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Stürmische Höhen

Eine Große Oper für die Mode

Das Palais Garnier der Nationaloper von Paris – Stätte der Modenschau „Heaven Gaia“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 20. November 2016
Mode aus China ist im Kommen. Es ist kaum zu übersehen, daß sich in letzter Zeit immer mehr chinesische Modeschöpfer mit ihren kreativen Ideen in Paris wie auch in Mailand vorstellten. Im Bereiche der Couture stellen die Libanesen trotz vermehrter Auftritte von Chinesen nach wie vor die stärkste ausländische Gruppe in Paris; wie verhält es sich jedoch bei der Prêt-à-porter-Bekleidung?

Die Marke „Heaven Gaia“, welche die chinesische Modeschöpferin Xiong Ying (Xiur) zusammen mit ihrer Freundin Wang Tingying im Jahre 2013 gründete, steht laut eigener Beschreibung dafür, eine unsichtbare Tür zu öffnen, Tradition und Moderne, Osten und Westen, Kunst und Leben, Mensch und Natur zu verbinden sowie chinesische Weisheit und Ästhetik zu interpretieren. Für den Frühling und Sommer 2017 entwarf Xiong Ying eine Kollektion mit aufwendigen Dessins, wobei Sie sich auf das heimische Handwerk konzentrierte. Sie mischte mittels Wassertauchdruckes behandelte Seide, traditionelle Suzhou-Stickereien, Seidentapisserien und handgefertigte Drucke. In der Kollektion brachte sie auch ein paar gefiederte Verzierungen auf den Kleidern und Details wie Mandarinkragen und verdeckte Knopfleisten unter. Weiß beherrschte die Kollektion, was Schattierungen vornehmlich in Blaßgrün und Lila etwas abstuften, während Rot, Hochviolett und Schwarz dagegen farbliche Akzente setzten. Ein Blickfang war das Kleid mit blauen und weißen Porzellanplatten, die ein Kettengeflechtmieder darstellten. Daneben sahen runde, durchsichtige, mit ausgewaschenen Tuschmotiven gefüllte Fenster auf anderen Kleidungsstücken wie Fächer in Paddelform aus. Die durchdachten Entwürfe nahmen der Kollektion keineswegs eine gewisse Leichtigkeit. Die Modenschau am 5. Oktober 2016 in dem Palais Garnier, der Heimstätte der Nationaloper von Paris, – es war die erste Modenschau überhaupt – war ein echter Genuß. Das erlesene Ambiente mit den Fresken sowie vergoldeten Säulen und Kronleuchtern entsprach vielleicht ein wenig dem Altsommerpalaste in Peking, der die Inspiration zur Kollektion gewesen war. Für Paris war die Kollektion – von der Machart her mehr Couture als Prêt-à-porter – gewiß anspruchsvoll genug, doch für sich viel zu wertvoll, um stückweise tagtäglich aufgetragen zu werden.

Die Inspiration für ihre neue Kollektion empfing die chinesische Modeschöpferin Shiatzy Chen, als sie in Barcelona die Basilika Sagrada Familia besuchte. Das tiefe visuelle und emotionale Wunder, als sie das stete Zusammenspiel von Pracht und Zartheit, die ätherische Schönheit des wechselnden Lichtes, die Glasmalereien sowie die durch die Fenster sichtbaren Wolken wahrnahm, war der kreative Funke. Der Dialog zwischen dieser leuchtenden Abstraktion und der greifbaren Betonarchitektur führte unter dem Motto „Cutting Clouds“ zu einer geometrischen Kontur, die des Art-Deco-Stiles der 1920er Jahre erinnerte; kräftige Farben und exquisite Silhouetten waren gleichermaßen die Folge. Dadurch daß Shiatzy Chen fröhliche Seide und helle Falten verband, die Linien verlängerte sowie sich von der reinen, klassischen Silhouette befreite, erhielt die am 4. Oktober 2016 im Grand Palais gezeigte Kollektion den jungenhaften Charme einer selbstbewussten Frau. Einer raffinierten, fließenden Silhouette stellte sie die orientalische Neigung zu kostbaren Stickereien, dreidimensionalen Jacquarddrucken und drapierten Rüschen gegenüber. Reines Weiß, Tuschenschwarz, Zinnoberrot, Pastellrosa und Kanariengelb paßten farblich zu architektonischen Kleider und Röcken. Für eine Ost und West verbindende einheitliche Schönheit paarte Shiatzy Chen noch Glasmalereielemente und üppige Weinblätterdetails. Eingedenk der Präsentation dreier Modemarken aus Hong Kong am ersten Tage der Pariser Modewoche und der Präsentation weiterer Marken aus Shenzhen am letzten Tage der Mailänder Modewoche machten die oben erwähnten Präsentationen klar, daß man mit den Chinesen in der Modewelt oberhalb der globalen Relevanzschwelle künftig vermehrt wird rechnen müssen.

Allmählich neigte sich die Pariser Modewoche ihrem Ende zu. Am 5. Oktober 2016 stellten obendrein der Modeschöpfer Ole Yde aus Kopenhagen im Hotel „THE WESTIN PARIS“ sowie die aus Korea stammende und in Paris tätige Modeschöpferin Moon Young Hee in der Schule der Medizin der Pariser Universität René Descartes jeweils eine neue Kollektion vor. Das bei Ole Ydes Präsentation gespielte Lied „Wuthering Heights“ der britischen Sängerin Kate Bush aus dem Jahre 1978 drückte am besten die Endzeitstimmung aus. Dies war beileibe nicht alles. Der Schauraum „designers apartment“, wo unter anderem eine Kollektion der Pariser Modeschöpferin Coralie Marabelle zu sehen war, stand noch offen. Coralie Marabelle bewegte sich auf die Herrenbekleidung zu und befaßte sich mit „Vintage“-Arbeitskleidung, die sie mit Details und Ornamenten aus traditionellen japanischen Kleidern anreicherte. Linien, gemischt, gestört, versammelt, gefaltet, waren ein Schlüsselelement ihrer Kollektion. Dekorativ oder funktionell, verwandelten sie sich in Riemen, Tunnelzüge, Binden der abgerundeten Schultern oder eben in Verschlüsse. Mit einer Fransenakkumulation entwickelte Coralie Marabelle neue Texturen. Ein Fabrikoverall taugte sogar für eine schicke Nacht. Die Kollektion sollte das Publikum an die italienische Installationskünstlerin Paola Pivi erinnern. Die aus Japan stammende und in Paris tätige Modeschöpferin Ken Okada veranstaltete am 6. Oktober 2016 die wirklich letzte Modepräsentation dieser Saison in Paris.


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