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Schlußstrich Miami Beach

Gianni Versaces Aufstieg und Fall auf der Theaterbühne

Medusenhaupt als Markenlogo – eine Modepräsentation „VERSACE“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen und Christiane Leonhardt — 1. Dezember 2016
Daß das Leben von Modeschöpfern eher bunt und manchmal gar schillernd ist, braucht nicht besonders erwähnt zu werden. Beim italienischen Modeschöpfer Gianni Versace verhält es sich insoweit anders, als er am 15. Juli 1997 vor dem eigenen Hause in Miami Beach vom Callboy und polizeilich gesuchten Serienmörder Andrew Phillip Cunanan erschossen wurde. Zum glitzernden Leben und gewaltsamen Sterben Gianni Versaces schufen der englische Regisseur Martin Butler und die Berliner Musikgruppe „Brandt Brauer Frick“ ein modernes Singspiel.

In der Deutschen Oper Berlin, genauer gesagt in der sogenannten Tischlerei, wurde das fertige Stück „GIANNI“ nach der Uraufführung am 1. Oktober 2016 bis zum 15. Oktober 2016 mehrmals aufgeführt. In dieser musikalischen Parabel wird Gianni Versaces Lebensweg nachgezeichnet: der Anfang als kalabrischer Schneider und Stoffeinkäufer aus einfachen Verhältnissen, danach die kometenhafte Karriere als weltberühmter kreativer Kopf, sodann die Herrschaft über ein Modeimperium sowie das abrupte, tragische Ende. Auf diesem Wege geht es um Begierde und Verehrung, um das Versprechen von Schönheit und Jugend, um das Ausleben der Macht, um den Genuß des Reichtumes wie auch um eine Verheißung unbegrenzter sexueller Potenz. Mode wird erlebbar als alltägliche Inszenierung des Einzelnen, wo Sein und Schein nicht mehr voneinander zu trennen sind. Der Laufsteg wird zur Bühne für eitle „Stardesigner“ und zickige „Supermodels“. Zum „Hohenpriester“ dieser glamourösen Modewelt wird ein Modeschöpfer dann, wenn es ihm gelingt, nicht nur die Mode seiner Zeit zu prägen, sondern auch „den Zeitgeist mit dem Versprechen zu verbinden, existenzielle menschliche Glückserwartungen wahr werden zu lassen“. In einem solchen Sinne erscheint hier Gianni Versace. Dem Charakter nach war das Stück eine Synthese aus Modenschauelementen, „Urban-Dance-Moves“ und Vogue Balls im Stile der New Yorker Subkultur in den 1980er Jahren, wo sich die Selbstinszenierung als jemand anderes aus einer Wunsch- oder Glamourwelt und hochvirtuose Tanzstile miteinander verbunden hatten. Auf der Bühne fungierte die Amsterdamer „Voguingqueen“ Amber Vineyard als passende Zeremonienmeisterin; ihr zur Seite standen Alexander Geist – der Musikkanal „noisey“ des Senders „VICE“ hatte ihn zum neuen „Boy Hero“ der Popmusik ausgerufen – als Medusa und John, die Sopranistin Claron McFadden als Pythia sowie Seth Carico, ein Mitglied im Ensemble der Deutschen Oper Berlin, als Andrew.

Gerade durch den massiven Einsatz von Schlaginstrumenten hämmerte und donnerte die laute Musik so, wie es sowohl für einen Berliner Club wie beispielsweise den Club „Berghain“ üblich als auch bei etlichen Modenschauen gang und gäbe ist; derart wurde für Gianni Versace noch einmal, wenngleich posthum, buchstäblich die Werbetrommel gerührt. Die genauen Umstände seines Todes bleiben zumindest so mysteriös wie die von ihm selbst zum Markenlogo erwählte Medusa aus der griechisch-römischen Sagenwelt. Die eindeutigen Anspielungen auf dessen Homosexualität rückten wieder die Frage in den Mittelpunkt, ob es über den bloßen Tötungsakt hinaus irgendeine, womöglich sexuelle Beziehung zwischen Täter und Opfer gegeben hatte. Immerhin hatte der damalige Lebensgefährte, das ehemalige Mannequin Antonio D’Amico, tatsächlich erklärt, er glaube nicht an eine kolportierte Affäre. Es ist allerdings festzuhalten, daß es sich bei Gianni Versaces Vita um einen für die ganze Modewelt zwar spektakulären, aber atypischen Einzelfall handelt, so daß ein allzu verengter Blick auf dieses Geschehen davon ablenkt, daß die Modeszene im großen und ganzen längst nicht so sensationell ist, wie es einem Außenstehenden vorkommt oder wie es einem die meisten – fachlich kaum involvierten – Medien weismachen wollen. Entgegen den kursierenden Klischees ist sie trotz kreativer Atmosphäre und mancher sinnlichen Annehmlichkeiten ein weitgehend routinierter wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb mit soliden Beteiligten. Die Gefahr ist zu groß, daß eigene falsche Vorstellungen, sogar wenn sie sich aus gelegentlichen, also nicht repräsentativen Einblicken speisen, auf die Modewelt im allgemeinen und auf Gianni Versace im besonderen projiziert werden. Es kommt hinzu, daß es in Berlin zu Paris, Mailand, New York und London vergleichsweise einfacher, ruhiger und biederer zugeht, was vielleicht auch daran liegt, daß Berlin diesen Modemetropolen gegenüber immer noch eine Modeprovinz ist. Insofern dürfen eventuelle Frustrationen über die nicht zufriedenstellende Lage in Berlin, insbesondere über den Mangel an Glamour, nicht zu einer Verklärung des bewunderten, doch unerreichten Leitbildes führen. Daß das behandelte Thema die Berliner Modeszene dennoch nicht unberührt ließ, zeigte sich daran, daß der Modeschöpfer Michael Michalsky mit einem Begleiter am 14. Oktober 2016 zum interessierten Publikum gehörte.

Nichtsdestoweniger präsentierten in aller Ruhe die Münchener Modeschöpferinnen Jelena Hofmann und Sedina Halilovic auf dem Berliner Messegelände im Rahmen der Messe „IFA CONSUMER ELECTRONICS UNLIMITED“ vom 2. September 2016 bis zum 7. September 2016 die Kollektion ihrer Marke „holy Ghost“ für den Frühling und Sommer 2017. Unter dem Motto „Desert Rose“ zeigten sie mehrmals täglich eine Menge Seide mit schönen Drucken. Fast schon lahm und müde verlief in Berlin hingegen die unter dem Motto „A Global Celebration of Fashion“ stehende Veranstaltung „VOGUE FASHION'S NIGHT OUT“ am 8. September 2016. Wohingegen die vergleichbare Veranstaltung in Mailand am 20. September 2016 mit vielen attraktiven Aktionen unzählige Menschen ins Stadtzentrum lockte und dort überall eine Volksfeststimmung aufkommen ließ, war in Berlin bei den wenigen an der Veranstaltung beteiligten Modeläden und Warenhäusern kaum etwas anderes als die gewöhnliche Bräsigkeit und Langeweile zu spüren. Eine photographische Aktion mit vorab ausgewählten Freizeitmodellen in einem Zirkusambiente im Einkaufszentrum „BIKINI BERLIN“ als Veranstaltungshöhepunkt war da ein toller Ansatz, aber angesichts der überschaubaren Anzahl Besucher eben nicht genug. In Berlin muß es besser werden.


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