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Tropische Gefilde

Modisches Fernweh

Hübsche Runde – Mannequins vor der Modenschau „Fatima Lopes“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 18. November 2016
Die Marke „LEONARD PARIS“ gilt als Spezialist für Stoffdrucke. Deren Modeschöpferin Christine Phung wagte nach ihrem Einstiege im Mai 2016 nunmehr einen Bruch mit der Tradition, indem sie mit der Kollektion für den Frühling und Sommer 2017 einen neuen gestalterischen Weg beschritt, um Kleidungsstücke mit einer Ausgewogenheit zwischen mühelosem Kleiden und luxuriösen Details zu erschaffen. Der am 3. Oktober 2016 im Grand Palais präsentierten Kollektion „Tropiques Numériques“ lag eine Wandererzählung zugrunde, worin es um eine halluzinatorische Reise ging, bei der ein Mädel in den Dschungel zog und dann verlorenging.

Als Christine Phung in den Archiven einen Palmwedeldruck fand, mit neuen Farben und Texturen abänderte sowie digital aufbereitete, wobei sie sich fürs Färben an den französischen Graphikgestalter und Illustrator Leslie David wandte, wurden die Tropen sozusagen digital. Das Ergebnis, ein blauer Grund mit andersfarbigen Klecksen aus Schnurbatikblättern, war in der Zusammenstellung herkömmlich, aber in der Spritzigkeit fortschrittlich. Dieses Motiv kam überall vor; es schmückte einen schick verkürzten Jumpsuit mit Schärpengürtel, ein ausgeschnittenes Maxikleid aus Seidenjersey mit Metallkragen, einen zweireihigen Pyjamablazer aus Seide sowie eine mit Blumen bestickte Bomberjacke. Der für die Marke typische Seidenmikado-Jersey durfte hier nicht fehlen. Die Lamélemente auf Faltenkleidern oder als zierliches Capelet wirkten ein bißchen steif. Lockerer erschien hingegen eine Reihe Bomberjacken im Teddystile. Manschetten mit Baseballstreifen, Kristallausschmückungen auf der Vorderseite und das Palmenmotiv auf der Rückseite ließen ein Kleid hervorstechen. Ein holographischer blauer Parka hatte einen aquatischen Schimmer, während plissierte metallische Lamékleider an den Partymenschen Bianca Jagger in der berühmten New Yorker Diskothek „STUDIO 54“ in den 1970er Jahren denken ließen. Ins Auge stachen noch hochglänzende Stoffe. Die Glanzeffekte funktionierten am besten, wenn die entsprechenden Kleidungsstücke durch Kombination mit neutralen Stücken gebrochen wurden, so wie ein maritimes Unterhemd, das über einem glänzenden Faltenrocke getragen wurde. Es liegt nun an Christine Phung, die Marke zu modernisieren, um für das Modehaus neue Kunden zu gewinnen und die Marke somit fit für die Zukunft zu machen.

In der Höheren Schule der Schönen Künste stellte der aus Bogotá in Kolumbien stammende und in Paris tätige Modeschöpfer Esteban Cortázar seine neue Kollektion vor, die er als ein Kaleidoskop persönlicher Ideen beschrieb. Die Inspirationsquellen sprudelten heftig; es waren die Erinnerungen an seine Jugend in der Umgebung von Surfern und Skatern in Miami Beach, an seine Lieblingsmusikerinnen in den 1990er Jahren, nämlich Sade, Lauryn Hill und Erykah Badu, sowie an die letzte Reise mit seiner Mutter nach Indien, wo ihn die Spontaneität und das unprätentiöse Stolzieren der Schulkinder in ihren traditionellen, mit Anleihen aus der europäisch-amerikanischen Straßenkleidung veränderten Kleidern auf dem Wege von Tiruvannamalai zum heiligen Hügel von Arunachala fasziniert hatten. Seine Botschaft als ewiger Optimist lautete, die Überschwänglichkeit mit Savoir-faire zu überlagern. Die Kollektion sollte eine „geschneiderte Ode“ für gute Schwingungen und für den Weltfrieden sein. Neben Schichten, Binden, Kleben und Drapieren erstreckte sich Esteban Cortázars Kunstfertigkeit auf Subtiles, beispielsweise auf ein weißes Hemd, das von den Schultern zurückfiel, und auf Komplexes, beispielsweise auf ein einärmeliges, in tibetischen Schriftzügen aufgeteiltes Strickkleid.

Blickfang war ein Friedenszeichen in Rastatönen, das mit der Hand unterhalb und quer über die freigelegten Rückpartie eingewebt worden war und sich mit dem kreisförmigen Ausschnitt des weißen Minikleides verband. Eine „Analogie zur Verbundenheit des Lebens“ lag darin, die Mantras fein in ein „Patchwork“-Top aus Leder zu nähen. Der Hauch eines Bohemienlebens war spürbar bei den aufwendig geschnittenen Büstenhaltern aus Leder und bei den sportlichen Häkelkleidern und Jeanshosen mit derart schrägen Schnitten, daß kurvenreiche Wirbel erzeugt wurden, um das „mitfühlende“ Fallen der indischen Saris anzudeuten. Südamerikanisches Flair tauchte bei den handgefertigten, tabakbraunen Lederstücken auf; hierher gehörte ein Kleid mit applizierten Motiven aus einem tibetischen Gesange. Dies galt ebenso für die Verzierungen und Schmuckstücke, die in Zusammenarbeit mit der kolumbianischen Schmuckgestalterin Paula Mendoza entworfen worden waren. Esteban Cortázar unterzog sich der Mühe, Formstücke aus Jersey einzeln nacheinander auszuschneiden und sie dann sorgfältig zusammenzunähen, um Surfbrettdrucke in kräftigen Rastafarben wie bei Erykah Badu und Lauryn Hill zu erstellen. Strickstücke in kräftigen Farben mit Kontrastsäumen und mit Juwelen verzierte Tops enthielten eindrucksvolle Graphiken. Paillettenstirnbänder verpaßten der Stimmung eine kitschige Note und gaben wie die fließenden Nadelstreifen den ungezwungen aufgeschichteten Silhouetten eine Struktur.


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