Juni 2011. Beispielhaft für den beruflichen Werdegang von „ESMOD“-Absolventen war der Weg der Berliner Modeschöpferin Lana Mueller. Nach dem Verlassen der Modeschule im Jahre 2008 hatte sie erste Erfahrungen bei dem New Yorker Modeschöpfer Zac Posen gesammelt und sich im Jahre 2010 mit ihrer eigenen Marke selbständig gemacht. Am 11. Februar 2011 zeigte sie auf der Modenschau „VIP Fashion Show“ in einem Berliner Laden für Brautmoden ihre neue Kollektion; im Zentrum ihres Schaffens standen glamouröse Abendroben. Zu guter Letzt veranstaltete das Berufsausbildungszentrum Lette-Verein Stiftung des öffentlichen Rechtes am 26. Juni 2011 im Schöneberger Gasometer die Modenschau „360°“.