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Kleider im Gewächshause

Mode aus China in Paris

Das Gewächshaus des Jardin des Plantes – Stätte der Modenschau „PAULE KA“ (Bild: Christian Janssen)

Von Christian Janssen — 11. November 2016
Mode bewegt sich im fliegenden Wechsel. Kaum daß die Mailänder Modewoche am 26. September 2016 geendet hatte, begann am 27. September 2016 die Pariser Modewoche. Am ersten Tage führte eine Modenschau die Einkäufer, Journalisten und Photographen in den Jardin des Plantes, in dessen Gewächshause die Kollektion der Pariser Marke „PAULE KA“ für den Frühling und Sommer 2017 präsentiert wurde.

Es war ein Spaziergang durch das Herz einer japanischen Phantasiewelt, wo ein Traum von Stoffen, Texturen und Farben zu erleben war, wo strenge Linien romantischen Formen gegenüberstanden, wo die Weiblichkeit ihren Höhepunkt erreichte. Die fünfzigteilige Kollektion ließ dann keinen Wunsch nach Raffinesse unerfüllt. Eine Reise nach Japan hatte die Modeschöpferin Alithia Spuri-Zampetti zu ihrer zweiten Kollektion für die Modemarke inspiriert. Das Entwerfen fing an mit einer Hommage an den Modeschöpfer Serge Cajfinger, der die Modemarke vor fast dreißig Jahren gegründet hatte. Die Herrenschneiderei hatte seine anfänglichen Entwürfe inspiriert; der Ausgangspunkt für seinen neuen Stil lag darin, daß er als Reaktion auf die allzu breiten Silhouetten der 1980er Jahre die Schulterpolster eines Blazers entfernt hatte. In den Händen des gegenwärtigen kreativen Kopfes verlief der Prozeß der Anpassung an die Damenbekleidung derart, daß sie die weiße Gabardine einer klassischen Jacke in langen drapierten Kleidern und weichen maßgeschneiderten Einzelstücken, mit Kimonogürteln strukturiert, neu interpretierte. Die „japanische Metamorphose“ setzte sich fort mit einer Studie über Kette und Falten, wie sie von der klassischen Kunst des Origami angeregt wurde. Gefaltetes und in vielfältiger Weise – mit Abnähern, flachen Schlaufen oder Schnitten – konstruiertes japanisches Baumwolltuch erschien als strahlender Farbtupfer, um eine vibrierende, aber elegante Weiblichkeit auszudrücken. Die gleiche sorgfältige Methode fand ihre Anwendung bei in dreien verschiedenen Harmonien gefärbten, gestreiften Jacquardstoffen.

Allmählich offenbarte sich der Geist des Kimonos; Blumendrucke und opulente Jacquardstoffe aus Como sowie Seidenorganza mit Schnittfäden wie auch aufwendige, überfärbte und handgefertigte Stickereien in Gestalt von Blütenblättern bildeten die Grundelemente für die Reihe an Kleidern und sonstigen Einzelstücken. Die von zarten, handgefärbten Textilien inspirierten Seidenstoffe, deren einzelne Stücke in Frankreich durch viermaliges sorgfältiges Falten und Tauchen gefertigt worden waren, enthüllte ein Spektrum mehrfarbiger Töne. Kleider in diesen von japanischen Gärten inspirierten Schattierungen glichen Paradiesvögeln, die gleichsam über den Baldachin des idyllischen Gewächshauses flogen. Die an die 1950er Jahre angelehnten Linien ermöglichten bei den luxuriösen Stoffen anspruchsvolle, feminine Couturevolumen. Die endgültigen Silhouetten beruhten auf den geneigten Linien antiker Kimonos. Das Schuhwerk bestand aus mehrfarbigen Sandaletten mit gefiederten Quasten und Blütenblatt-Applikationen, Keilabsatzpumps mit Jacquardmustern oder Fransen sowie Stöckelabsatzpumps aus Wasserschlangenleder, deren Fersenpartie mit metallenen Blütenblättern und Samtbeeren verziert waren. Federn schmückten nicht nur die Fersenpartie anderer Schuhe, sondern auch Ohrringe und Gürtel. Weitere Accessoires waren mit Blütenblättern bestickte, henkellose Handtaschen (Clutch Bags).

In der Mode ist der Weg von Japan nach China nicht weit. Nach den japanischen Einflüssen auf Kleiderentwürfe am Morgen, bescherte der Nachmittag dem an Mode interessierten Publikum leibhaftige chinesische Modeschöpfer. Nach der Premiere mit achten Marken aus Hong Kong in der letzten Saison, stellten sich diesmal unter der Federführung der Vereinigung „Fashion Farm Foundation (FFF)“ zehn Marken aus Hong Kong in Schauräumen vor; diese Vereinigung, die im Jahre 2012 von einigen Kleidungsfabrikanten und Modelehrern in Hong Kong gegründet worden war mit dem Ziele, die dortigen Modeschöpfer durch ein Zusammenführen mit Entscheidern aus der Industrie, aus dem Einzelhandel, aus den Medien und aus der Kulturszene zu unterstützen und zu fördern, strebt nach eigenen Angaben mit ihrem Wirken keine Gewinne an. Aus jenen Marken hatte eine breit gefächerte Fachjury drei für eine Laufstegschau in der Schule der Medizin der Pariser Universität René Descartes ausgewählt: „FFIXXED STUDIOS“, „INJURY“ und „id“.

Hinter der Marke „FFIXXED STUDIOS“ stehen die Modeschöpfer Kain Picken und Fiona Lau. Für den Entwurf ihrer Kollektion konzentrierten sie sich nicht auf eine einzige fixe Idee, sondern im Wege einer kontinuierlichen Annäherung untersuchten sie verschiedene Produktionsweisen, individuelle Stile und angepaßte Strukturen als Ausdrücke eines sich stetig verändernden soziokulturellen Umfeldes. Für Eugene Leung, der seine Marke „INJURY“ im Jahre 2004 in Sydney gegründet hatte, stellte sich das Schneiden und Nähen von Stoffen als ein Akt der Verletzung dar. Aus der Beobachtung des täglichen Lebens und der Rezeption zeitgenössischer Kunst entwickelte er eine Kollektion, die über die originalen graphischen Drucke hinaus digital, science-fiction-artig und architektonisch erschien. Ein Neuling für das Vorhaben der FFF war die Marke „id“. Mit der unter dem vorläufigen Namen „J.E.W.D.“ gegründeten Marke widmeten sich Julio Ng und Cyrus Wong der unterbewußten Anziehung als einem Grundbedürfnisse der menschlichen Natur. Mit ihrer Kollektion wollten sie die unbemerkte Schönheit und die Gnade der Gefallenen in der modernen Zeit bewahren. Wissend um die Wichtigkeit der Koexistenz entgegengesetzter Kräfte, nämlich der dunklen, negativen und femininen Kraft namens Yin auf der einen Seite und der positiven, hellen und maskulinen Kraft namens Yang auf der anderen, galt es, das Leben in Balance zu halten.


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